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Handwerk: Diese 28-jährige Rieserin war vier Jahre auf der Walz

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Diese 28-jährige Rieserin war vier Jahre auf der Walz

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    Hiermit ist die Walz beendet: Franziska Höhenberger klettert in ihrer roten Kluft zurück über das Ortsschild von Dornstadt.
    Hiermit ist die Walz beendet: Franziska Höhenberger klettert in ihrer roten Kluft zurück über das Ortsschild von Dornstadt. Foto:  Ronald Hummel

    Viele Jüngere kennen das gar nicht mehr – Handwerker in standesgemäßer Kluft, weit weg von zuhause auf der Walz, um Berufserfahrung zu sammeln. Die gebürtige Dornstädterin Franziska Höhenberger ließ sich auf das Abenteuer ein.

    Sie hatte beim Nördlinger Unternehmen Kiel eine Lehre als Polsterer absolviert, später beim Raumausstatter Bayer in Ebermergen gearbeitet und erfahren, wie kreativ und vielfältig dieses Handwerk war von Fahrzeugpolstern, ausgefallenen Wohnmöbeln und antiken Möbeln bis zu Raumausstattung oder Dekoration.

    Als die heute 28-Jährige einen Handwerker in traditioneller Kluft im Auto mitnahm, erfuhr sie von ihm, dass sie als Polsterin im „freien Begegnungs-Schacht“ auch auf Walz gehen könne – Schächte nennen sich die Vereinigungen, in denen Handwerker reisen. Schließlich machte sich Franziska mit Clemens, einem Altgesellen, der ihr alles für die Walz nötige beibrachte, auf den Weg, nachdem sie gemäß dem Brauch im Juni 2014 über das Schild ihres Heimatortes Dornstadt geklettert war. Sie trug die rote Kluft der farbgebenden Gewerke wie Hutmacher, Maler oder eben Polsterer. Blau bedeutet Metallberuf, grau, weiß oder beige steht für Mineralberufe wie Steinmetz, Maurer oder Stukkateur, schwarz für Holzberufe wie Gitarrenbauer oder Zimmerer. Zunächst durchquerte sie mit zehn weiteren Gesellen die 50 Kilometer breite „Bannmeile“; näher durfte sie der Heimat für drei Jahre und einen Tag nicht mehr kommen. Die erste Arbeit fand sie für drei Wochen in Nordfriesland in einer kleinen Polsterei mit Familienanschluss – „Der perfekte Start überhaupt“, blickt Franziska Höhenberger zurück. Dann ging es weiter, kreuz und quer durch ganz Deutschland. Vor einer achten Klasse beschrieb sie das Reisen zwischen den Arbeitsstellen: Draußen im Schlafsack übernachten, in Scheunen, einer Beton-Abflussröhre, auf einer Stadtmauer, in Bushäuschen, einem Nest aus Pappkartons an einer Lärmschutzwand. Abenteuerlich, fanden die Schüler. Oft kein richtiges Essen, nur von der Tankstelle, tagelang nicht richtig Waschen oder Wäsche wechseln – kein Problem in den Augen der Jungen und Mädchen. Man kommt nur zu Fuß oder per Autostopp vorwärts – warum nicht? Ach ja, kein Radio, keine Zeitung und kein Handy. Waaaas, jahrelang kein Handy? Panikartiger Tumult brach unter den Schülern aus, das sei unzumutbar, undenkbar.

    Jobs als Sattlerin oder beim Jachtausstatter

    Jobs fanden sich durch Tipps auf den Arbeitsstellen, anderen Gesellen oder auch von den Fahrern, die einen mitnehmen. So arbeitete Franziska Höhenberger unter anderem in einer Segelmacherei bei Stralsund, bei einer Sattlerin nahe Lörrach, bei einem Jachtausstatter im Sauerland, als Bauhelferin in der Schweiz. Es ging nach Spanien, Portugal, Andorra, Frankreich, in die Türkei, durch Rumänien und Bulgarien. Die Haupterfahrung überall: „Es war beeindruckend, welche Hilfsbereitschaft einem als wildfremden Menschen entgegenschlug“, sagt sie. Keine Spur von Feindseligkeit, Abweisung oder gar Gefahren. „Man lernt, dass die Welt viel besser ist, als in den Medien dargestellt“.

    Auch die internationale Walz-Gemeinschaft kennt kein Ansehen der Person – Herkunft, Religion oder Nationalität sind egal. Man braucht einen Gesellenbrief, muss unter 30, straffrei und kinderlos sein. Für die Arbeit wird man nach ortsüblichen Tarifen entlohnt. Seit 2015 ist sie mit ihrem Freund Joey zusammen, einem Zimmermann. Sie reisten gemeinsam und arbeiteten getrennt. Joey war auch dabei, als sie Anfang des Monats heimkehrte – 150 Freunde, Verwandte, Dorfbewohner, Walz-Begleiter oder Arbeitgeber der Walz-Jahre empfingen sie in einer Party am Ortsschild von Dornstadt, über das sie zurück kletterte und sich in die Arme des Empfang-Komitees fallen ließ.

    Jetzt findet sich Franziska Höhenberger wieder in das Leben vor der Walz ein, aber den Geschmack von Freiheit und Unabhängigkeit wird sie nicht mehr los: „Ich werde auf jeden Fall meine eigene Polsterei betreiben“, ist ihr Entschluss nach all den unbezahlbaren Erfahrungen von der Walz.

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