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Gülle-Prozess: Was hinter den Freispruch-Forderungen im Birkhausener Gülle-Prozess steckt

Gülle-Prozess

Was hinter den Freispruch-Forderungen im Birkhausener Gülle-Prozess steckt

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    Die Ermittlungsakten sind beim Verfahren vor dem Augsburger Landgericht umfangreich.
    Die Ermittlungsakten sind beim Verfahren vor dem Augsburger Landgericht umfangreich. Foto: Ulrich Wagner

    „Ich bin unschuldig“, sagte der Angeklagte vor dem 26. Verhandlungstag in eine Fernsehkamera, und: „Ich habe mit dem Tod meiner Frau nichts zu tun, es war ein Unfall.“ Keine Frage, dass seine drei Verteidiger am Freitag ebenso plädierten (wir berichteten): Freispruch für den 55-Jährigen anstatt 13 Jahren und sechs Monaten Haft wegen Totschlags, wie sie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Freispruch wegen Fehlen eines Tötungsvorsatzes, wegen fehlenden Zeitfensters für ein Verbrechen, wegen einer Spurenlage, die klar für einen

    Der angeklagte 55-jährige Landwirt muss sich seit Oktober 2019 vor dem Augsburger Landgericht verantworten, weil er im September 2018 in Birkhausen seine Ehefrau (51) an der Güllegrube auf dem heimischen Hof umgebracht haben soll. Er selbst weist diese Vorwürfe von Anfang an zurück. Sehr emotional stellte Pflichtverteidigerin Martina Sulzberger in ihrem Teil des Plädoyers dar, dass es kein Zeitfenster für eine Tötung durch den Ehemann an seiner Frau gebe – anders als dies die Staatsanwaltschaft sieht. Sulzberger brachte via Präsentation auf einer Zeitachse die Aussagen von sechs Zeugen in Einklang. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte nach der letzten Güllefahrt erst gegen 11.14 Uhr auf den Hof zurückgekommen war – und bereits um 11.17 Uhr den Notruf gewählt hatte, weil er seine Frau leblos am Boden liegend aufgefunden habe. Sulzberger: „Es gab kein Zeitfenster (für ein Verbrechen, Anm. der Redaktion).“ Die Anwältin stellte auch klar, dass die 51-Jährige laut Zeugenaussagen alle Jahre in die Güllegrube gestiegen sei, um diese „winterfest“ zu machen, es also keinesfalls so sei, dass sie diese nie betreten habe.

    Mehrstündiges Plädoyer eines Verteidigers

    „Alles ist möglich, nichts ist gewiss“, sagte Verteidiger Peter Witting einleitend zu seinem mehrstündigen Plädoyer. Auch er könne nicht jede Spur erklären, könne keine exakte Schilderung eines Unfalls bieten. Es verbiete sich aber, immer wieder Dinge offen und ohne Erklärung zu lassen, um danach mit Bestimmtheit zu sagen, dass es ein Verbrechen des Angeklagten gewesen sei. „Wir mussten versuchen, jede nur denkbare Option abzuklären, weil wir nicht wissen, was das Gericht denkt“, kritisierte der Anwalt die „nicht offene Haltung der Kammer“ um vorsitzende Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser gegenüber der Verteidigung. Die mehr als 60 Beweisanträge als Verfahrensverschleppung zu bezeichnen oder so einzuschätzen disqualifiziere die Arbeit der Verteidigung. Witting widmete sich ausführlich den verschiedenen Aspekten der Ermittlungsarbeit nach dem Auffinden der toten Frau. Zentral nannte er den Umstand, dass der Körper der 51-Jährigen quasi lückenlos Gülleanhaftungen aufgewiesen habe: auf dem Kopf, in den Socken, unter den Achseln, im Inneren des BHs, auf dem Rücken.

    Das, wo doch die Frau auf dem Rücken liegend an der Güllegrube aufgefunden worden war. Wie anders seien diese Anhaftungen zu erklären als dadurch, dass die Frau sich infolge einer Schwäche komplett in der Gülle befunden habe? Eine Beibringung der Gülle durch den Ehemann mittels Eimer oder Gießkanne über seine am Boden liegende Frau, die er zuvor niedergeschlagen haben soll, sei nicht nachvollziehbar. Wie seine Kollegen begründete Witting, warum er dem Gutachten des Hamburger Rechtsmediziners Professor Klaus Püschel mehr glaube, als jenem des Münchner Rechtsmediziners Professor Peschel. Während dieser vor Gericht lediglich seine bald nach dem Vorfall geschilderte Version eines Verbrechens mit anschließendem Übergießen mit Gülle zu rechtfertigen versucht habe, sei die Erklärung des in Gülle-Angelegenheiten weit erfahreneren Püschel mit einem Unfallgeschehen deutlich plausibler.

    Kritik an der Ermittlungsarbeit der Polizei

    Nicht ohne Wittings Kritik blieben die Ermittlungen der Polizei am von dieser sogenannten „Tatort“, wo anfangs in verschiedener Hinsicht nicht ordentlich gearbeitet worden sei. Alles andere als ordentlich ausgesagt hätte laut Witting der 55-Jährige als angeblicher Mörder, der bei den polizeilichen Vernehmungen mehrmals das Gegenteil von dem gesagt habe, was hier sinnvoll gewesen wäre. Das Aussageverhalten des Angeklagten sei so gar nicht in Deckung zu bringen mit dem, was der Täter eines inszenierten Unfalls hätte sagen müssen. Das Aussageverhalten des 55-Jährigen könne nur einen Unfall erklären. Und sollte das Gericht sich nicht durch die Spurenlage von einem

    Zunächst hatte am jüngsten Verhandlungstag Rechtsanwalt Nico Werning zwei aus seiner Sicht zentrale Punkte des Plädoyers der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. So sei die rechtliche Würdigung einer mutmaßlichen Tötung durch den Angeklagten falsch. Ohne ein eindeutig zu bezeichnendes Tatwerkzeug könne nicht von Totschlag – mit einem geforderten Strafmaß von 13 Jahren und sechs Monaten – gesprochen werden, sondern höchstens von gefährlicher Körperverletzung. Bis heute, so Werning, wisse man nicht genau, wann die Ehefrau des Landwirts exakt an Gülle in die Lunge erstickt sei. Letztlich müsse der um 11.17 Uhr erfolgte Notruf durch den Ehemann als Rücktritt von einer eventuellen Straftat gesehen werden.

    Zudem widersprach Werning einer vom Staatsanwalt verwendeten Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die jener als anwendbar auch auf das vorliegende Verfahren hielt. Anders als in dem zitierten Fall, einem Mord ohne Leiche, habe man im Falle der Gülletoten zahlreiche Spuren und Zeugenaussagen vorliegen. Ein Unfallgeschehen, wie es der Angeklagte behauptet, sei im vorliegenden Fall mehr als nur eine „denktheoretische Möglichkeit“.

    Laut Werning sei klar, dass der Angeklagte kein Interesse am und keinen Nutzen vom Tod seiner Frau gehabt habe. Es sei klar, dass er niemals am Freitagvormittag mitten auf seinem von zwei Seiten einsehbaren Hof seine Frau töten würde. In seinem letzten Wort äußerte der Angeklagte persönlich sein Unverständnis über den Tatvorwurf. Er wolle jetzt nach 20 Monaten Untersuchungshaft nach Hause, um für seine Kinder da zu sein.

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