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Nördlingen: Der Bewahrer des Daniels

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Der Bewahrer des Daniels

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    Trifft man Michael Scherbaum in der Stadt, ist er selten weiter als 50 Meter entfernt von seinem Lebenswerk, der sanierten Georgs-Kirche und dem Daniel. Am Dienstag wird er 80 Jahre alt.
    Trifft man Michael Scherbaum in der Stadt, ist er selten weiter als 50 Meter entfernt von seinem Lebenswerk, der sanierten Georgs-Kirche und dem Daniel. Am Dienstag wird er 80 Jahre alt. Foto:  Ronald Hummel

    Michael Scherbaum wird am kommenden Dienstag 80 Jahre alt; zeitlebens wuchs er in seine Bestimmung als Steinmetz und Restaurator hinein: Sein Vater war Bildhauer und Maler. Er erzählte den Kindern, die in Irschenhausen im Isartal aufwuchsen, viel von seiner Arbeit, wollte aber, dass sein Sohn Michael ein solides Handwerk erlernte. So machte dieser eine Lehre als Kirchenmaler, wobei er seine Liebe zum Stein an historischen Bauten entdeckte. Also schloss er eine Lehre zum Steinmetz und Steinbildhauer in München an, Fachrichtung historisches Restaurieren an Bauwerken. „Ich wollte vom Verfall bedrohten Baudenkmälern einen Liebesdienst angedeihen lassen“, beschreibt der ansonsten resolute, bodenständige und hoch vitale Mann poetisch seine Lebensaufgabe.

    Seine Wanderjahre führten ihn nach Kelheim zur Befreiungshalle, in die Dombauhütte Regensburg und nach Barcelona zur Sanierung des Kolumbus-Denkmals. Die Suche nach immer größeren, schwierigeren Herausforderungen führte ihn in den 60er Jahren schließlich zum Nördlinger Daniel und er packte die Langzeitaufgabe der Sanierung an, unterstützt vom damaligen Oberbürgermeister Dr. Hermann Keßler, der den Turm bereits hatte einrüsten lassen. 1970 gründete er die St.-Georgs-Bauhütte, anfangs mit sieben Mitarbeitern, deren Zahl bis auf 27 anwuchs. Zahlreiche Lehrlinge bildete er aus, die als Gesellen wiederum bis heute ihren Beitrag zur Sanierung von Turm und Kirche leisten und generell als Steinmetze die Baukunst der Region bereichern.

    Um den bedrohten Bestand des Daniels zu sichern, wandte er das Konzept der Ummantelungstechnik nach dem Vorbild des Regensburger Doms an: Schadhaftes Material, vor allem poröser Suevit-Mörtel aus dem späten 19. Jahrhundert wurde entfernt, Zementplomben eingesetzt, die Quader Stück für Stück mit verbessertem Suevit-Mörtel so umkleidet, dass kein Unterschied zum Original aus dem 15. Jahrhundert sichtbar blieb. Zierstücke wie die kleinen Fialen-Türme galt es, originalgetreu nachzubilden, und zwar mit nachgeschmiedeten Werkzeugen in mittelalterlicher Bauweise.

    Michael Scherbaum restaurierte auch den Chor der St.-Georgs-Kirche

    Als Material wählte er den härtesten Stein, der aus der Kulturgeschichte des Rieses bekannt war – Mainsandstein, aus dem extrem abriebfeste Mühlsteine bestanden. Dass sich das helle Material vom Suevit abhebt, kommt der Philosophie der damaligen Stadtväter entgegen: „Es sollte ablesbar bleiben, wie mittelalterliche Bau- und Handwerksweise in die Neuzeit übertragen wurde.“

    1982, nach fast 20 Jahren, wurde der Daniel wieder abgerüstet. Scherbaums Bauhütte war da schon die Aufgabe übertragen worden, den Chor der Kirche zu restaurieren. Von der Statik her war dies eine völlig neue Aufgabe, Scherbaum konferierte vor Ort mit Statikern, Denkmalschützern, Mineralogen, Geologen und anderen Fachleuten. „Dabei habe ich viel gelernt und konnte andererseits auch viel von meiner tief verwurzelten Praxis einbringen“, erinnert er sich. Nach wie vor las er die mittelalterliche Bautechnik am Stein ab und setzte sie um, übertrug beispielsweise das Maßwerk der Fenster 1:1 mit dem Zirkel auf den Reißboden in seinem historisch perfekt restaurierten, mit dem Denkmalpreis ausgezeichneten Gerberhaus, das er mit seiner Frau Sabine Scherbaum bewohnt.

    Scherbaum war mit zahlreichen Fachpublikationen, mit seinen Vorträgen gefragt, aber auch mit der Anwendung seiner Erfahrung – von Arbeiten an vielen historischen Gebäuden im südbayerischen Raum bis zur Untersuchung der Memnon-Kolosse in Ägypten oder der Trümmerteile der seinerzeit von den Taliban zerstörten weltgrößten Buddha-Statuen in Afghanistan. Ausgezeichnet wurde er mit der Großen Silbernen Ehrennadel des Bundesverbandes der Restauratoren und dem Ehrenbrief der Stadt Nördlingen. Ruhestand kennt er nicht wirklich: „Ich bin ein Mensch, der immer eine Aufgabe braucht.“ So trägt er derzeit mit seinen Erfahrungen zur Restaurierung der einsturzgefährdeten Mariensäule in Eichstätt bei.

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