Weit nach Mitternacht erwischte es Cristiano Ronaldo noch einmal richtig. In den Katakomben von Frankfurt bekam der schwer mitgenommene Superstar erneut feuchte Augen, bei einem Interview stockte seine Stimme.
Nachdem der Portugiese wochenlang nur über Instagram kommuniziert hatte, ging er nach dem gerade so überstandenen Achtelfinal-Krimi gegen Slowenien von Mikrofon zu Mikrofon - und sprach offen über seine Gefühle, die er Millionen Fans weltweit zuvor schluchzend auf dem Rasen gezeigt hatte. Der Medienprofi wusste den denkwürdigen Abend mal wieder bestens zu nutzen.
Zum letzten Mal bei der EM
Infolge des Fußball-Dramas mit der hemmungslos weinenden Hauptfigur Ronaldo schickte dieser gleich martialische Grüße an Superstar Kylian Mbappé, der mit Vize-Weltmeister Frankreich am Freitag (21.00 Uhr) in Hamburg Portugals Rivale im EM-Viertelfinale sein wird. "Wir werden jetzt ein schwieriges Spiel gegen Frankreich haben, das einer der Favoriten auf den Titel ist", sagte der 39 Jahre alte Weltstar. "Aber wir ziehen in den Krieg." Am Montagabend war er einmal mehr zum Dramakönig geworden.
Das Gipfeltreffen mit Mbappé könnte tatsächlich Ronaldos letztes großes Hurra bei einer Europameisterschaft werden. Nach 2004, 2008, 2012, 2016, 2021 und 2024 wird für den Rekordspieler und Rekordtorschützen auf der EM-Bühne Schluss sein, wie er nach dem packenden Sieg im Elfmeterschießen über Slowenien verriet. Das Turnier 2028 in Großbritannien wird ohne die schillernde Fußballfigur stattfinden müssen.
Die denkwürdigsten Augenblicke seiner EM-Abschiedstour liegen höchstwahrscheinlich schon hinter ihm. Als er in der 105. Minute mit einem Elfmeter am herausragenden Jan Oblak scheiterte, brach Ronaldo sofort und noch während des Spiels in Tränen aus. Die Mitspieler trösteten ihn auf dem Rasen, auf den Rängen weinte auch seine Mutter. Im folgenden Elfmeterschießen trat der Kapitän erneut an, verwandelte zur Führung und faltete im Anschluss vor den eigenen Fans die Hände. Die klare Botschaft: Bitte vergebt mir.
Es waren Bilder, die um die Sport-Welt gingen. Dass Portugals Torhüter Diogo Costa mit drei gehaltenen Elfmetern EM-Geschichte schrieb? Dass die tapferen Slowenen den erstmaligen Einzug ins Viertelfinale nach vier Remis in vier Spielen nur haarscharf verpassten? Dass Oldie Pepe mit 41 zu einem Erfolgsgaranten der Portugiesen wird? Alles Nebensache. Nur Ronaldo zählte.
BBC spottet nach Elfmeter
So ähnlich war es auch im EM-Finale 2016, als Ronaldo gegen Frankreich verletzt vorzeitig raus musste - und fortan als selbst ernannter Co-Trainer an der Seitenlinie häufiger im Bild war als die meisten Protagonisten auf dem Spielfeld.
Diesmal blieb Ronaldo 120 Minuten auf dem Rasen. "Natürlich war ich unglaublich traurig und hinterher überglücklich. Das ist Fußball. Man kann nicht erklären, was da passiert. Alles oder nichts, das passiert immer wieder. Dann dreht sich das Schicksal und das Glück", sagte Ronaldo diesmal, als seine Welt wieder in Ordnung war.
Selten sah man ihn während einer Partie derart emotional. Mitspieler mussten ihn aufbauen, was in der Vergangenheit oft andersherum aussah. "Du kannst nicht scheitern, wenn du es nicht versuchst", betonte Ronaldo. "Menschen glücklich zu machen, motiviert mich am meisten." In den internationalen Medien war von der "Tragikomödie um Cristiano" (Marca) sowie von "Misstiano Penaldo" (BBC) zu lesen.
"Eine Ehre, mit ihm zu spielen"
Dass der glückliche Ausgang des Achtelfinal-Krimis die Debatten um Ronaldos noch immer exponierte Rolle beendet, erscheint mehr als fraglich. Gegen Slowenien nahm sich der Routinier mal wieder bei allen Standards den Ball. Im Gegensatz zum ordentlich geschossenen Elfmeter waren einige Freistoßversuche kläglich. Bei der WM 2022 in Katar hatte eine ähnliche Situation während des Turniers dazu geführt, dass Gonçalo Ramos irgendwann für Ronaldo in die Startelf rückte - das folgende Achtelfinale gegen die Schweiz wurde dann prompt mit 6:1 gewonnen.
Doch teamintern rückt diesmal keiner von Ronaldo ab. "Nur diejenigen, die Elfmeter schießen, können verfehlen. Er hat uns den Weg zum Sieg gezeigt. Die Kabine steht hinter ihm. Wir sind sehr zufrieden mit ihm", sagte Cheftrainer Roberto Martinez über seinen Kapitän.
Selbst Matchwinner Costa wollte nach seinen Heldentaten im Showdown vom Punkt nicht zu viel von sich reden. Stattdessen schwärmte er: "Wir wissen alle, dass Cristiano am härtesten arbeitet. Ich kann verstehen, wie frustriert er ist. Es ist eine Ehre und eine Freude, mit ihm zu spielen."
(Patrick Reichardt, Jens Marx und Ulrike John, dpa)