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Nördlingen: Wohnhaus am Bleichgraben: Wo einst der Direktor des Gaswerks residierte

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Wohnhaus am Bleichgraben: Wo einst der Direktor des Gaswerks residierte

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    Einst wohnte in diesem Haus der Direktor des Nördlinger Gaswerks. Nun gehört es Tobias Hildebrandt und seiner Frau. Umgebaut hat es das Oettinger Unternehmen Taglieber.
    Einst wohnte in diesem Haus der Direktor des Nördlinger Gaswerks. Nun gehört es Tobias Hildebrandt und seiner Frau. Umgebaut hat es das Oettinger Unternehmen Taglieber.

    Beeindruckende Bauwerke mit prunkvoll strahlenden Fassaden schmücken einen Teil des Bleichgrabens in Nördlingen. Der macht durch seine Lage am äußeren Rand der Stadtmauer einen erheblichen Teil des typischen Rundgangs um die Altstadt aus. Nutzt man den Parkplatz am Löpsinger Tor als Ausgangspunkt und startet den Spaziergang in Richtung JUFA Hotel an der Eger entlang, dürfte seit geraumer Zeit vor allem ein Gebäude ins Auge stechen: In der Hausnummer 5 regt sich was. Welche Geschichten hat dieses Haus zu erzählen?

    Ein Jahr lang hat das Team von Taglieber Holzbau aus Oettingen am und im Haus gearbeitet. Bauherr Tobias Hildebrandt, der sich gemeinsam mit seiner Frau für die Sanierung des imposanten Bauwerks entschieden hatte, zeigt sich zufrieden: „Wir sind froh, dieses komplexe Projekt hauptsächlich den Experten überlassen zu haben.“ Seit rund einer Woche lebt der Rundfunkjournalist gemeinsam mit seiner Ehefrau, Hund Flori und seinem Schwiegervater in dem denkmalgeschützten Haus.

    Nördlinger Wohnhaus im Bleichgraben war früher das Verwaltungsgebäude eines Gaswerks

    Die Größe des beachtlichen Gebäudes sei optimal geeignet für einen großzügigen Wohnraum verteilt auf zwei Stockwerke, der im Eingangsbereich nach der Sanierung zusätzlich eine kleine Zweizimmerwohnung einbezieht. Vor gut einem Jahr hat das Ehepaar sich für den Kauf entschlossen. Erst im Januar 2020 wurde das Anwesen nach entsprechender Begutachtung von der Denkmalschutzbehörde mit der Bezeichnung „denkmalgeschützt“ versehen. Im Zuge der Besichtigung stellten die Verantwortlichen der Denkmalschutzbehörde eigenhändig Recherchen an, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückgehen.

    Das Wohnhaus steht im Bleichgraben 5.
    Das Wohnhaus steht im Bleichgraben 5. Foto: Corinna Grimmeißen

    Bei dem Bauwerk handelt es sich um das ehemalige Verwaltungsgebäude des früheren Gaswerks von Nördlingen, das außerdem als Wohnhaus des Direktors fungierte. Das Gaswerk wurde in erster Linie errichtet, um die Versorgung der in der Innenstadt aufgestellten Gaslaternen sicherzustellen. Im April 1814 wurden in London erstmalig Gaslaternen als öffentliche Beleuchtung eingesetzt. Infolgedessen erhielt die neue Technik hohe Aufmerksamkeit. Rund 30 Jahre nachdem das erste Dorf der Welt nahe Dresden im Jahr 1928 eine öffentliche Straßenbeleuchtung mit Gaslampen in Betrieb nahm, wurde auch in Nördlingen das erste Gaswerk gegründet.

    Das Haus in Nördlingen ist eine Dokumentation des strengen Jugendstils

    Auf dem ehemaligen Bleichanger in der Nähe des Löpsinger Tors wurde das Werk 1863 von Emil Spreng in Betrieb genommen, wie aus historischen Nachforschungen des Vereins „Gaswerksfreunde Augsburg e. V.“ hervorgeht. Er war seinerzeit Besitzer zahlreicher Gaswerke in ganz Deutschland. Nur ein Jahr später kaufte die Stadt Nördlingen das Anwesen. Im Zuge einer Erweiterung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Haus des Direktors im Jahr 1913 errichtet. Damals lag die Tagesleistung des Gaswerks bei 4500 Kubikmetern Steinkohlegas, das durch Kohlevergasung im sogenannten Ofenhaus entstand.

    Früher war das Haus das Verwaltungsgebäude eines Gaswerks.
    Früher war das Haus das Verwaltungsgebäude eines Gaswerks. Foto: Corinna Grimmeißen

    Seiner Funktion entsprechend wurde das Wohnhaus großzügig als zweigeschossiger kubischer Villenbau aufgebaut. Die elegante Gesamtwirkung der ehemaligen Direktorenvilla erinnert als einziger geschichtlicher Zeugniswert noch an das erste Gaswerk Nördlingens – so begründet die Denkmalschutzbehörde auch ihre Einschätzung. Auch in seiner Architektursprache ist der Bau eine wertvolle Dokumentation des strengen Jugendstils und somit historisch bedeutend. Ende der 1950er-Jahre kaufte das heutige Grundstück rund um das Haus der gegenwärtige Vorbesitzer.

    Die Renovierung des Hauses im Bleichgraben wurde aufwendig geplant

    Gemeinsam mit der Denkmalschutzbehörde und der Firma Taglieber haben die neuen Hausbesitzer die Sanierung innerhalb von fünf Monaten bis ins kleinste Detail geplant. Die aufwendige Planung war zwingend notwendig, denn jeder einzelne Handgriff musste behördlich genehmigt werden. So wurden beispielsweise an der Westseite zwei zusätzliche Fenster eingebaut, um für mehr Licht im Innenraum zu sorgen. Außerdem wurden im Erdgeschoss Wände durchbrochen und teilweise versetzt – ein stilvoll integrierter Stahlträger sorgt im Wohnzimmer für die passende Statik.

    Auf der Westseite des Hauses wurden zwei neue Fenster eingebaut. Das historische Gebäude wird von Tobias Hildebrandt und seiner Familie bewohnt.
    Auf der Westseite des Hauses wurden zwei neue Fenster eingebaut. Das historische Gebäude wird von Tobias Hildebrandt und seiner Familie bewohnt. Foto: Grimmeißen

    Eine Pelletheizung im Keller, eine Lüftungsanlage und ein großzügig aufgebrachter Vollwärmeschutz an den Innenseiten der Außenwände schaffen ein energetisch optimal verbessertes Endergebnis, umgesetzt durch Taglieber Holzbau. Doch nicht alle Wünsche der Hausbesitzer konnten berücksichtigt werden. Die Installation einer Fotovoltaikanlage auf dem Walmdach des denkmalgeschützten Gebäudes bleibt eine Traumvorstellung. „Der Reiz, aber auch zugleich die Herausforderung eines solchen Sanierungsprojekts besteht in der Kombination von historischer Erhaltung und modernem Wohnbau“, meint Tobias Hildebrandt.

    Was im Hohlraum einer Zimmerdecke gefunden wurde

    Im Wohnbereich wurde die historische Treppe ins Obergeschoss aufbereitet, die solide gemauerte Ziegelwand hinter dem schicken Schwedenofen wurde freigelegt und die einhundert Jahre alten Kastenfenster im ersten Stock konnten erhalten werden. Wo eine Erhaltung der historischen Elemente nicht mehr möglich war, wurde detailgetreu und in Absprache mit der Denkmalschutzbehörde nachgebildet: Die Kastenfenster samt Sprossen im Erdgeschoss beispielsweise sind individuell entsprechend exakter Vorgaben nachgefertigt worden.

    Besonders beeindruckend ist die Geschichte zu einem ehemals im Erdgeschoss befindlichen Hohlraum, der durch Veränderungen in der Raumaufteilung entstanden sein dürfte und in den historischen Bauplänen eindeutig zu erkennen ist. Beim Aufdecken der Zimmerdecke im Hohlraum kam in einer Zwischenschicht eine Zeitungsausgabe zum Vorschein. Die „Nördlinger Zeitung“ berichtet am 3. Februar 1925 von einer „erregten Tätigkeit des Aetna“ in Italien und der Öffnung eines „Kraters, der beim letzten Ausbruch entstand“.

    Diese Ausgabe der Nördlinger Zeitung aus dem Jahr 1925 kam in der Zimmerdecke eines Hohlraums zum Vorschein.
    Diese Ausgabe der Nördlinger Zeitung aus dem Jahr 1925 kam in der Zimmerdecke eines Hohlraums zum Vorschein.

    Im letzten Schritt der Sanierung wird die Außenfassade aufgearbeitet und die über eine Brücke zugängliche Garage durch ein modernes Carport ersetzt. So erinnert das einzige noch erhaltene Gebäude des Anwesens neben 13 Gaslaternen, die 2013 im Rahmen der Feier „150 Jahre Gasversorgung“ als stille Zeitzeugen von Erdgas Schwaben an die Stadt Nördlingen übergeben wurden, an die Historie der Straßenbeleuchtung und das erste Gaswerk Nördlingens.

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