Herr Wittner, Sie kamen in einer spannenden Zeit ins Amt. Wie haben Sie den Start persönlich erlebt?
David Wittner: Der Lockdown kam mit dem ersten Wahlgang. Schon die Stichwahl stand unter besonderen Vorzeichen. Es schmerzt bis heute, dass wir mit dem Wahlkampf-Team keinen würdigen Abschluss feiern konnten, dass auch Hermann Faul noch nicht angemessen verabschiedet wurde. Ich hatte erwartet, dass wir feiern können und anschließend durchschnaufen bis zum Amtsantritt am 1. Mai. Aber die Feier ist ausgefallen und auch das Durchschnaufen. Nach dem Wahltag betrachtet dich jeder sofort als OB.
Bei der Podiumsdiskussion unserer Zeitung sagten Sie, Nördlingen brauche keinen radikalen Umbruch. Genau den gab es dann beim Hallenbad, dem Anbau an die Grundschule Mitte, dem Egerviertel. Ahnten Sie das?
Wittner: Um die drei Projekte einzeln zu betrachten: Das Hallenbad ist ein lang gehegter Wunsch der Nördlingerinnen und Nördlinger, eigentlich des ganzen Rieses. Dass jetzt doch ein Neubau geplant ist, ist letztlich eine wirtschaftliche Notwendigkeit und eine große Chance. Beim Egerviertel hatte ich früh das Gefühl, dass es in der geplanten Dimension auf massive Widerstände treffen wird. Dann gab es mehr als 1000 Unterschriften dagegen.
Jetzt ist die Ursprungsplanung vom Tisch und wir versuchen, das Optimum für die Stadt zu erreichen. Bei der Grundschule Mitte war man nie in einer glücklichen Situation. Der Anbau hätte bedeutet, den Schulhof zuzubauen. Die zunächst geplante Quaderlösung war höchst umstritten. Die Abwandlung hat den Plan nicht wesentlich verbessert, aber deutlich teurer gemacht. Im Lichte von Corona stand das in keinem Verhältnis mehr. Jetzt sind wir auf einem guten Weg, eine funktionierende Alternative präsentieren zu können.
Beim Hallenbad schienen Sie weniger auf fünf statt sechs Bahnen zu bestehen als ihre Verwaltungsmitarbeiter. Sind Sie froh, dass die Entscheidung verschoben wurde?
Die größte Gefahr beim Hallenbad ist, dass wir uns so sehr übernehmen, dass wir es am Ende gar nicht bauen. Selbst wenn es bei der vermeintlich kleinen Version mit fünf Bahnen bleibt, haben wir eine massive Verbesserung zum bisherigen Bad. Wenn der Architektenwettbewerb ergibt, dass wir mit vertretbaren Kosten die sechste Bahn bauen können, bin ich der letzte, der sich dagegenstemmt. In einer Sitzungspause hat Gabi Fograscher kürzlich einen sehr klugen Satz gesagt: Wir entscheiden auch über das Steuergeld der Nördlinger, die überhaupt nicht ins Hallenbad gehen. Deshalb kann ich mit der jetzt gefundenen Lösung wunderbar leben.
Apropos Steuern: Sie stehen im Kontakt mit den Nördlinger Arbeitgebern. Wie sehr befürchten Sie Einschnitte bei der Nördlinger Wirtschaft?
Wittner: Stand heute kommen wir dieses Jahr gut durch. Diesen Eindruck ziehe ich aus Gesprächen mit Unternehmern. Sorge bereitet mir die langfristige Entwicklung. Noch zehren viele Unternehmen von ihren Auftragsbüchern, die vor der Krise voll waren. Branchen wie der Einzelhandel, die Gastronomie und Hotellerie haben Umsätze unwiederbringlich verloren. Was den Ausgleich von Steuerausfällen durch Bund und Freistaat angeht, ist von null bis zu erheblichen Beträgen für die Stadt Nördlingen alles möglich.
Den Einzelhandel und die Gastronomie hat die Krise besonders getroffen. Kann die Stadt lokale Betriebe unterstützen – auch mit Blick auf eine mögliche zweite Welle?
Wittner: Der Lockdown hat gezeigt, dass unsere regionalen Strukturen wirklich stark sind. Wenn Sie am Samstagabend auf den Nördlinger Marktplatz schauen, werden Sie nicht den Eindruck haben, dass wir unter großen Einschränkungen leiden. Auch die Händler, mit denen ich gesprochen habe, zeigen sich zuversichtlich. Wir sind von großen Ausbrüchen in Nördlingen verschont geblieben. Wir müssen einen lokalen Lockdown verhindern. Denn dann wird es wirklich schwierig. Man kann als Stadt Steuern und Gebühren stunden oder Investitionen vornehmen, bei denen lokale Betriebe zum Zug kommen. Aber eine Stadt kann einen zweiten Lockdown nicht auffangen – genauso wenig wie der Staat oder der Bund. Nach einem solchen Ereignis würde Nördlingen anders aussehen.
Es gibt auch Lichtblicke: Varta verdoppelt die Zahl seiner Arbeitsplätze in Nördlingen bis 2021 auf 1600. Aber wo sollen diejenigen wohnen, die deswegen nach Nördlingen ziehen?
Wittner: Nördlingen ist eine wachsende Stadt. Wenn es gute Jobs gibt, ziehen die Leute auch her. Da werden wir gefordert sein. Wir vergeben dieses Jahr Bauplätze in Nähermemmingen, nächstes Jahr in Kleinerdlingen, übernächstes Jahr in Löpsingen. Diesen Herbst steigen wir ins Verfahren unseres größten Entwicklungsgebietes ein: die Gartenstadt, der sogenannte Wohnpark Ost. Das wird die Erweiterung des Wemdinger Viertels. Wenn wir das komplett erschließen, haben wir Platz für 4000 bis 5000 neue Bewohner. Gleichzeitig wollen wir Leerstände und Brachflächen in der Kernstadt und den Stadtteilen nutzen. Aber die Nachfrage ist schon ohne den Varta-Effekt enorm und wird dadurch sicherlich verstärkt.
Wann soll es konkret in der Kernstadt wieder Bauplätze geben?
Wittner: Das hängt stark vom Grunderwerb ab, der momentan extrem schwierig ist. In drei bis fünf Jahren soll es in der Kernstadt wieder Bauplätze geben.
Auch der Pendelverkehr nach Nördlingen nimmt zu. Der Ausbau der B 25 steht bevor. Was halten Sie von der nun gefundenen Lösung für die Kreuzung bei Grosselfingen?
Wittner: Die Unterführung verbessert die Verkehrssicherheit, gleichzeitig kann auch der Naturschutz gut damit leben, denke ich. Deshalb halte ich sie für eine gute Lösung. In meinen Augen darf man beim Verkehr aber die Schiene nicht vergessen. Aktuell kam die Information der Bayernbahn, gegen den Ausbau am Nördlinger Bahnhof vorzugehen. Gegen die Barrierefreiheit zu klagen, ist für mich absolut aus der Zeit gefallen. Den Rückbau des großen Daches und die Verkürzung des Bahnsteigs sehe ich aber mit Sorge. Nördlingen wird auf absehbare Zeit kein Fernverkehrshalt, aber wir sollten keine Tatsachen schaffen, die das auf Jahrzehnte unmöglich machen. Die Anbindung des Rieses nach München, nach Stuttgart und hoffentlich nach Nürnberg ist wichtig.
Der Bedarf an Kitaplätzen in Nördlingen ist groß. Wie wollen Sie mehr Plätze schaffen?
Wittner: Wir erweitern die Kindertagesstätte in Baldingen, das Egerviertel ist in Planung, von St. Michael sind die Kinder wegen einer Baumaßnahme temporär in St. Salvator untergebracht. Wir tragen als Stadt bei, was wir können. An uns hängt der Großteil der Kosten. In St. Michael an der Kolpingstraße schaffen wir 15 neue Krippenplätze ab 2021, im Montessori-Kinderhaus an der Bürgermeister-Reiger-Straße schaffen wir neun neue Krippenplätze, in Baldingen entstehen zunächst mit einer Containeranlage 15 neue Plätze. Dann wird St. Josef im Wemdinger Viertel erweitert. Und künftig gibt es im Egerviertel das Haus für Kinder.
Wie sehr verlassen Sie sich darauf, dass die Kita im Egerviertel kommt? Sie hatten vor der Wahl den Gedanken geäußert, die Stadt könne sie notfalls auch selbst bauen.
Wittner: Bauen könnten wir die auch. Die Investoren haben aber mehrmals geäußert, dass sie die Kita zeitnah umsetzen wollen. Darauf verlassen wir uns.
Dass manche Radfahrer-Schutzstreifen durch sogenannte Sharrows, also Streifen ohne rechtliche Wirkung, ersetzt wurden, hat bei manchen für Unmut gesorgt. Wie soll Nördlingen langfristig radfreundlicher werden?
Wittner: Das Radverkehrskonzept ist der langfristige Plan zur Stärkung des Radverkehrs und zur Anbindung der entlegenen Stadtgebiete, der Ortsteile Nördlingens und anderer Rieser Gemeinden. Wenn man alle Maßnahmen addiert, kostet die Umsetzung zehn Millionen Euro. Die Maßnahmen werden so schnell umgesetzt, wie wir es finanziell leisten können. Die Sharrows sind ein neues Konzept. Unser Fachbüro hat uns in vielen Bereichen empfohlen, damit zu arbeiten. Der Fahrradfahrer gehört auf die Straße, gleichzeitig sollen die Streifen andere Verkehrsteilnehmer warnen: Achtung, hier sind Radler unterwegs. Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir noch keine Erfahrung damit haben und sehen müssen, wie sich die Sharrows bewähren.
Haben Sie vor, etwas an der Parksituation in der Altstadt und ihrer Umgebung zu ändern?
Wittner: Die Parksituation ist in Nördlingen ein Dauerbrenner. Wir sind in einer räumlich beengten Situation, haben einen gut funktionierenden Handel, Ärzte, die Verwaltung in der Altstadt. Perspektivisch wollen wir durch eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und Parkmöglichkeiten vor den Toren speziell auf die Altstadt bezogen für eine Entlastung sorgen. Damit weniger mit dem Auto durch die Stadttore fahren, müssen wir aber erst eine Alternative bieten. Dann könnten Besucher ihr Auto abstellen und weiter in die Altstadt transportiert werden, zum Beispiel mit eng getakteten Pendelbussen. Wir überlegen auch, verkehrsberuhigte Bereiche zu schaffen. Derzeit prüfen wir versenkbare Poller am Marktplatz. Wenn Sie dort abends sitzen, fährt mit drei Zentimeter Abstand fünfmal dasselbe Poser-Auto an Ihnen vorbei. Das wollen wir dort nicht mehr.
Wie geht es mit dem Feuerwehrhaus weiter? Und welche Projekte gehen Sie im Herbst an?
Wittner: Der bisherige Standort ist nicht mehr zeitgemäß. Ich könnte mir ein neues Feuerwehrgerätehaus auf dem Döderlein-Gelände sehr gut vorstellen. Es ist gut erreichbar. Gerade ins bevölkerungsreiche Wemdinger Viertel kämen die Einsatzkräfte von dort sehr schnell. Sobald wir es uns leisten können, sollten wir es auch bauen. Im Herbst gehen wir in Klausur. Außerdem wollen wir eine coronagerechte Bürgerversammlung mit digitalen Beteiligungsformen auf die Beine stellen. Im Stadtrat haben wir damit schon Erfahrungen gesammelt, die Vorstellung der Hallenbad-Planung als Video online gestellt und einen Experten auf einer Leinwand zugeschaltet. Die Entwicklung eines Quartierszentrums Wemdinger Viertel um St. Josef ist ein großes Anliegen der Kirche, das wir im Herbst angehen werden. Dort soll möglicherweise eine Kombination aus einem Gemeinde- und einem kirchlich genutzten Saal entstehen, vielleicht ein Hospiz, auch die Sozialstation ist im Boot. Im Herbst wollen wir es im Stadtrat vorstellen.
Im Gremium ging es zuletzt häufiger mal etwas ruppig zu. Lag das an den großen Zukunftsfragen oder war es noch eine Nachwirkung des Wahlkampfs?
Wittner: Das mag beides eine Rolle gespielt haben. Wir hatten einen intensiven Wahlkampf und große Themen vor der Brust. Dadurch waren manche Diskussionen hitziger. Hinterher hat man sich immer in die Augen schauen und ein Bier zusammen trinken können. Harte Diskussionen in der Sache gehören zur Demokratie. Der neue Stadtrat muss sich erst finden, aber wir haben trotz Corona schnell wichtige Projekte auf den Weg gebracht.
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