Startseite
Icon Pfeil nach unten
Nördlingen
Icon Pfeil nach unten

Landkreis: Rassismus: Vier Menschen aus der Region erzählen

Landkreis

Rassismus: Vier Menschen aus der Region erzählen

    • |
    Mimo Ghonim (o.l.) , Joana Reisner (o.r.), Steven Asumang (u.r.) und Stanley Eboehi (u.l.) aus dem Landkreis haben sich zum Thema Rassismus geäußert.
    Mimo Ghonim (o.l.) , Joana Reisner (o.r.), Steven Asumang (u.r.) und Stanley Eboehi (u.l.) aus dem Landkreis haben sich zum Thema Rassismus geäußert. Foto: Milde, Ensinger, Asumang, Holzapfel

    Mimo Ghonim: „Das Wort Rassismus wird oft missbraucht“

    Mimo Ghonim, Jahrgang 1983, wurde in Kairo geboren, wuchs in Ägypten und Italien auf und hat auch beide Staatsbürgerschaften. In Italien studierte er Psychologie, ehe er 2012 nach Nördlingen kam, wo er sieben Jahre lang als Wirt des Café Radlos vor allem für gute Livemusik stand. Seit einem halben Jahr ist er Pächter des Wein-Stäpfele im Hotel Sonne und arbeitet außerdem im Außendienst eines Unternehmens, das vor allem Hygienesysteme vertreibt.

    „Ob man manche Äußerungen als rassistisch empfindet oder nicht, hängt mit dem Menschen zusammen, der dir gegenübersitzt. Wenn ich mit ihm diskutieren kann, versuche ich ihn davon zu überzeugen, dass die Qualität eines Menschen vor allem nicht von der Hautfarbe, aber auch nicht von der religiösen oder politischen Einstellung abhängt. Wenn ich merke, dass das keinen Sinn hat, breche ich das Gespräch ab und gehe. Da bin ich mittlerweile sehr konsequent geworden. Das war vor zehn Jahren noch anders, also etwa zu der Zeit, wo ich gerade nach Nördlingen gekommen bin.

    Der Begriff Rassismus werde oft für Vorfälle missbraucht, die damit überhaupt nichts zu tun haben, glaubt Mimo Ghonim.
    Der Begriff Rassismus werde oft für Vorfälle missbraucht, die damit überhaupt nichts zu tun haben, glaubt Mimo Ghonim. Foto: Robert Milde

    Gibt es in Nördlingen oder im Ries wirklich Rassismus? Ich glaube, dass das Wort oft missbraucht wird für Vorfälle, die mit Rassismus überhaupt nichts zu tun haben. Ist es wirklich Rassismus, wenn ein Wirt zwei völlig betrunkene farbige Gäste, die nur noch dummes Zeug reden, aus dem Lokal wirft? Ich glaube nicht. Ist es Rassismus, wenn ich einen afrikanischen Jobinteressenten nicht einstelle, weil er beim ersten Mal überhaupt nicht kommt und beim zweiten Mal nach einer Viertelstunde leichter Arbeit über Rückenschmerzen klagt? Wohl auch nicht.

    Wenn du in eine Kleinstadt wie Nördlingen kommst, dann wirst du von allen beobachtet, was du tust, ob du arbeitest, wie du mit den Menschen umgehst. Ich habe von Anfang an hier hart gearbeitet und bin wohl auch deswegen sehr schnell akzeptiert und respektiert worden. Nicht zuletzt deshalb ist Nördlingen meine zweite Heimat geworden, und ich lebe, wohne und arbeite gerne hier.

    Die Hautfarbe entscheidet nicht darüber, was ein Mensch ist oder aus sich macht, zumindest nicht hierzulande. Trotzdem hat es einmal einen Vorfall gegeben, den ich nie vergessen werde. Ich stand mit dem Auto an einer Ampel in Nördlingen, und eine alte Frau hatte mit dem Rollator sichtlich Probleme, über den Zebrastreifen zu kommen. Ich bin ausgestiegen und wollte ihr helfen, aber sie hat mich mit den Worten zurückgewiesen: Von solch einem Neger lass’ ich mich doch nicht über die Straße bringen. Ich war so perplex, dass ich lauthals gelacht habe.

    Aber das war ein Einzelfall. Nein, ich glaube, Nördlingen ist ganz weit weg von wirklichem Rassismus. Man muss die Spielregeln eines Landes beachten, das ist klar. Ich bin hier mehr integriert als mancher Nördlinger (lacht)und habe auch bei meiner Stadtratskandidatur Anfang des Jahres sehr viel Zuspruch und Unterstützung erfahren.“ (rom)

    Joana Reisner: "Ich bin Deutsche und vertraue auf Toleranz"

    Joana Reisner wurde im Dezember 1997 in Haiti geboren und als knapp Zweijährige von einem Ehepaar aus Rain adoptiert. Dort ist sie aufgewachsen. Die Kauffrau im Gesundheitswesen lebt heute im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen zusammen mit ihrem (hellhäutigen) Mann und der gemeinsamen drei Monate alten Tochter.

    „Ich bin als Kind ganz unbeschwert aufgewachsen, wir sind zu Hause sehr offen mit meiner Herkunft umgegangen. Natürlich haben mich schon im Kindergarten, später in der Schule, die anderen gefragt, warum ich anders aussehe. Das war aber kein Problem für mich. Das war die ganz natürliche Neugierde von Kindern. Irgendwann später hat diese Frage schon genervt, weil sie mir ja immer wieder gestellt wird. Aber dahinter steckt ja auch ehrliches Interesse.

    Wirklich krasse Vorfälle von Diskriminierung sind mir nicht passiert, aber auch ich hatte Erlebnisse, bei denen ich beleidigt wurde und Menschen mir Angst gemacht haben. Ich war in der dritten Klasse, als mit beim Heimgehen zwei Jungs den Weg versperrt haben und mich angegangen sind: ,Hey du, wie schaust du denn aus und wo kommst du überhaupt her?‘ Sie wollten mich lange nicht durchlassen. Meine Mama hat dann später den Vorfall meiner Lehrerin gemeldet. Daraufhin haben die Jungs richtig Ärger bekommen und mussten eine Entschuldigung schreiben.

    Joana Reisner aus Rain: Deutschland ist die Heimat der 22-Jährigen. Trotzdem ist ihre Hautfarbe mitunter ein Thema.
    Joana Reisner aus Rain: Deutschland ist die Heimat der 22-Jährigen. Trotzdem ist ihre Hautfarbe mitunter ein Thema. Foto: Ensinger

    Später ist es immer wieder mal vorgekommen, dass mir Leute im Vorbeigehen das Wort „Neger“ zugezischt haben. Mit einem verächtlichen Unterton. Das tut weh! Da hab ich mich richtig schlecht gefühlt, weil ich so etwas nicht verstehen kann.

    Als eher kurios empfinde ich das Verhalten eines Mannes, der Gast in einem Lokal war, in dem ich als Jugendliche gejobbt hab. Er hat mich in seltsam gebrochenem Deutsch nach der Toilette gefragt. Als ich ihm dann ganz normal geantwortet habe, hat er sich sehr gewundert und gesagt: „Oh, Sie sprechen aber gut Deutsch.“

    Auch im eigenen Verwandtenkreis hat es mitunter Situationen gegeben, die mich gekränkt haben. Da ist es schon vorgekommen, dass bei Feiern in größerer Runde abfällige Bemerkungen über Menschen mit dunkler Hautfarbe gefallen sind – trotz meiner Anwesenheit. Die waren nicht gegen mich gerichten – aber sie haben mich verletzt. Ich hab mir vorgenommen, Diskriminierungen nicht zu nah an mich heranzulassen. Ich sag mir immer: Solche Menschen, die das tun, sind Idioten. Trotzdem gibt es innerlich schon Stiche. Ich bin Deutsche, und es tut weh, wenn jemand meint, er muss mich aufgrund meiner Hautfarbe beleidigen.

    In Passau und München, wo ich gearbeitet hab, ist die Gesellschaft internationaler. Da war ich nicht die ,Exotin‘. Ich hatte Mitbewohner, Kollegen und Bekannte aus China, Russland, Japan, Bosnien oder anderen Staaten.

    Alles in allem fühle ich mich sicher in Deutschland, vertraue darauf, dass das extreme Rassismus-Problem, wie es sich jetzt in den USA gezeigt hat, ein amerikanisches Phänomen ist. Natürlich haben es dunkelhäutige Menschen auch bei uns schwerer, aber ich glaube insgesamt an Toleranz und ein gutes Miteinander in Deutschland.“ (wüb)

    Steven Asumang: "Rassismus muss erst richtig definiert werden"

    Steven Asumang ist 28 Jahre alt, in Deutschland geboren, dunkelhäutig und von einer Donauwörtherin adoptiert worden. Aufgewachsen in der Parkstadt, nach dem Abitur zum Studium nach Augsburg gezogen und aktuell in Donauwörth als Marketingleiter tätig.

    „Als Dunkelhäutiger in einer zum Großteil weißen Stadt aufzuwachsen, bedeutet vorerst, anders wahrgenommen zu werden, ohne wirklich anders zu sein. So weltoffen zu sein und keine Farbe zu sehen, schafft in der Realität niemand, zumindest nicht von Beginn an. Dies zu erwarten halte ich für naiv und ebenso kontraproduktiv, da uns ja auch Unterschiede ausmachen. Rassismus ist es für mich erst dann, wenn aus dem Schubladendenken heraus agiert oder reagiert wird. Angefangen mit einer vermeintlichen Unschuldsvermutung, ob ich überhaupt die deutsche Sprache spreche, oder Extrembeispielen, wie verbalen oder physischen Attacken, habe ich mich früh mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Denn Rassismus gibt es auch bei uns in Donauwörth.

    Steven Asumang nutzt seinen deutschen Namen Stephan Asumang-Schürmann für Bewerbungen, um nicht aussortiert zu werden.
    Steven Asumang nutzt seinen deutschen Namen Stephan Asumang-Schürmann für Bewerbungen, um nicht aussortiert zu werden. Foto: privat

    In der Mittelstufe fiel ich des Öfteren ein paar Mitschülern zum Opfer. Rassistische Beleidigungen wie das N-Wort – auf dem Pausenhof oder auf die Tafel geschrieben – waren an der Tagesordnung. Überforderte Lehrer, Schulkonferenzen und halb gare Lösungsansätze, die oft nicht mal bis zum Ende des Schuljahres hielten, waren das Ergebnis.

    Ein regionaler Klub hat mir bei meinem ersten Besuch den Eintritt verweigert. Es war der Geburtstag einer Freundin, über zehn Leute, alle weiß, ich schwarz – und bei mir wurde Halt gemacht. Erst nach Diskussionen meiner Freunde mit dem Türsteher, dass ich „Deutscher“ sei und alle ein Auge auf mich werfen würden, wurde mir Einlass gewährt. Direkter wird es, wenn ich an meine erste Jugendliebe denke. Der Vater des Mädchens hat klargemacht, dass er nicht will, dass seine Tochter mit einem Schwarzen zusammen ist. Das sind nur ein paar Beispiele vieler negativer Erfahrungen, die ich verstärkt in meiner Jugend machen musste. Später, an der Uni oder auch in der Arbeitswelt, war dieser Umgang nicht so ausgeprägt. Vieles läuft international ab, da ist es nicht so besonders, eine andere Hautfarbe zu haben.

    Rassismus fängt für mich nicht erst bei extremen Gewaltverbrechen gegen Dunkelhäutige an. Natürlich muss man Rassisten auch von – oft unüberlegt gesagten – rassistischen Begriffen trennen, es ist aber dennoch beides Rassismus, da es den Empfänger trifft und nicht den Sender. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass in meiner Zeit als Heranwachsender der Umgang mit Gleichaltrigen, deren Eltern ihre Kinder über Rassismus aufgeklärt haben, einfacher war, als mit denen, bei denen das Thema im Elternhaus nie eine Rolle gespielt hat. Für die aufgeklärteren Kinder war meine Hautfarbe nie wirklich ein Problem. Deshalb finde ich es wichtig, erst einmal diesen Begriff klar zu definieren, bevor eine Diskussion darüber geführt wird, wie Rassismus verhindert werden kann oder warum er immer noch tagtäglich unter dem Radar der Allgemeinheit passiert. Die Ausmaße der Proteste in den USA zeigen die Reaktionen auf den Extremfall. Wir sollten es gar nicht erst so weit kommen lassen. Rassismus ist breiter als diese Extremfälle. Deswegen wünsche ich mir, dass Menschen zuhören, um zu verstehen, und nicht nur, um zu antworten. (fene)

    Stanley Eboehi: "Manche sagen: Pack deine Sachen und geh"

    Stanley Eboehi wurde in Nigeria geboren und ist 29 Jahre alt. Vor etwa fünf Jahren kam er über das Mittelmeer nach Deutschland, seit drei Jahren lebt er in einer Nördlinger Asylbewerberunterkunft. Seine Frau und seine zwei Kinder leben in Stuttgart. Sehen kann Eboehi sie aktuell nicht – aus „bürokratischen Gründen“, wie er sagt. In Nigeria hat Eboehi einen Hochschulabschluss, in Deutschland wechselnde Jobs als Hilfskraft. Er spricht Englisch, seine Erzählungen wurden daher von unserer Redaktion ins Deutsche übersetzt.

    „Zuerst möchte ich sagen: Rassismus ist und war schon immer ein sehr großes Problem. Er ist bei weitem kein neues Phänomen. Wenn mich persönlich jemand rassistisch behandelt, dann trifft mich das aber nicht mehr. Ich bin es gewohnt, dass Menschen aufgrund meiner Hautfarbe nicht mit mir sprechen wollen. Für mich und alle anderen Schwarzen ist das nichts Neues.

    Stanley Eboehi lebt in einer Nördlinger Flüchtlingsunterkunft. Er hat keine Lust mehr, gegen Rassismus anzukämpfen.
    Stanley Eboehi lebt in einer Nördlinger Flüchtlingsunterkunft. Er hat keine Lust mehr, gegen Rassismus anzukämpfen. Foto: David Holzapfel

    In Nördlingen habe ich mehr Rassismus erlebt, als an anderen Orten. Das macht sich an Kleinigkeiten fest: Wenn Menschen auf der Straße nicht zurück grüßen. Wenn sich weiße Leute im Zug wegsetzen, sobald ich ins Abteil komme. Manche sagen: Pack deine Sachen und geh zurück in dein Heimatland. Mir kommt es so vor, als wollten sie keinen Kontakt mit mir, nicht mit mir in Verbindung gebracht werden. Ich habe doch überhaupt keine Chance auf Integration, wenn niemand mit mir sprechen will. Was ich aber auch betonen will: Nicht jeder, den ich bisher in Nördlingen kennengelernt habe, behandelte mich schlecht. Es gibt hier auch gute Menschen, Menschen, die mir helfen wollen und mich willkommen heißen.

    Ich führe ein einfaches Leben, stehe morgens auf, gehe zur Arbeit, abends komme ich heim, esse und lege mich schlafen. Viel Zeit für anderes bleibt da nicht. Es ist schwer, so Kontakte zu knüpfen.

    Ich habe keine Lust mehr, gegen Rassismus anzukämpfen. Er ist tief in den Köpfen der Menschen verankert. Ich glaube, es hat viel damit zu tun, wo du geboren wurdest, welche Geschichten dir als Kind erzählt worden sind. Da spielt auch die Erziehung eine wichtige Rolle: Was du deinen Kindern vorlebst, werden sie kopieren. Meiner Erfahrung nach ist auch der Grad deiner Bildung ausschlaggebend dafür, ob du rassistische Verhaltensmuster zeigst. Wer sich weiterbildet und viel reist, der verhält sich nicht rassistisch. Viele Menschen glauben, dass ihr Heimatort der einzige Platz auf dem Planeten ist. Das ist engstirnig. Es gibt doch so viele spannende und unterschiedliche Kulturen, Menschen und Länder.

    Große Pläne für die Zukunft habe ich nicht, auch, weil meine Perspektive unsicher ist.

    Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es irgendwann besser wird, für mich, und für alle anderen, die Rassismus erleben.“ (daho)

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden