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Nördlingen: Stadtpfarrer missbrauchte Buben: So reagiert die Kirche auf den Fall

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Stadtpfarrer missbrauchte Buben: So reagiert die Kirche auf den Fall

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    Die Kirche St. Salvator in Nördlingen: Der Nördlinger Stadtpfarrer und Dekan Paul Erber hat zugegeben, einen Jungen sexuell missbraucht zu haben.
    Die Kirche St. Salvator in Nördlingen: Der Nördlinger Stadtpfarrer und Dekan Paul Erber hat zugegeben, einen Jungen sexuell missbraucht zu haben. Foto: Dieter Mack (Symbolbild)

    Fassungslosigkeit, Schock, Schockstarre. Es sind immer dieselben Wörter, die in Nördlingen und Mindelheim zu hören sind, wenn es um den katholischen Nördlinger Stadtpfarrer und Dekan Paul Erber geht. Der wurde vom Augsburger Bischof Konrad Zdarsa am Montag von seinen Ämtern entpflichtet und vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Erber hatte eingeräumt, einen Minderjährigen sexuell missbraucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft Memmingen erklärte am Montag auf Anfrage, dass die Tat verjährt sei.

    Der heute 68-jährige Erber arbeitete 13 Jahre lang, von 1983 bis 1996, am Mindelheimer Maristenkolleg und dessen seit 2014 geschlossenen Internat. Laut Staatsanwaltschaft hat er sich zwischen 1983 und 1988 mehrmals an einem in dem Zeitraum über 14-jährigen Buben vergangen. Er habe ihn „oberhalb der Kleidung“ berührt; es handle sich um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen. Sein Opfer lebe nicht mehr in Deutschland.

    Sowohl in Mindelheim als auch in Nördlingen war Erber überaus beliebt. „Das bringt man nicht zusammen. Das ist undenkbar“, sagte der Leiter des Mindelheimer Maristengymnasiums, Gottfried Wesseli, am Montag. Maria Schmölz, Rektorin der Realschule im gleichen Haus, zeigte sich genauso fassungslos. Beide fühlten mit dem Opfer, sagten sie. Sie betonten aber auch, dass es nach derzeitigem Stand keine Übergriffe an ihren Schulen und wohl keine weiteren Opfer gegeben habe.

    Missbrauchsfall von Nördlingen: "Man muss mit solchen Dingen ganz offen umgehen"

    Das Internat war bereits 2010 wegen Missbrauchs von Schülern in die Schlagzeilen geraten. Damals wurde bekannt, dass der langjährige Internatsleiter Frater G. mindestens zwei Internatsschüler missbraucht hat. Er wurde daher zu Bewährungsstrafen verurteilt. Unter anderem deshalb setzt das Maristenkolleg auf Prävention. Mit dem Schulwerk der Diözese Augsburg will es nun einen Elternbrief herausgeben. „Man muss mit solchen Dingen ganz offen umgehen“, sagte Maria Schmölz.

    Das Bistum Augsburg handelte gemäß der „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch“. Nachdem am 6. November sowohl der Bischof als auch die unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Diözese, Brigitte Ketterle-Faber, von der „unbestreitbar erheblichen Grenzverletzung“ Erbers durch ein Schreiben seines Opfers erfahren hatten, wurde die Staatsanwaltschaft – nach Informationen unserer Redaktion am 13. November – eingeschaltet, eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet, ein Gespräch mit Erber geführt und am Sonntag die Gläubigen unterrichtet.

    Für das Bistum Augsburg ist der Fall Auslöser dafür, nun in Zusammenarbeit mit der Missbrauchsbeauftragten rasch aktuelle Zahlen zu derartigen Übergriffen vorzulegen. „Wir bereiten gerade eine Auswertung vor, in der die für die Diözese Augsburg relevanten Zahlen umfangreich dargestellt werden sollen“, sagte Bistumssprecher Karl-Georg Michel auf Anfrage. Die Zahlen sollen den Stichtag 31. Dezember 2017 haben und jeweils jährlich aktualisiert werden. Seit 2010 habe die Diözese Augsburg für 64 Opfer insgesamt 475.000 Euro aufgebracht, unter anderem für Therapiekosten.

    Großteil der Übergriffe zwischen 1961 bis 1980

    Ketterle-Faber wollte eigentlich im Sommer einen aktuellen Bericht veröffentlichen. Der steht ebenso aus wie die Veröffentlichung eines Berichts von ihr, der die Jahre 2013 und 2014 umfasst. Unter anderem deshalb, weil die in ihren Berichten aufgeführten Zahlen mit denen eines „Arbeitsberichts“ ihres Vorgängers „vergleichbar“ gemacht werden sollen. Ketterle-Faber, Rechtsanwältin in Augsburg, war am Montag nicht zu erreichen. Ihr Vorgänger Otto Kocherscheidt, einst Richter am Oberlandesgericht München, hatte in seinem Arbeitsbericht für 2010 55 Fälle „sexueller Verfehlungen“ im Bereich des Bistums Augsburg registriert, 30 für 2011 und 14 für 2012. Der Großteil der Übergriffe geschah demnach zwischen 1961 bis 1980. Kocherscheidt ist inzwischen stellvertretender Missbrauchsbeauftragter. „Jeder Bericht in der Zeitung führt zu neuen Meldungen Betroffener an uns“, sagte er am Montag. Mancher, der als Kind oder Jugendlicher missbraucht worden sei, brauche oft Jahrzehnte, bis er sich einem anderen anvertraue.

    Mit welchen kirchenrechtlichen Konsequenzen – neben strafrechtlichen – Geistliche rechnen müssen, ist von Fall zu Fall verschieden. Selten kommt es vor, dass ein Priester in den Laienstand zurückversetzt wird. Häufiger ist die Kürzung seiner Gehalts- bzw. Ruhestandsbezüge oder Auflagen, wie die, dass ihm jeglicher Kontakt mit Kindern und Jugendlichen verboten wird. Die Entscheidung, wie im Falle Erbers weiter vorgegangen wird, liegt dem Sprecher des Bistums zufolge jetzt „allein“ bei der vatikanischen Glaubenskongregation.

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