Die Entschuldigung kann der 49-Jährige nicht wirklich annehmen: „Es hätte bei mir genauso wie bei der Aktion in Augsburg sein können“, sagt der Zeuge im Gerichtssaal. Er spricht damit den Vorfall vom Dezember 2019 an, als dort ein Feuerwehrmann einen Schlag auf den Kopf bekommen hat und danach starb. Ebenfalls 2019 wurde der Reimlinger in Nördlingen zusammengeschlagen. Weil er Zivilcourage zeigte. Doch das war nicht der einzige Anklagepunkt vor dem Nördlinger Amtsgericht. Was noch geschah und wie das Urteil ausfiel.
Der Vorfall ereignete sich im Oktober 2019. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt zwei junge Männer, einen Arbeiter auf der Baustelle bei St. Georg beleidigt zu haben. Worte und Sätze wie „Missgeburt“, „Menschen wie dich wollen wir hier nicht“ oder „Geh zurück in dein Land“ seien gefallen. Teil eins der Anklage. Teil zwei betrifft den Mann, der Zivilcourage zeigte. Er wollte die Angeklagten bei der Stadtbibliothek zur Rede stellen. Dort schlugen die beiden Angeklagten mit den Fäusten auf ihn ein, sollen mit den Füßen getreten haben und hätten erst abgelassen, als Passanten zu Hilfe kamen, schildert Staatsanwalt Johannes Pausch die Anklage.
Kurz darauf gab es einen erneuten Vorfall in Nördlingen
Ein weiterer Vorfall soll sich rund eine Dreiviertelstunde später zugetragen haben. Vor einem Supermarkt am Rübenmarkt folgten erneut Beleidigungen gegen ein paar Jugendliche, ähnlich denen an der Baustelle: „Geh aus meinem Land, Flüchtling“ oder „Die Stadt gehört mir“. Auch hier folgten Schläge und ein Tritt ins Gesicht. Dazu kommen für den 26-jährigen Angeklagten noch weitere Vergehen, wie Betrug und Diebstahl. Doch das spielt im Verfahren in Saal 109 vor dem Nördlinger Amtsgericht nur bedingt eine Rolle. Und der Punkt der Beleidigung auf der Baustelle ist letztlich für die Strafe nicht einmal relevant, da der Geschädigte keinen Strafantrag stellte.
Die beiden Angeklagten räumen die Taten wie in der Anklageschrift beschrieben ein, nur Fußtritte habe es nicht gegeben. Der 24-Jährige der beiden Angeklagten, der derzeit wegen eines anderen Vorfalls in der Justizvollzugsanstalt (JVA) sitzt, sagt, dass er viel Alkohol getrunken hatte. Zudem habe sich damals die Gerichtsverhandlung abgezeichnet, wegen der er nun im Gefängnis sitzt. „Ich wusste nicht, wie es weitergeht, habe ein Ventil gesucht“, schildert der junge Mann.
Einer der Angeklagten beteuert, keine rechte Gesinnung zu haben
Er räumt auf Nachfrage der Richterin ein, dass die rassistischen Provokationen ohne Anlass gewesen seien. Doch es sei ihm wichtig zu sagen, dass diese Äußerungen nicht zu ihm passen, dass ja viele seiner Freunde Ausländer seien. Das sei keine Überzeugung gewesen, sondern er habe nur „nach dem schnellsten und billigsten Angriffspunkt gesucht“, den er habe finden können.
Staatsanwalt Pausch fragt nach: „Entspricht das Ihrer Gesinnung?“ „Auf keinen Fall“, sagt der 24-Jährige. Der Staatsanwalt hält ihm vor, dass die JVA ihn in seiner Akte als rechtsextrem einstuft, das weist der junge Mann entschieden von sich. Richterin Roser sagt, dass die JVA über die Verhandlung natürlich informiert worden sei. Möglicherweise sei dort jemand etwas voreilig gewesen und habe den Vermerk daher erstellt.
Der Geschädigte schildert, was damals in Nördlingen passiert ist
Dann betritt der Reimlinger den Gerichtssaal. Grauer Pulli, er ist ruhig. Die Antworten sind knapp, nicht immer spricht er einen Satz ganz zu Ende. Auch Richterin Ruth Roser sagt, dass man ihm die Tat noch anmerke. Der 49-Jährige: „Ich war schockiert.“ Er erzählt, wie einer der Arbeiter aufgebracht war, weil sich zwei Personen auf der Baustelle aufhielten und „rechtsradikalen Dreck“ geredet hätten. Er sei den beiden zur öffentlichen Toilette an der Stadtbibliothek nachgegangen. Dort habe ihn einer der beiden angeschrien, ob es ein Problem gebe. „Ich wollte das entschärfen, hab gefragt, weiß nicht, gibt es ein Problem?“ Kurz darauf sei dessen Freund gekommen, habe ihn am Kragen gepackt und „voll durchgezogen“.
Sie hätten ihn zu Boden geschlagen. Er schildert, wie schwierig es für ihn gewesen sei, um Hilfe zu rufen: „Als erwachsener Mann, der normal im Leben steht. Ich bin selbstbewusst, aber in der Öffentlichkeit um Hilfe zu rufen, ist schwer.“ Wer ihn am Boden mit den Füßen getreten hat, kann er nicht mehr sagen, er sei in eine Schutzhaltung gegangen. Aber sein Gefühl sei, dass es beide Männer waren. Einen Tag hat er im Krankenhaus verbracht, einige Tage nicht gearbeitet, sich dann aber in die Arbeit gestürzt. Körperlich gehe es ihm wieder gut, psychisch belaste ihn die Situation noch immer. Wenn er auf eine öffentliche Toilette gehe, kämen die Gedanken an diesen Tag wieder hoch.
Der Staatsanwalt findet nicht, dass der Täter-Opfer-Ausgleich zustande gekommen ist
Die Angeklagten wenden sich vor Gericht an den Mann, bei der ersten Entschuldigung verweist der Reimlinger noch auf den Feuerwehrmann in Augsburg, bei der zweiten schnauft er nur, sagt nichts und blickt zur Decke. Der 24-Jährige schrieb aus der JVA einen Brief und überwies zunächst 2000 Euro. Ein Versuch des Täter-Opfer-Ausgleichs, um eine Strafmilderung zu erreichen.
Das Schreiben dazu unterzeichnete der Geschädigte, sich wirklich damit beschäftigt hat er nicht. Staatsanwalt Pausch sieht hier nur einen formellen Akt, der nichts mit einer Aussöhnung zu tun habe. Die Anwältin des 24-Jährigen, Bettina Grupp, sagt, ihr Mandant habe getan, was er im Rahmen seiner Möglichkeiten tun konnte, und das sei zu berücksichtigen.
Auch die Personen, die vor dem Supermarkt verprügelt wurden, sagen aus. Hier habe vor allem der 26-Jährige zugeschlagen und einen der jungen Männer mit dem Fuß getreten, noch immer hat der 17-jährige Zeuge eine Narbe am Kinn.
Für einen der Angeklagten sieht der Staatsanwalt Fluchtgefahr
Staatsanwalt Pausch sieht die Vorfälle als so schwerwiegend an, dass sie gerade noch am Nördlinger Amtsgericht und nicht schon am Landgericht verhandelt werden. Er ist trotz der Dementis der Angeklagten überzeugt, dass es Fußtritte gab, der 49-Jährige habe keinen Belastungseifer gezeigt. Dennoch hätten die beiden die Vorfälle weitestgehend eingeräumt. Zu Lasten der Angeklagten sieht er die Vorstrafen. Die beiden Männer haben sieben beziehungsweise neun Vorstrafen, bei beiden gab es schon Körperverletzungen.
Zwar wären die beiden unter Alkoholeinfluss gestanden, aber die Tat gegenüber dem 49-Jährigen sei an Rohheit kaum zu überbieten gewesen. Zum 24-Jährigen und dessen Abstreiten rechter Gesinnung sagt der Staatsanwalt: „Entweder sind Sie ein Menschenfeind oder ein Ausländerfeind, eines müssen Sie bejahen.“ Zudem beantragt Pausch Untersuchungshaft für den 26-Jährigen anzuordnen, da Fluchtgefahr bestehe. Die sieht dessen Anwalt Sven Gaudernack als nicht gegeben an, da sein Mandant ja keine Mittel habe, um sich abzusetzen.
Das Gericht verurteilt die beiden Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu jeweils drei Jahren und fünf Monaten Haft. Die aktuelle Strafe des 24-Jährigen wird in diese miteinbezogen. „Es war eine rohe Vorgehensweise, auf einen am Boden liegenden Mann einzutreten. Der Mann könnte tot sein“, sagte Richterin Roser. Zudem ordnet das Schöffengericht aufgrund der Suchterkrankungen bei beiden die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Die Urteile sind rechtskräftig. Zudem wurde im Nachgang der Verhandlung Untersuchungshaft für den 26-Jährigen angeordnet.
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