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Nördlingen: Corona-Stille in Nördlingen: Wenn der Ruf des Türmers nicht erwidert wird

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Corona-Stille in Nördlingen: Wenn der Ruf des Türmers nicht erwidert wird

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    Alles im Blick: Türmer Horst Lenner betrachtet das Ries von der Kanzel des Daniel aus. Ihm fehle das Gewusel in der Stadt, erzählt er. Wegen der Sperrstunde dürfen Bürger nach 21 Uhr aktuell nur mit einem triftigen Grund das Haus verlassen.
    Alles im Blick: Türmer Horst Lenner betrachtet das Ries von der Kanzel des Daniel aus. Ihm fehle das Gewusel in der Stadt, erzählt er. Wegen der Sperrstunde dürfen Bürger nach 21 Uhr aktuell nur mit einem triftigen Grund das Haus verlassen. Foto: David Holzapfel

    Woher das Geräusch auf der Kanzel kommt? Ein Tourist kann es jedenfalls nicht verursacht haben. Es ist Donnerstag, 22 Uhr, und überhaupt, die Pandemie. Wendelstein war es auch nicht, die Katze liegt zusammengerollt auf dem Holztisch der Türmer-Wohnung und schnurrt. Türmer Horst Lenner steigt die letzten Stufen des Daniel empor und tritt hinaus in die kalte Nachtluft. Plötzlich zuckt er zusammen. Ein Flattern in einer Mauernische, Flügel schlagen, sie sind viel zu groß für die einer Taube. Dann sieht man sie: eine weißgefiederte Eule erhebt sich in den Himmel über die Dächer des Rieses. Der Mond scheint. Eigentlich ist es viel zu kitschig, um wahr zu sein.

    Der Beruf des Türmers ist dieser Tage ein stiller. Wo sich in normalen Zeiten rund 50.000 Touristen jährlich die engen Wendeltreppen des Nördlinger Turm Daniel hochschleppen, ist Horst Lenner aktuell alleine. Einsam fühlt er sich trotzdem nicht. Ist er ja auch in bester Gesellschaft: Wendelstein, jede Menge Tauben und, eben: eine Eule. „Aber es ist schon schade“, sagt Lenner. Er hofft, dass Ende Februar oder Anfang März Besucher kommen dürfen. Dann wieder im Zwei-Stunden-Takt, wie in der Zeit zwischen erstem und zweitem Lockdown. Mit Maskenpflicht, Abstandsregeln und Desinfektionsspendern im Turm.

    Türmer in Nördlingen: Keine Touristen, aber von Langeweile keine Spur

    Vorerst aber: Keine Touristen. Auch von Langeweile keine Spur. Da wären zum einen die Wetteraufzeichnungen, die der Türmer regelmäßig machen muss. Noch viel wichtiger: „Jemand muss sich ja auch um Wendelstein kümmern.“

    22.30 Uhr, Zeit für den „so G’sell so“-Ruf. Lenner öffnet das Fenster der Turm-Stube, der Wind trägt seine Stimme in die Nördlinger Altstadt. Kurz bleibt der Türmer stehen und lauscht. Nix los heute. Wo sonst oft ein erheiterndes Echo gen Turmspitze schallt, verursacht von Touristen oder einheimischen Partygängern, bleibt es jetzt still. „Corona-Ruhe“, sagt Lenner und schließt das Fenster.

    Der gebürtige Nördlinger ist seit zehn Jahren Türmer. Er ist die insgesamt 350 Stufen des Daniel schon unzählige Male emporgestiegen, meistens hört er dabei Rock ’n’ Roll. „Kein Elvis, lieber die Beatles oder Rolling Stones.“ Lenner vermisst den Trubel fernab der Pandemie. Ein kurzer Plausch mit einer aufgedrehten Schulklasse hier, ein kleiner Scherz mit erschöpften Touristen da: Wer Türmer werden will, muss Menschen mögen.

    Turmkatze Wendelstein leistet dem Türmer Gesellschaft

    Weil die im Moment fernbleiben, haben zunehmend Vögel den Turm für sich entdeckt. Das ist vor allem an den Tauben-Exkrementen auf dem Boden zu sehen. Wendelstein sorgt gnädig dafür, dass die Verschmutzung nicht überhand nimmt. Im Nördlinger Etat hat die Turmkatze einen eigenen Posten, „Taubenabwehr“ heißt es da nüchtern.

    Auch die Katze spürt, dass gerade alles anders ist. „Wendelstein ist aktuell schon öfter alleine“, sagt Lenner, während er ihr Fell krault. Es werde sich dennoch gut um sie gekümmert. „Sie ist ja schließlich meine Freundin. Das darf ich jetzt nur meiner richtigen nicht erzählen“, sagt er und lacht.

    In Pose: Die Turmkatze Wendelstein weiß sich gekonnt in Pose zu setzen. „Sie ist ein Medienprofi“, sagt Türmer Horst Lenner.
    In Pose: Die Turmkatze Wendelstein weiß sich gekonnt in Pose zu setzen. „Sie ist ein Medienprofi“, sagt Türmer Horst Lenner. Foto: David Holzapfel

    Die Katze ist im Internet ein Star. Zahlreiche Zeitungen und Fernsehsender berichteten bereits über sie. Die angenehme Folge für Wendelstein: Touristen brachten ihr oft Katzenfutter mit auf den Turm. Das zusätzliche Essen fehlt aktuell, hungern muss sie dennoch nicht. Ein Regal in der Türmer-Wohnung ist ausschließlich für Dosenfutter reserviert.

    Dort oben, auf dem Daniel, steht man immer auch ein bisschen über den Dingen; gerade jetzt. Die Straßen Nördlingens sind menschenleer, irgendwo schlängelt sich einsam ein Polizeiauto den Weg durch die Altstadt. Das Ries, es wirkt wie eingefroren. „Da kann man schon traurig werden“, sagt Lenner noch, bevor es ihn wieder ins Warme treibt. Wendelstein hat Hunger.

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