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Nördlingen: Verfahren vor dem Nördlinger Amtsgericht: Scharfe Waffe auf dem Beifahrersitz?

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Verfahren vor dem Nördlinger Amtsgericht: Scharfe Waffe auf dem Beifahrersitz?

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    Vor dem Nördlinger Amtsgericht ging es um den Waffentransport eines Jägers.
    Vor dem Nördlinger Amtsgericht ging es um den Waffentransport eines Jägers. Foto: Alexander Kaya

    Es war eine seltsame Verkehrskontrolle im November 2019 an der Steigung „Am Kampf“ auf der B466 bei Holheim: Eine Streife der Nördlinger Polizei fuhr nachts die Bergstrecke hinauf hinter einem Auto her und beschloss, dieses routinemäßig zu kontrollieren. Auf Höhe der Ederheimer Kreuzung signalisierten die beiden Polizisten dem Fahrer mittels Leuchtschrift-Balken und rotem Blinklicht, anzuhalten. Der wurde langsamer, schaltete mehrmals die Innenbeleuchtung an und beugte sich laut Polizeibeamten nach rechts in den Fahrerraum. Nach gut zwei Kilometern und mehreren möglichen Stellen zum Anhalten steuerte er endlich einen Parkplatz an. Als die Beamten ausstiegen, sahen sie ein Jagdgewehr.

    Es lehnte am Beifahrersitz. Zum Selbstschutz riefen die Polizisten eine zweite Streife zur Verstärkung und durchsuchten den 26-jährigen Fahrer. Insgesamt bot sich den Beamten folgendes Bild: Das mit Schalldämpfer und Zielfernrohr ausgestattete Gewehr lehnte ungeladen am Beifahrersitz, das Magazin mit drei Schuss steckte im Ablagefach der Fahrertür – eine legale Situation. Auf dem Rücksitz lag ein Nachtsicht-Aufsatzgerät mit Infrarot-Verstärkung. Damals war so etwas an einem Zielfernrohr verboten, heute ist es erlaubt. Soviel zum sichtbaren Bild.

    Was die Beamten im ersten Streifenwagen noch befürchteten: Das Anschalten der Innenbeleuchtung und Hinüberbeugen des Fahrers zum Gewehr bedeutete, dass dieser auf der gut zwei Kilometer langen Fahrt mit der Polizei im Nacken das Nachtsichtgerät vom Gewehr abmontierte und das Magazin aus dem Gewehr nahm – ein geladenes Gewehr mit aufgesetztem Nachtsichtgerät im Auto hätte einen doppelten Verstoß gegen das Waffengesetz bedeutet. Richter Gerhard Schamann schloss sich der Überzeugung der Polizisten an und verhängte einen schriftlichen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 40 Euro sowie eine dauerhafte Einziehung der Jagdausrüstung im Wert von 7000 Euro. Es hätte den Angeklagten also insgesamt 9000 Euro gekostet. Er legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein, und so kam es zur Verhandlung vor dem Nördlinger Amtsgericht unter dem Vorsitz von Richter Gerhard Schamann.

    Diskussion über die damalige Rechtslage

    Zwischen Schamann, Strafverteidiger und Jagdrecht-Spezialisten Dr. Heiko Granzin und Staatsanwältin Katrin Wegele gab es zunächst eine Diskussion, ob nach damaliger Rechtslage bereits das Nachtsichtgerät neben dem Gewehr strafbar war. Der Rechtsanwalt des Angeklagten wies auf mehrere juristische Quellen hin, dass es legal gewesen sei, solange das Gerät nicht ans Gewehr montiert war. Ein Nachtsichtgerät könne schließlich mit anderen optischen Geräten wie einem Fotoapparat oder einem Einsteck-Okular verbunden werden.

    Ein Polizist führte an, dass kein solches Gerät im Auto gewesen sein soll und der Angeklagte am nächsten Tag auf der Polizeiinspektion nachträglich ein Einsteck-Okular vorzeigte, was er nach Meinung der Polizei neu gekauft hatte. Granzin machte klar, dass es nicht verboten sei, Jagdgeräte länger im Auto liegen zu lassen und sein Mandant zuvor in einem tschechischen Revier gejagt hatte, wo Nachtsichtgeräte am Zielfernrohr damals schon legal gewesen seien. Für das Hinüberbeugen des Angeklagten zur Beifahrerseite bei eingeschaltetem Licht zählte der Anwalt eine Liste von Möglichkeiten auf: vom Beruhigen des Hundes in der Box hinten im Auto über das Suchen von Fahrzeugpapieren bis hin zur fiktiven Suche nach einer Bibel oder der Kontrolle, dass keine illegale Waffe oder Drogen mehr im Handschuhfach lägen. Ausschlaggebend war, dass keiner der Zeugen das Entladen der Waffe direkt gesehen hatte. Staatsanwältin Wegele forderte aufgrund der ungenügenden Beweislage Freispruch, dem sich der Anwalt anschloss. „Ich bin zu 85 bis 90 Prozent sicher, dass die Vorwürfe im Strafbefehl richtig waren“, so Richter Schamann, „aber das hat sich in der heutigen Verhandlung nicht so weit bestätigt, dass man guten Gewissens ein Urteil fällen kann.“ Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten“ – sprach er den Angeklagten frei.

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