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Nördlingen: Zwölf Stämme: Sektenmitglieder verweigern Gutachten

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Zwölf Stämme: Sektenmitglieder verweigern Gutachten

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    Der Sitz der „Zwölf Stämme“ im ehemaligen Gutshof Klosterzimmern: Hier wurden 24 Kinder von den Behörden in Obhut genommen.
    Der Sitz der „Zwölf Stämme“ im ehemaligen Gutshof Klosterzimmern: Hier wurden 24 Kinder von den Behörden in Obhut genommen. Foto: Ronald Hummel (Archivbild)

    Gutachter haben vor Gericht sehr viel Einfluss. Sie fällen keine Entscheidung, doch häufig folgt der Richter ihrer Einschätzung. In manchen Verfahren beurteilen die Sachverständigen, ob ein Zeuge als glaubwürdig eingeschätzt werden kann oder nicht, in anderen, ob ein Angeklagter verhandlungsfähig ist oder nicht. Manchmal prüfen sie auch, ob Kinder in ihren Familien bleiben sollten. Oder ob sie in Pflegefamilien oder Heimen besser aufgehoben sind.

    Das Familiengericht am Amtsgericht in Nördlingen verhandelt seit Monaten einen Fall, in dem es sich genau um diese Frage dreht: Es geht um die minderjährigen Kinder der Sekte Zwölf Stämme und um die Frage des Sorgerechts. Das Gericht möchte Sachverständige beurteilen lassen, was für das Wohl der Kinder erforderlich ist: sie von den Eltern zu trennen oder sie in den Familien zu lassen.

    Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme"

    Die "Zwölf Stämme" (The Twelve Tribes) sind eine urchristliche Glaubensgemeinschaft, die in den 70er Jahren in den USA gegründet wurde.

    Die Anhänger der "Zwölf Stämme" leben streng nach der Bibel, die sie wortwörtlich auslegen. Sie sind fest davon überzeugt, dass ihr Glaube der einzig Richtige ist.

    "Grundlage unseres Lebens ist der Gehorsam zu den Worten Jahschuas , des Messias, so wie sie in der Bibel, dem Wort Gottes, niedergeschrieben sind", schreiben die "Zwölf Stämme" über sich selbst.

    Die Zwölf Stämme haben weltweit etwa 2000 Mitglieder, davon etwa 100 in Deutschland.

    Mitglieder der Zwölf Stämme leben und arbeiten in streng hierarchisch aufgebauten Kommunen zusammen.

    Eine dieser Kommunen wohnt seit 2000 im Gut Klosterzimmern im Kreis Donau-Ries.

    Die Mitglieder der „Zwölf Stämme“ weigern sich, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken. Die Gemeinschaft begründet dies mit ihrer Religion, macht „Gewissensgründe“ geltend. Ein Grund ist der Sexualkundeunterricht.

    "Unsere Religion hat sich nicht in den Staat einzumischen und umgekehrt sollte sich der Staat nicht in unsere Religion einmischen", ist eine weitere Aussage der "Zwölf Stämme" .

    Ab 2006 unterrichteten die Zwölf Stämme in Klosterzimmern ihre Kinder in einer Privatschule.

    Wegen des Verdachts, sie würden ihre Kinder züchtigen, haben die "Zwölf Stämme" immer wieder Ärger mit Polizei und Justiz. Die Mitglieder bestreiten die Vorwürfe.

    Als 2013 ein Video auftaucht, auf dem festgehalten ist, wie Mitglieder ihre Kinder mit Ruten schlagen, holen Polizisten alle 40 Kinder der Sekte ab und bringen sie in Pflegefamilien unter.

    Im September 2015 kündigen die "Zwölf Stämme" an Deutschland zu verlassen und nach Tschechien zu ziehen. Die Sekte hofft, dort ihren Glauben frei ausleben zu können.

    Doch die Eltern weigern sich bislang, an Gutachten teilzunehmen, die psychologische Sachverständige anfertigen sollen. Das Gericht hat deshalb geklärt, ob die Gutachten auch ohne Mitwirkung der Eltern umgesetzt werden können. In dieser Woche wird den Sektenmitgliedern der Beschluss per Post mitgeteilt. Es könnte in dem Sorgerechtsverfahren ein entscheidender Schritt sein. Erst nach der Zustellung wird auch die Presse etwas über die Beschlüsse erfahren.

    Zwölf Stämme: Journalist schleuste sich in Sekte ein

    Im September 2013 hatte die Polizei alle 24 damals minderjährigen Kinder der Zwölf Stämme in Klosterzimmern abgeholt, nachdem ein RTL-Reporter für das Magazin „extra“ das Leben der Zwölf Stämme beleuchtet und schwere Missbrauchsvorwürfe öffentlich gemacht hatte. Über Monate schleuste sich der Journalist immer wieder unter falscher Identität in den Sitz der Sekte in Klosterzimmern ein und filmte mit versteckten Kameras. Er hielt Szenen fest, in denen kleine Kinder brutal mit Stöcken geschlagen wurden. Die Behörden reagierten, und das Jugendamt nahm die Kinder in Obhut. Seitdem hat sich einiges geändert. Ein Kind ist wieder bei seinen Eltern, da diese nur zum Urlaubsbesuch in Klosterzimmern waren.

    Fünf Kinder durften per Gerichtsbeschluss zu ihren Eltern zurück, da sie mittlerweile volljährig oder in einem Alter sind, in dem unwahrscheinlich ist, dass sie mit der Rute geschlagen werden. Zwei Mädchen im Alter von elf und 13 Jahren rissen im Februar und März 2014 aus ihrem Heim aus; die Polizei hat sie bislang nicht gefunden, eine Razzia blieb ergebnislos. Im Juli rückten in Klosterzimmern 100 Beamte an und durchsuchten das Gut – die beiden Mädchen fanden sie nicht. 16 Kinder leben noch in Pflegeheimen oder Familien.

    Zwölf Stämme: Aufzeichnungen seien als Beweismittel nicht zulässig

    Die Gutachten würde nicht nur sie betreffen, sondern alle Kinder der Sekte, die im September 2013 aus Klosterzimmern von der Polizei abgeholt wurden, sagt Gerhard Schamann, Richter und stellvertretender Pressesprecher am Amtsgericht Nördlingen. Einzige Ausnahme: die inzwischen volljährigen Kinder. Der Sorgerechtsprozess betrifft sie nicht mehr.

    Schamann wird in der kommenden Woche mehrere Verhandlungen leiten, die sich wiederum mit der Glaubensgemeinschaft beschäftigen. Mitglieder der Sekte, die auf den Videos dabei zu sehen waren, wie sie Kinder mit Ruten schlugen, hatten einen Strafbefehl erhalten. Weil sie Einspruch einlegten, kommt es nun zum Prozess. Ihre Begründung: Die Aufzeichnungen seien als Beweismittel nicht zulässig.

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