Das öffentliche Leben wird aktuell von Zahlen bestimmt. 190,6 ist eine solche. Diese Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Donau-Ries hat das Robert Koch Institut (RKI) am Montag veröffentlicht. Die Zahl der Corona-Infektionen ist damit seit Samstag um 109 gestiegen, seit Montag gilt der „Lockdown light“. Der Landkreis steuert auf einen ernsten Corona-Winter zu; eine Entspannung der Lage ist vorerst nicht in Sicht. Nicht nur die Bürger, auch die Krankenhäuser im Landkreis stehen vor einem erneuten Härtetest. Eine höchst unterschiedliche Bestandsaufnahme.
Ein Anruf bei Professor Dr. Bernhard Kuch. Er ist Chefarzt der Inneren Abteilung des Nördlinger Stiftungskrankenhauses. Er warnt: „Die Lage ist äußerst kritisch.“
Professor Kuch: "Das ist kein Virus, vor dem nur Großeltern Angst haben müssen"
31 Intensivbetten stellen die Krankenhäuser des gKU nach eigenen Angaben im Landkreis. Von den 28 gemeldeten Intensivbetten sind der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zufolge derzeit sieben frei. Fünf Corona-Patienten werden im Landkreis Donau-Ries – Stand Montag – intensivmedizinisch behandelt und müssen beatmet werden. Vier von ihnen liegen laut Kuch im Nördlinger Stiftungskrankenhaus. Darunter sind auch ein 58-jähriger und ein 47-jähriger Patient. Der Mediziner sagt: „Das ist kein Virus, vor dem nur Großeltern Angst haben müssen.“
Kuch will keine Panik verbreiten. „Wir kriegen es momentan noch hin“, betont er. Doch die Liste an Problemen ist lang. Zum einen wären da die Beatmungsmaschinen. Vier hat Kuchs Abteilung routinemäßig im Einsatz. Bei Engpässen könnten noch einmal Notmaschinen hinzugezogen werden. Neben den vier Corona-Patienten müssen im Nördlinger Stiftungskrankenhaus derzeit noch zwei weitere Menschen intensivmedizinisch betreut werden. Die Kapazitäten, sagt Kuch, könnten schon bald knapp werden. „Wir versuchen seit Monaten, zusätzliche Maschinen auf dem Markt zu bekommen, aber es ist nicht einfach.“
Was passiert, wenn Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen?
Auch Personalprobleme innerhalb der Abteilung würden aktuell zunehmen, sagt der Professor. Etwa, weil Pfleger, Krankenschwestern und andere Mitarbeiter sich während der Arbeit selbst mit Corona infizieren oder in Quarantäne müssen, weil Angehörige erkrankt sind. Kuch sagt jedoch auch: „Wir alle sind routinierter in den Abläufen geworden und profitieren von den Erkenntnissen der ersten Monate.“
Was passiert, wenn Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, ist derzeit in Augsburg zu beobachten. Der ärztliche Direktor des Uniklinikums, Professor Michael Bayer, berichtete unlängst von Operationen, die verschoben werden mussten und Corona-Patienten, die auf umliegende Krankenhäuser verlegt wurden. Kuch sagt: „Auch wir bekommen alle paar Stunden einen Anruf aus Augsburg.“ Ob elektive Eingriffe, also zeitlich frei wählbare Operationen, bald auch in Nördlingen verschoben werden müssen, werde ab kommender Woche und je nach Lage „von Tag zu Tag“ entschieden, wie Kuch sagt.
Situation am Donauwörther Klinikum ist eine andere
Derweil ist die Situation am Donauwörther Standort der Donau-Ries-Kliniken eine andere. Dr. Hans Linsenmeyer ist Leitender Oberarzt der Abteilung Innere Medizin. „Bei uns ist es noch sehr entspannt“, sagt er auf Nachfrage unserer Zeitung. Auf der Corona-Station des Krankenhauses müsste derzeit ein Patient intensivmedizinisch versorgt werden. Aktuell seien noch drei Intensivbetten frei, zwei weitere könnten im Notfall eingesetzt werden.
Wie im Nördlinger Stiftungskrankenhaus ist der Personalmangel auch in Donauwörth ein Problem. „Das ist ein Dauerzustand“, sagt Linsenmeyer. Werde ein Mitarbeiter krank, gebe es keinen Ersatz, um den Ausfall zu kompensieren. Zwei Intensivbetten seien laut dem Mediziner nur deshalb gesperrt, weil kein Pflegepersonal zur intensiven Betreuung der Plätze zur Verfügung stehe.
Kuch: Die nun geltenden Regeln kommen zu spät
Aktuell laufe der Krankenhausbetrieb, anders als im Frühjahr, wo ganze Stationen wegen Corona-Patienten gesperrt gewesen waren, „ganz normal weiter“, wie Linsenmeyer sagt. Er rechne damit, dass „rein statistisch gesehen noch der eine oder andere Beatmungspatient“ in der Donauwörther Klinik hinzukomme, sollten die Corona-Infektionen weiter zunehmen.
Der Landkreis Donau-Ries hat aktuell einen höheren Sieben-Tage-Inzidenzwert als die Großstädte Nürnberg (151,4, Quelle: RKI), München (142) oder Stuttgart (134,9). Wie kann das sein? Professor Kuch macht dafür mehrere Gründe aus: „Wir alle waren in den Sommermonaten etwas entspannter.“ Das sei auch niemandem zu verdenken. „Diese Unvorsichtigkeit wurde aber zu spät wahrgenommen“, sagt der Mediziner. Die nun geltenden Maßnahmen kämen ein paar Wochen zu spät. „Aber wenn sich alle an die Regeln halten, haben wir Chancen, gut durch den Winter zu kommen.“
Existenzielle Fragen
Und wenn nicht? Kuch sagt: „Wenn es so weiter geht wie in den vergangenen Tagen, könnten die medizinischen Einrichtungen innerhalb kurzer Zeit kollabieren.“ Und dann stünden die Ärzte schnell vor der existenziellen Frage: „Wen beatmen wir, und wen nicht?“
Dazu, warum die Anzahl der Corona-Infizierten im Landkreis seit Samstag um 109 gestiegen ist, kann das Landratsamt Donau-Ries indes aktuell keine konkreten Auskünfte geben, wie die Behörde in einer Mitteilung schreibt. Nach derzeitigem Bearbeitungsstand des Gesundheitsamtes würden wohl die allgemein – also auch über den Landkreis hinaus – steigenden Zahlen eine entscheidende Rolle spielen.
Weitere Warnstufen, sollte der Landkreis den Inzidenzwert von 200 überschreiten, seien laut Kenntnis des Landratsamts nicht vorgesehen. Mit dem Shutdown seien vonseiten der Staatsregierung bereits Maßnahmen aufgrund der steigenden Zahlen ergriffen worden.
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