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Nördlingen: Über sieben Rieser, die in der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen

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Über sieben Rieser, die in der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen

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    Tanja Donderer und Markus Seel arbeiten für die Nördlinger Polizei. Zu ihren üblichen Diensten kommt gerade die sogenannte „Corona-Streife“ hinzu, bei der sie speziell dafür verantwortlich sind, die Maßnahmen zu überwachen.
    Tanja Donderer und Markus Seel arbeiten für die Nördlinger Polizei. Zu ihren üblichen Diensten kommt gerade die sogenannte „Corona-Streife“ hinzu, bei der sie speziell dafür verantwortlich sind, die Maßnahmen zu überwachen. Foto: Christof Paulus

    Seit neun Monaten leben wir mit der Pandemie. Nun der zweite Lockdown, eine zweite Welle, die den Landkreis Donau-Ries besonders hart trifft. Mahnende Virologen und gestresste Politiker bestimmen dieser Tage die öffentliche Wahrnehmung. Dabei ist es eine Krise, die uns alle fordert. Ein Schlaglicht auf sieben Menschen aus dem Ries, die in der Corona-Pandemie an vorderster Front stehen.

    Der Barbetreiber

    Normalerweise betreibt Oliver Schmid, 51, eine Bar in Nördlingen. Original schottische Antiquitäten, Single Malt bis zum Abwinken, die Gäste der „Scotch Corner“ wissen, weshalb sie wiederkommen. Oder besser: kamen. Seit neun Monaten muss Schmid den Laden zugesperrt lassen. Das Schlimmste, sagt er, ist die Ungewissheit.

    Oliver Schmid
    Oliver Schmid Foto: Schmid

    „Meine Bar ist so klein, dass ich keine Hygiene-Konzepte einhalten kann. Deshalb haben wir seit Februar geschlossen. Es ist eine schwierige Situation, wenn man sein Geld nicht verdienen darf. Ich verstehe die Gründe für die Einschränkungen. Mir fehlt nur manchmal das Verständnis für die Verhältnismäßigkeit. Ich habe seit Februar keinen Cent Umsatz. Und die Kosten laufen weiter. Als schlimmste Einschränkung sehe ich aber, dass uns die Politik kein Ende in Aussicht stellt. Es heißt immer nur: bis auf Weiteres. Meine Rücklagen schmelzen dahin. Wenn es so weitergeht, werde ich in drei bis sechs Monaten aufgeben müssen. Es wird existenziell. Seit absehbar ist, wie schlimm es werden würde, haben wir alles zurückgefahren, ich beschäftige keine Mitarbeiter mehr. Es ist echt beschissen im Moment. Bei mir laufen jeden Monat sechs- bis achttausend Euro Kosten auf, aber das war’s dann auch. Es gibt Tage, da ist meine psychische Verfassung okay. Und dann gibt es Tage, da frage ich mich, wie das Ganze weitergehen soll. Ich leihe mir gerade von Freunden Geld. Das fühlt sich auch nicht gut an. Klar, die Politik ist wie wir alle auch nur im Aktionismus unterwegs. Aber trotzdem ist es unverantwortlich. Ich kann nicht arbeiten und man bietet mir keine Alternative an. Aber aufgeben ist für mich keine Option.“

    Die Krankenschwester

    Seit 20 Jahren arbeitet Martha Schröppel im ambulanten Pflegedienst der Diakonie. Sie ist 63 – und damit Risikogruppe. Dennoch macht sie täglich über 20 Hausbesuche. Auch dann, wenn sich ihre Patienten mit dem Coronavirus infiziert haben.

    „Bei meinen Hausbesuchen habe ich hohe Hygienebestimmungen. 90 Prozent meiner Patienten sind in einem fortgeschrittenen Alter, sie hören von Haus aus schlecht. Durch den Mundschutz verstehen sie mich noch schlechter. Weil auch die Mimik fehlt, erkennen mich die Leute teilweise nicht mehr. Ich muss dann viele beruhigen, sagen: Ich passe ja auf. Ich betreue auch Covid-positive Menschen. Da muss ich eine Schutzbrille und Schutzkleidung tragen. Ich bin buchstäblich am Ausbruchsgeschehen. Da ich zur Risikogruppe gehöre, erwarte ich jeden Morgen mit Anspannung, ob ich einen Infizierten betreuen muss. Es ist auch schon vorgekommen, dass sich Arbeitskollegen infiziert haben. Es ist keine Frage mehr ob, sondern wann ich Corona kriege. Einen Risikozuschlag für meine Arbeit erhalte ich nicht. Da ich bisher keine Symptome hatte, wurde ich auch noch nie getestet. Uns Pflegern hilft kein Klatschen vom Balkon, wir müssen besser bezahlt werden. In meiner Freizeit kann ich mich mit kaum jemandem treffen. Aus Angst, mich zu infizieren und dann andere anzustecken. Wenn ich in der Öffentlichkeit Menschen sehe, die sich nicht an die Regeln halten, werde ich beinahe aggressiv.“

    Der Bürgermeister

    Natur seines Amtes als Bürgermeister ist Christoph Schmid (SPD) immer auch Krisenmanager. Seit 2008 steht er der Gemeinde Alerheim vor. In der Pandemie werden die großen Beschlüsse in Berlin und München getroffen, in den Kommunen aber zeigt sich, wie wirkungsvoll sie sind.

    Christoph Schmid ist seit dem Jahr 2008 Bürgermeister von Alerheim. Auch ohne Corona, sagt er, sei er in seinem Amt immer auch als Krisenmanager gefordert.
    Christoph Schmid ist seit dem Jahr 2008 Bürgermeister von Alerheim. Auch ohne Corona, sagt er, sei er in seinem Amt immer auch als Krisenmanager gefordert. Foto: Jochen Aumann

    „Wir Bürgermeister sind in Ausnahmesituationen immer gefordert. In Fällen, die in keinem Lehrbuch stehen und die schnelles Handeln erfordern. Ich entscheide normalerweise gerne, aber aktuell bin ich dankbar, dass ich die Vorgaben nicht selber machen muss. Es wäre schwierig, wenn jeder Sonnenkönig jetzt eigene Entscheidungen treffen würde. In Alerheim spüre ich wenig Gegenwind für die Maßnahmen. Meine Aufgabe als Bürgermeister ist es, für alle ansprechbar zu sein. Aufgrund ausgefallener Stammtische, Anlieger- und Feuerwehrversammlungen ist das aktuell schwer. Zwar hab ich jetzt viel mehr Freizeit und es ist auch schön, abends öfter bei meiner Familie zu sein. Aber Kommunalpolitik lebt vom persönlichen Austausch. Die Pandemie ist auch für den Gemeindehaushalt belastend. Dieses Jahr ist gut stemmbar. Spannend wird es erst im Jahr 2021. Eine mittelfristige Finanzplanung fällt uns gerade extrem schwer.“

    Der Arzt

    Hausärzte wie Horst Köddermann haben täglich Kontakt mit Kranken. Seit 34 Jahren hat er eine Praxis in Trochtelfingen. Für ihn geht es momentan nicht nur darum, seine Patienten zu behandeln – sondern auch verstärkt darum, sich und andere vor einer Infektion zu schützen. Besonders um psychische Probleme muss sich der Allgemeinmediziner gerade kümmern.

    „Für uns ist die Belastung momentan natürlich höher, das merken wir. In der Praxis sind wir schließlich auch für den Schutz unserer Patienten zuständig und das heißt, dass unsere Arbeit durch die aktuellen Maßnahmen erschwert wird. Das ändert aber definitiv nichts daran, dass diese zu Recht bestehen und notwendig sind. Es gibt zudem viele Berufsgruppen, denen die Vorkehrungen das Leben schwerer machen, denken wir einmal an die Rettungsassistenten. Momentan merken wir auch, dass verstärkt Patienten mit psychischen Problemen zu uns kommen. Die Vereinsamung im Lockdown darf man nicht unterschätzen. Ich versuche dann, auf diese Patienten einzugehen und ihnen ihre Angst ein wenig zu nehmen.“

    Die Erzieherin

    Angelika Lichter und ihre Kollegen in der Kindertagesstätte Sonnenschein in Mönchsdeggingen halten vielen anderen gerade den Rücken frei. Sie betreuen Kinder – was für viele Eltern eine enorme Belastung war, als Schulen und Kindergärten geschlossen waren. Maskenpflicht und Gruppentrennung machen der Erzieherin zu schaffen.

    „Die Masken erschweren uns die Arbeit sehr, ganz sicher vor einer Ansteckung sind wir damit trotzdem nicht. Wir sind am Abend müder als sonst, ich habe häufiger Kopfschmerzen, es gibt weiter viel zu tun. Die Kinder müssen keine Masken tragen, sie sind sehr diszipliniert, halten sich an die Regeln, auch wenn ihnen manche Maßnahmen natürlich auch schwerfallen. Sie waschen sich regelmäßig die Hände und viele von ihnen verstehen auch, warum das nötig ist. Aber wir müssen unsere Gruppen momentan streng voneinander trennen, deshalb fehlen den Kindern natürlich ihre Freunde aus anderen Gruppen. Auch wir Kollegen sehen uns seltener. Unter den Masken fällt es außerdem schwerer, sich zu verstehen. Die Stimmen sind gedämpfter, außerdem ist von der Mimik gar nichts zu sehen. Angst, mich bei der Arbeit anzustecken, habe ich keine. Ich denke, das Risiko ist bei uns gering.“

    Die Polizisten

    Die Polizei überwacht die Corona-Maßnahmen. In Nördlingen gibt es deshalb eine spezielle Streife, in der unter anderem Tanja Donderer und Markus Seel eingesetzt werden. Sie sind viel unterwegs.

    „Wir müssen viel erklären. Manche tragen ihre Maske trotz Pflicht gar nicht oder nicht richtig. Wenn wir sie darauf hinweisen, stellt sich das meist schnell als Versehen heraus. Wichtig ist für uns, dass wir auch außerhalb der Stadt unterwegs sind, damit klar ist, dass wir auf die Regeln achten und sie wichtig sind. Die Disziplin der Menschen ist aktuell gut. Im Dienst müssen wir die ganze Zeit eine Maske tragen, das ist natürlich auf Dauer anstrengend, aber so geht es vielen Menschen. Die Kontrolle der Corona-Beschränkungen kommt zu den üblichen Aufgaben der Polizei hinzu. Dass der Austausch oder der Kaffee zwischendurch mit anderen Kollegen gerade gestrichen ist, ist wirklich schade.“

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