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Nördlingen: Brand in Tiefgarage: Bewohner sind plötzlich obdachlos

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Brand in Tiefgarage: Bewohner sind plötzlich obdachlos

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    Dichter, schwarzer Rauch quoll aus den Lüftungsschächten. Etwa 30 Autos, so schätzt Polizeichef Walter Beck, wurden ein Raub der Flammen.
    Dichter, schwarzer Rauch quoll aus den Lüftungsschächten. Etwa 30 Autos, so schätzt Polizeichef Walter Beck, wurden ein Raub der Flammen. Foto: Jochen Aumann

    Es ist Mitternacht und klein Greta ist hellwach. In ihrem weißen Schlafanzug-Strampler krabbelt sie auf dem Boden der Schiller-Turnhalle herum, ein dünnes, weißes Mützchen auf dem Kopf. Sobald sich jemand zu ihr hinunter beugt, lässt sich das elf Monate alte Mädchen auf den Popo plumpsen und strahlt das Gegenüber herzerweichend an. Als ob nichts geschehen wäre.

    Gretas Mutter sitzt nur wenige Meter entfernt auf einer dicken Weichboden-Matte und beobachtet ihre Tochter. Eine Decke liegt auf den Knien von Kamilla Fekete – einer der wenigen Gegenstände, die die junge Frau bei der Flucht aus der eigenen Wohnung an sich gerissen hat. Sie, ihr Mann, Greta und der acht Jahre alte Sohn Ivan schlafen schon, als plötzlich gegen 22 Uhr ein lautes Piepen durch die Zimmer schrillt. „Ich dachte erst, die Spülmaschine ist fertig“, sagt Kamilla Fekete. Doch es ist nicht das Küchengerät, das diesen Ton von sich gibt – es ist ein Rauchmelder. Und die Küche ist bereits voller Qualm. Die Familie flüchtet erst auf den Balkon, dann mithilfe der Feuerwehr ins Freie.

    Rauch dringt aus der Tiefgarage und den Lüftungsschächten

    Die hatte just an diesem Mittwochabend den Ernstfall auf dem Gelände des Unternehmens Destilla geprobt. Die Kameraden der Nördlinger Feuerwehr sind noch im Gerätehaus im Spitalhof, als sie gegen 21.50 Uhr alarmiert werden, berichtet Kommandant Marco Kurz. Wenige Zeit später sind die Feuerwehrler am Einsatzort, einer erst im Oktober 2017 eingeweihten Wohnanlage der Gemeinnützigen Baugenossenschaft in der Maria-Holl-Straße in Nördlingen. Rauch dringt aus der Tiefgarage und den Lüftungsschächten. Auch die Feuerwehren aus Baldingen, Löpsingen, Pfäfflingen, Herkheim und Grosselfingen rücken an, insgesamt sind etwa 100 Feuerwehrmänner und -frauen vor Ort.

    Mehrere Atemschutz-Geräte-Teams versuchen, in der Tiefgarage zum Brandherd vorzudringen. Zu Beginn des Einsatzes herrschen dort Temperaturen von bis zu 700 Grad. Der schwarze Rauch vernebelt die Sicht, ein gefährlicher Einsatz, wie Polizeichef Walter Beck betont. Nur 20 Minuten können die Feuerwehrleute in diesem Inferno bleiben. Bis kurz vor Mitternacht sind bereits 14 Teams in der Tiefgarage gewesen.

    Die Feuerwehr bringt die Bewohner in Sicherheit

    Zudem müssen die Feuerwehrler die Bewohner evakuieren. 68 Menschen leben in der Wohnanlage, es handelt sich um ein Mehrgenerationenhaus. Eine von ihnen ist Anneliese Schröppel. Die Dame ist unsicher, wer da am späten Abend an ihre Wohnungstür klopft, will erst gar nicht öffnen. Die Atemschutz-Träger der Feuerwehr können die 81-Jährige dann doch überzeugen. Sie setzen Anneliese Schröppel eine Schutzmaske auf, bringen die gehbehinderte Rentnerin mit ihrem Rollator in Sicherheit. Genauso wie 55 weitere Bewohner, alle anderen sind nicht Zuhause. Das Ordnungsamt bestellt einen Bus beim Unternehmen Schwarzer, der auf der abgesperrten Wemdinger Straße hält und die Menschen aufnimmt.

    Das Bayerische Rote Kreuz und die Johanniter sind mit 48 Personen im Einsatz, vier Rettungswagen stehen bereit. Die Sanitäter, die teils auch aus dem angrenzenden Baden-Württemberg kommen, müssen sich um vier Verletzte kümmern. Drei von ihnen sind Feuerwehrleute, wie Polizeichef Beck im Gespräch mit unserer Zeitung bestätigt. Der Hausmeister des Wohnkomplexes habe eine leichte Rauchvergiftung erlitten, sagt der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Baugenossenschaft, Blasius Wizinger. Eine seiner Mitarbeiterinnen lebt in der Wohnanlage, sie ist es, die die Feuerwehr und auch den Hausmeister alarmierte. Als der wiederum nach dem Rechten sehen will und eine Tür öffnet, kommt ihm Rauch entgegen.

    Die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und der Johanniter kümmern sich zudem um die Bewohner, die mit dem Bus in die Schiller-Turnhalle gefahren werden. Die meisten Menschen können bei Verwandten, Freunden und Bekannten unterkommen. Familie Fekete, die aus Ungarn stammt, hat keinen Unterschlupf in der Nähe und muss auf den Feldbetten übernachten, die die Freiwillige Feuerwehr Donauwörth anliefert.

    Die Helfer, darunter auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung und das Kriseninterventionsteam, geben ihr Bestes, um den Menschen die Situation so angenehm wie möglich zu gestalten. Oberbürgermeister Hermann Faul, der schon am Einsatzort war, schaut persönlich vorbei. Becher mit Wasser werden gereicht, weitere Decken besorgt. Und Brei für Greta.

    Wer die Menschen des Wohnkomplexes in der Maria-Holl-Straße unterstützen möchte, kann für sie auf ein Treuhandkonto der Diakonie Geld spenden. Die Iban lautet: DE23 7225 0000 0015 0824 07. Bitte unbedingt das Stichwort „Tiefgaragen-Brand“ angeben.

    Was zum Brand in Nördlingen bekannt ist - und was nicht:

    Was ist die Brandursache?

    Das müssen die Brandermittler der Kriminalpolizei Dillingen noch herausfinden. Am Donnerstag musste zunächst einmal das Löschwasser aus der Tiefgarage abgepumpt werden. Das THW Nördlingen stellte einen großen Bassin auf, der 50.000 Liter fasst. Polizeichef Walter Beck vermutete allerdings am Vormittag, dass der bei Weitem nicht ausreichen werde, man brauche noch einmal drei oder vier solche Bassins. Das Wasser müsse zunächst auf Schadstoffe untersucht und danach voraussichtlich von einer Spezialfirma entsorgt werden. Erst dann könnten die Ermittler tätig werden.

    Wie hoch ist der Sachschaden?

    In der Nacht hatte es Befürchtungen gegeben, dass die Statik des Hauses beschädigt wurde. Wie der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Baugenossenschaft, Blasius Wizinger, gegenüber unserer Zeitung sagte, habe ein unabhängiger Statiker zunächst festgestellt, dass nur eine Säule beschädigt sei. Die werde jetzt abgestützt. Laut Beck standen etwa 30 Autos in der Tiefgarage. Von denen blieb nur wenig übrig. Insgesamt muss von einem Millionenschaden ausgegangen werden.

    Wann können die Menschen in ihre Wohnungen zurück?

    Das Gebäude muss zunächst auf Schadstoffe in der Luft untersucht werden, aber gestern war noch nicht klar, wer diese Aufgabe schnellstmöglich übernehmen kann. Man habe bereits bei zehn Firmen ergebnislos angefragt, sagte Daniel Wizinger vom Nördlinger Ordnungsamt. Am Nachmittag gab es eine Informationsveranstaltung für die Bewohner. Da die Sicherheit vorgehe, so Stadtbrandinspektor Marco Kurz, könnten die Wohnungen im Laufe des Donnerstags und auch in der Nacht zum Freitag noch nicht wieder bezogen werden. Allerdings wurde den Bewohnern ermöglicht, in Begleitung von Feuerwehrleuten mit Messgeräten in den Wohnungen wichtige Dinge des täglichen Lebens wie Medikamente, Waschzeug oder Kleidung in aller Kürze zusammenzupacken. Viele Betroffene wohnen vorübergehend bei Freunden oder Verwandten, manche in von der Stadt organisierten Ferienwohnungen oder im Hotel.

    Wie gefährlich war der Einsatz für die Feuerwehrleute?

    „Das Gefährlichste ist der Rauch, weil man nichts sieht“, sagt Polizeichef Walter Beck. Der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Baugenossenschaft, Blasius Wizinger, lobte die Einsatzkräfte im Gespräch mit unserer Zeitung ausdrücklich. Der Einsatz sei unter Leitung von Marco Kurz ruhig, überlegt und ohne Hektik abgelaufen.

    In ihrem Kommentar zollt RN-Redaktionsleiterin Martina Bachmann den Männern und Frauen der Freiwilligen Feuerwehren großen Respekt.

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