287 Fundstellen haben Archäologen bei ihren Grabungsarbeiten entlang der 370 Kilometer langen Ethylen Pipeline Süd-Trasse untersucht und dabei Bodendenkmäler von der Steinzeit bis in die Neuzeit freigelegt. Einige aufsehenerregende Funde aus dem Ries finden sich auch darunter.
Am vergangenen Mittwochabend fand im Stadtmuseum die Buchpräsentation von „370 Kilometer Archäologie“ statt. Der Sammelband wurde von den Denkmalämtern von Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gemeinsam herausgegeben. 24 Archäologen beschreiben darin die zahlreichen Funde und dokumentieren sie mit Abbildungen.
Die Ethylen Pipeline wurde zwischen 2007 und 2011 gebaut und verläuft von Münchsmünster bei Ingolstadt nach Ludwigshafen am Rhein. Sie schließt verschiedene Chemiestandorte in Süddeutschland an den Ethylen-Verbund in Nordwest-Europa an. Ethylen ist eine gasförmige Kohlenwasserstoff-Verbindung, die zur Herstellung von Kunststoffen verwendet wird.
Die Pipeline quert das Ries von Ost nach West und führt durch die Flure von Alerheim, Deiningen, Nördlingen, Wallerstein und Goldburghausen. Das Ries sei nur eine „vermeintlich gut erforschte Landschaft“, wie Bofinger feststellte, denn die Zahl der archäologischen Fundstellen entlang der Trasse habe sich im Zuge der Grabungen verdreifacht.
Dr. Stefanie Berg, Archäologin beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, stellte einige Funde aus der Region vor. So wurde bei Nördlingen ein knapp sechs auf gut drei Zentimeter großes Bronzefragment eines römischen Militärdiploms mit lateinischer Inschrift aus dem Jahr 156 n. Chr. ausgegraben. Es erzählt davon, wie ein römischer Infanterist nach 25 Jahren Dienstzeit aus dem Militär entlassen wurde und das volle römische Bürgerrecht erhielt. Der Soldat, von dessen Name auf dem Diplom nur noch das Bruchstück „ntus“ überliefert ist, war vermutlich der Sohn eines Gutshofbesitzers bei Munningen, der im dortigen Kastell ins Militär eingetreten war. Als der Limes nach Norden verschoben wurde, kam er ins Kastell Theilenhofen, um nach seiner Entlassung wieder in die Gegend bei Munningen zurückzukehren.
Die Trasse führt bei Alerheim auch durch ein Schlachtfeld aus dem Dreißigjährigen Krieg. Die Archäologen stießen dort auf ein Massengrab von überregionaler Bedeutung. Sie fanden in einer Grube die durcheinanderliegenden Knochen von 85 französischen Infanteristen, die bei der Schlacht vom 3. August 1645 von der bayerischen Kavallerie unter Johann von Werth überrannt und getötet worden waren. Das durchschnittliche Sterbealter der Männer betrug zwischen 21 und 25 Jahren, gegen Ende des Kriegs wurden verstärkt junge Männer rekrutiert. An den Knochen sind Erkrankungen wie Schulter- und Hüftarthrose oder Bandscheibenvorfälle erkennbar, die auf eine starke körperliche Belastung hinweisen. Auch Mangelernährung im Kindesalter ließ sich an den Zähnen nachweisen. Das Massengrab liefert damit wertvolle historische Erkenntnisse über das Schlachtgeschehen sowie die Lebensumstände und Todesursachen der Kriegsteilnehmer.
Weitere Funde im Ries sind römerzeitliche Pflanzenreste aus einem Brunnen bei Ehringen, bei Goldburghausen ein neu entdeckter, 65 auf 65 Meter großer keltischer Rechteckhof aus der Zeit zwischen 800 und 650 vor Christus, eine neue Siedlung der Linearbandkeramik aus der Jungsteinzeit, circa 5600 vor Christus, und ein Gräberfeld mit Eisenfibeln und Gürtelblechen aus der Hallstattzeit aus dem achten oder siebten Jahrhundert vor Christus.
Stefanie Berg, Jörg Bofinger, Rüdiger Schulz (Hrsg.): „370 Kilometer Archäologie. Archäologie an der Ethylen Pipeline Süd-Trasse in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz“. Heidelberg: Propylaeum, 2019. 378 S., 40€. Freier Download des Buches unter http://doi.org/10.11588/propylaeum.395