Herr Professor Kuch, Corona dominiert nach wie vor nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch unser Leben. Im Ries aber – so scheint es – kommen wir vergleichsweise glimpflich davon. Wie viele Patienten mussten Sie bislang im Stiftungskrankenhaus in Nördlingen behandeln?
Kuch: Wir haben in der Klinik ungefähr 60 Patienten betreut, die eine Infektion mit Covid-19 hatten. Diejenigen, die einen schwereren Verlauf hatten, waren meist älter – bis auf einen 63-Jährigen, der allerdings stark übergewichtig ist. Der Patient ist nach einer Langzeitbeatmung mittlerweile auf dem Weg der Besserung. Wir haben auch 40- bis 60-Jährige behandelt. Diese Patienten hatten aber einen guten Verlauf und mussten nicht auf die Intensivstation.
Immer wieder wird berichtet, dass Vorerkrankungen einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie eine Infektion verläuft. Konnten Sie das auch beobachten?
Kuch: Entscheidend ist, ob der Patient Vorerkrankungen an der Lunge hat, etwa COPD. Zudem spielt es auch eine Rolle, ob er raucht oder übergewichtig ist. In letzterem Fall wird die Lunge mehr beansprucht als bei schlanken Menschen. Patienten, die vorher Herz-Kreislauf-Probleme oder gar einen Herzinfarkt hatten, sind meiner Beobachtung nach zufolge nicht schwerer betroffen.
Gab es für Sie auch Überraschungen?
Kuch: Es kann einem Patienten relativ schnell sehr schlecht gehen. Und zwar so schlecht, dass er intensivmedizinische Betreuung braucht. Das trifft nicht nur auf die Hochbetagten zu, bei denen man übrigens derzeit in den Altersheimen eher dazu neigt, sie sterben zu lassen – eine Tendenz, die ich kritisch beobachte. Auch Menschen in Pflegeheimen können noch über Jahre ein sehr gutes Leben führen. Dieser schnelle Verlauf der Krankheit und die lange Beatmungszeit können zur Folge haben, dass die Zahlen der Kranken schnell ansteigen und damit unsere Kapazitätsgrenzen auch ganz schnell erreicht sind.
Wie wahrscheinlich ist diese Gefahr?
Kuch: Ich bin ein optimistischer Mensch, ich denke, dass wir schon mit der Situation klarkommen würden. Aber wir müssen uns besser für die Zukunft rüsten. Im Stiftungskrankenhaus haben wir allgemein zu wenig Betten. Die Kardiologie behandelt über die Grenzen des Landkreises Donau-Ries hinaus Patienten aus Dillingen, Wertingen und Dinkelsbühl oder Bopfingen. Wir haben jetzt eine gynäkologische Hauptabteilung. Die Chirurgie wächst, die Intensivabteilung ist massiv belastet. Kurz gesagt: Wir sind mittlerweile ein überregionaler Versorger und dafür brauchen wir mehr Kapazitäten.
Wie behandeln Sie die Corona-Patienten eigentlich? Ein Medikament dagegen gibt es ja noch nicht.
Kuch: Nein. Derzeit werden in Studien verschiedene Medikamente getestet – bei uns allerdings nicht. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass wir bald einen Impfstoff gegen Corona haben. Das liegt daran, dass es sich um einen Virus handelt. Es gibt auch keinen Impfstoff gegen AIDS – ebenfalls ein Virus – obwohl schon lange danach geforscht wird. Gegen viele andere Viren gibt es auch keinen Wirkstoff als Arznei. Corona-Patienten können wir derzeit nur klassisch intensivmedizinisch betreuen und auf deren eigenes Immunsystem hoffen. Wichtig ist, dass die Menschen oft gedreht werden, damit alle Lungenbereiche von der Beatmung angesprochen werden.
Wie viele freie Betten gibt es aktuell für Corona-Patienten in Nördlingen?
Kuch: Wir halten noch eine halbe Station frei, das sind zwölf Betten. Allerdings verfügen wir meist über Vier-Bett-Zimmer – bei Corona kann das zum Problem werden. Wir können ja nur positiv getestete Patienten in einem Raum unterbringen. Verdachtsfälle müssen stets in einem Einzelzimmer liegen. Seit gut einer Woche gab es aber sowohl am Stiftungskrankenhaus als auch im Krankenhaus in Donauwörth keine neuen Corona-Intensivfälle.
Das bedeutet aber auch, dass Betten, die zuvor für Corona-Patienten freigehalten wurden, wieder für andere Kranke genutzt werden können, oder?
Kuch: Ja. Und da gibt es derzeit etwas, was mir Sorgen bereitet: Die Menschen sind in den vergangenen Wochen zu Hause geblieben, obwohl sie Symptome einer schweren Erkrankung gezeigt haben. Offensichtlich hatten die Patienten Angst, sich mit Corona anzustecken. Gerade erst haben wir einen Mann behandelt, der schon seit Wochen über Herzprobleme geklagt hat, aber nicht zum Arzt gegangen ist. Jetzt hatte er einen schweren Herzinfarkt. Wäre dieser Patient früher zu uns gekommen, dann hätten wir das verhindern können. Wir Ärzte warnen davor, irgendwelche Symptome zu verschleppen.
Wie sieht es mit planbaren Eingriffen aus?
Kuch: Wir dürfen sie erst ab dem 15. Mai wieder durchführen. Wenn die Patienten aber unter starken Schmerzen leiden oder zum Beispiel schwere urologische Probleme haben, dann operieren wir auch jetzt schon.
Wie geht es Ihren Kollegen, den Ärzten und Pflegern? Immer wieder ist ja davon die Rede, dass sich auch das Personal in den Krankenhäusern bei Corona-Patienten ansteckt.
Kuch: Auch unter unseren Mitarbeitern gab es Corona-Infizierte. Allerdings haben sich die Pfleger und ein Arzt im privaten Umfeld angesteckt. Wir wurden alle getestet, auch ich. Seit vier Wochen arbeitet das gesamte Personal hier mit Mundschutz. Ich glaube, das hat uns tatsächlich etwas gebracht. Und ich halte den Mundschutz, den die Menschen jetzt etwa in Geschäften tragen, auch für sinnvoll. Es kommen beim Gegenüber einfach im Zweifelsfall weniger Viren an.
Nun sprechen Politiker mittlerweile davon, dass man Corona „im Griff“ habe. Und viele Menschen wünschen sich sehnlichst ihr normales Leben zurück.
Kuch: Ich habe dafür größtes Verständnis, ich wäre auch gerne nächste Woche im Urlaub am Gardasee. Aber wir werden in den nächsten Monaten ein neues normales Leben haben. Eine vorsichtige Öffnung ist durchaus vernünftig – sie bringt aber auch Menschen dazu, das Virus nicht mehr ernst zu nehmen. Ich habe erst neulich eine Gruppe Jugendliche beobachtet, die sich auf einem Feld getroffen haben. Ich kann das wirklich verstehen, dass man den Wunsch hat, sich zu treffen. Aber das Problem ist, dass die Infektionszahlen dann auch wieder hochschnellen.
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