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Nördlingen: Nördlinger Chefarzt: „Tübinger Modell ist völliger Quatsch“

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Nördlinger Chefarzt: „Tübinger Modell ist völliger Quatsch“

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    Der ärztliche Direktor des Nördlinger Stiftungskrankenhauses (siehe Bild), Professor Dr. Bernhard Kuch, rechnet mit schweren Corona-Verläufen, die es die nächste Zeit auf den Intensivstationen zu behandeln gilt. Immer mehr Personal falle aus, darunter Pflegekräfte und Ärzte, sagt er. Die Politik müsse handeln.
    Der ärztliche Direktor des Nördlinger Stiftungskrankenhauses (siehe Bild), Professor Dr. Bernhard Kuch, rechnet mit schweren Corona-Verläufen, die es die nächste Zeit auf den Intensivstationen zu behandeln gilt. Immer mehr Personal falle aus, darunter Pflegekräfte und Ärzte, sagt er. Die Politik müsse handeln. Foto: Jochen Aumann

    Die Corona-Fallzahlen steigen wieder. Im Landkreis Donau-Ries liegt der Corona-Inzidenzwert über 200. Am Dienstag waren kreisweit nur zwei Intensivbetten von 24 frei. Gehen Sie davon aus, dass sich die Lage auf den Intensivstationen verschlimmern wird? Oder helfen die Corona-Impfungen?

    Prof. Dr. Bernhard Kuch: Sie wirken. Der Schutz der älteren Bevölkerung scheint gegeben zu sein, es kommen weniger. Das ist auf der einen Seite schön, auf der anderen Seite gibt es uns auch zu denken, denn jetzt behandeln wir die 50- bis 65-Jährigen. Es gab aufgrund der steigenden Fälle am Freitagabend eine Regierungsverordnung. Eigentlich hätte ich Urlaub gehabt, aber ich war jeden Tag in der Klinik, um die Verordnung umzusetzen. In der Verordnung geht es darum, dass wir operative Eingriffe runterfahren müssen, weil im Großraum Augsburg erkannt wurde, dass es auf den Intensivstationen brisant wird. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, wir erwarten, dass es durch die steigende Inzidenz die nächsten zwei, drei Wochen noch brenzliger wird.

    Auch mit schweren Verläufen auf den Intensivstationen?

    Kuch: Auch mit schweren Verläufen. Wir haben gestern einen Patienten auf die Intensivstation genommen, der bekommt hochdosiert Sauerstoff und dann die Beatmung mit Maske (nichtinvasiv). Sobald er an die Beatmungsmaschine muss, wird es für den Patienten schwieriger.

    Prof. Dr. Bernhard Kuch, Ärztlicher Direktor am Nördlinger Stiftungskrankenhaus.
    Prof. Dr. Bernhard Kuch, Ärztlicher Direktor am Nördlinger Stiftungskrankenhaus. Foto: gKU

    Weil die künstliche Beatmung die Lunge schädigt?

    Kuch: Ja, jede invasive Beatmung führt zusätzlich zu einer Lungenschädigung. Wenn ein Covid-Patient intubiert und künstlich beatmet werden muss, ist das immer ein extrem kritischer Punkt. Diese Patienten haben eine extrem hohe Sterblichkeit. Wenn sie überleben, werden sie mit Langzeitfolgen zu kämpfen haben.

    Nördlinger Chefarzt hält Tübinger Modell für "völligen Quatsch"

    Also sind Kontaktbeschränkungen weiter zwingend notwendig, um die Intensivstationen vor einem Kollaps zu bewahren?

    Kuch: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Notbremse politisch unbedingt umgesetzt werden muss. Da ist die letzten Wochen viel versäumt worden. Wie sie umgesetzt werden soll, da kann man im Einzelnen viel diskutieren, das ist unglaublich schwierig. Ich habe das Gefühl, dass die Botschaft an die Bevölkerung das Problem ist. Meines Erachtens waren die Öffnungsdiskussionen ein großer Fehler. Dann ist man von einer 50er-Inzidenz auf eine 100er gegangen und das Testen ist ein völliger Wahnsinn. Das Tübinger Modell ist völliger Quatsch. Viel testen ist wichtig, um Infektionsketten zu unterbinden, aber nicht, um Partys zu feiern.

    Also wird für den falschen Zweck getestet?

    Kuch: Das Problem ist, man wiegt sich in falscher Sicherheit bei den Antigentests, es gibt zu viele falsch negative Testergebnisse. Uns muss es gelingen, die nächsten Wochen durchzukommen. Die Impfkampagne scheint anzuziehen. Das bringt uns raus aus dem Ganzen. Wenn die Jüngeren geimpft werden, dazu gibt es gute Studiendaten aus Israel und Großbritannien, könnte auch die Übertragung deutlich reduziert werden. Wenn alle, die arbeiten und draußen sind, geimpft sind, dann geht das runter. Der stärkere Lockdown ist wichtig, dass wir das in den Kliniken bewältigen können und irgendwann aufatmen können.

    Was ist das größte Problem auf den Intensivstationen?

    Kuch: Wir haben ein Personalproblem. Die Folgen der Pandemie und auch die Belastung aus den Vorjahren bekommen wir jetzt zu spüren. Das liegt daran, dass wir im Pflegepersonal Langzeitkranke haben, wir haben viele Teilzeitangestellte und die reduzieren noch mehr.

    Nicht nur Pflegekräfte sind überlastet, sondern auch die Ärzte

    Weil Sie bekanntlich überlastet sind, wie das Personal am Montag beim Protest in Oettingen gezeigt hat?

    Kuch: Ja, die Folgen der Pandemie und der verstärkten Arbeitsbelastung spielen eine wesentliche Rolle. Dadurch hat man zu wenig Intensivpflegepersonal. Es sind aber auch Ärzte betroffen. Auch hier ist eine Überlastungssituation da.

    Was hilft gegen die Probleme?

    Kuch: Jede OP, die potenzielle Intensivpflichtigkeit nach sich zieht, machen wir schon länger nicht mehr, um die Intensivstationen freizuhalten. Was jetzt aber gravierend hinzukommt: Wir brauchen mehr Personal auf der Intensivstation, um die Zahl der Betten auch nutzen zu können. Weil die Ausbildung ähnlich wie in der Intensivpflege ist, setzen wir dort jetzt auch Anästhesie-Pflegepersonal ein. Um das Personal freizubekommen, werden die Operationen reduziert. Das ist sehr bedauerlich, weil Eingriffe verschoben werden müssen. Notfallbehandlungen werden aber auf jeden Fall durchgeführt.

    Welche Perspektive gibt es für die Pflegekräfte?

    Kuch: Ich hoffe, dass politisch gehandelt wird, weil wir zu wenig Pflegepersonal haben. Weil zu wenig getan wird, um den Beruf attraktiv zu machen. Vor zehn Jahren hätten Sie in Nördlingen keinen einzigen Covid-Patienten längerfristig behandeln können. Das ist noch nicht so lange her, da gab es keine Intensivstation, das haben wir alles aufgebaut. Wir hatten in der internistischen Abteilung sechs Assistenzärzte vor zehn Jahren, jetzt haben wir 19, weil wir unter anderem die Intensivstation im 24-Stunden-Betrieb betreuen und es sonst gar nicht anders geht. Es gab ja große Bestrebungen in der Politik, die kleineren Krankenhäuser zu schließen. Da war der Gedanke, dass mehr Ärzte und Pflegepersonal für die großen zur Verfügung steht. Die jetzige Lage hat gezeigt, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Sie müssen auch auf dem Land hochwertige Intensivmedizin gewährleisten. Ich hoffe, dass da in Zukunft wirklich was geschieht. Im Vergleich zu anderem qualifizierten Personal ist die Bezahlung in der Pflege nicht adäquat. Ich denke auch, dass die meisten Patienten mehr Geld bezahlen würden. Wenn ich ins Krankenhaus will, will ich die optimale Behandlung.

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