Daniel Pietta, wie kurz war die Nacht nach dem verloren gegangenen Champions-League-Finale Ihres BVB gegen Real Madrid (0:2) in London?
Daniel Pietta: Es war eigentlich ganz ok. Mein Bruder, der mich begleitet hat, und ich waren bereits gegen 1.30 Uhr wieder in unserem Hotel und sind dann um 8.30 Uhr aufgestanden, um noch eine Stadtbesichtigung zu unternehmen. Direkt nach dem Spiel gab es ja einerseits für uns Dortmund-Fans aufgrund der Niederlage keinen Grund zum ausgiebigen Feiern. Aber auch die Anhänger von Real Madrid haben das Stadion dann doch ziemlich zügig verlassen.
Sie waren vor einem Jahr beim dramatischen Bundesliga-Finale, als Borussia Dortmund am letzten Spieltag gegen Mainz die sicher geglaubte Meisterschaft noch aus den Händen gab, live im Signal-Iduna-Park dabei – ebenso wie am Samstag in Wembley bei der Niederlage gegen Madrid. Welche Enttäuschung war für Sie als BVB-Fan größer?
Pietta: Ich würde schon sagen, dass das Ganze im vergangenen Jahr, als 80.000 Zuschauer im Stadion waren, noch etwas emotionaler war. Gegen Madrid war es dahingehend enttäuschend, da man einfach eine riesengroße Chance hatte, den Pott nach Dortmund zu holen. In meinen Augen war die Borussia über einen Großteil des Spiels die bessere Mannschaft. Aber wenn du gegen Real am Ende gewinnen willst, musst du die wenigen Chancen, die du hast, einfach nutzen. Letztlich war das dann auch der Unterschied in dieser Partie.
Hat insgesamt betrachtet mit Real Madrid die bessere, glücklichere oder cleverere Mannschaft am Ende gewonnen?
Pietta: Puh, das ist schwer zu sagen. Die bessere Mannschaft nicht. Ich weiß auch nicht, ob man sagen kann, dass Real das cleverere Team war. Unter dem Strich hat eine Standardsituation Madrid auf die Siegerstraße gebracht. Wenn dieser Treffer nicht fällt, steht es weiterhin 0:0. Mit einem 0:1-Rückstand im Rücken stehst du defensiv vielleicht etwas anders beziehungsweise offener. Wer weiß, ob dann das zweite Gegentor in dieser Art und Weise überhaupt passiert.
Würden Sie auch sagen, dass speziell die schlechte Chancenverwertung in der ersten Hälfte dem BVB den möglichen Champions-League-Triumph gekostet hat?
Pietta: Ja, definitiv. Ob das jetzt Karim Adeyemi alleine vor dem Keeper war oder der Pfostenschuss von Niclas Füllkrug – einen davon musst du einfach machen. Dann schaut es möglicherweise anders aus. Wobei ich schon auch glaube, dass Real Madrid in diesem Fall dann auch etwas anders gespielt hätte. Aber es ist halt ein Finale – und in diesem entscheiden in den Regel Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage.
Stichwort Finale: Bei einem Endspiel der Champions-League im Wembley-Stadion „live“ dabei zu sein: War das Ihr bisheriger Höhepunkt als eingefleischter Anhänger von Borussia Dortmund?
Pietta: Es war definitiv etwas Besonderes. Aber mein persönliches Highlight ist es nach wie vor, bei BVB-Heimspielen ins Stadion zu gehen. Nichtsdestotrotz war ich natürlich am Samstag in London vor der Partie schon ziemlich aufgeregt. Wir hatten uns über den „normalen Weg“, sprich Borussia Dortmund beziehungsweise die UEFA, Tickets gekauft, sie sehr teuer waren. Und wenn du dann quasi unter dem Dach bist und diese „Wand“ von BVB-Fans siehst, dann ist das auf alle Fälle richtig cool. Aufgrund der Wichtigkeit eines solchen Finales ist die Anspannung und Nervosität sicherlich höher als bei einem normalen Bundesliga-Spiel. Dennoch ist es für mich jedes Mal sehr emotional, wenn ich mir im Signal-Iduna-Park eine Partie anschaue.
Was hat Sie im Nachhinein rund um dieses Champions-League-Finale am meisten beeindruckt und fasziniert?
Pietta: Die Stimmung und Atmosphäre waren richtig cool. Auch das Stadion selbst ist wirklich riesengroß. Das ganze Drumherum lässt sich eigentlich mit Worten kaum beschreiben. Vor dem Stadion waren beispielsweise zig-Tausend Security-Leute, die für Ordnung gesorgt haben. Als die Partie dann angepfiffen wurde, liefen dann jedoch plötzlich vier Flitzer auf’s Feld, von denen einer auch noch Bilder gemacht und anschließend in aller Ruhe den Innenraum verlassen hat. Da fragst du dich natürlich schon, ob du da im falschen Film bist (lacht). Was auch noch eine ganz nette Geschichte war: Als wir mit dem Taxi vor dem Stadion angekommen sind, hat uns plötzlich ein Polizist mit den Worten „Hallo, wie geht’s?“ begrüßt. Ich dachte erst, dass der mich kennt. Doch dann hat sich herausgestellt, dass es ein Schweizer war, der gesehen hatte, dass wir Dortmund-Fans sind.
Insgesamt sollen rund 100.000 BVB-Anhänger in London gewesen sein. Haben Sie das auch wahrgenommen?
Pietta: Auch am Tag danach sieht man noch vereinzelt Dortmunder Fans hier herumlaufen. Nachdem wir am Samstag leider erst ziemlich spät in London angekommen sind, haben wir von dieser immensen Ansammlung an BVB-Anhängern am Hyde Park leider nichts mehr mitbekommen. Ich glaube, dass das nochmals sehr emotional gewesen wäre.
Wembley gilt bekanntlich im Fußball als absoluter Mythos. Können Sie erklären, was diesen Ort so besonders macht?
Pietta: Ich glaube, dass sich dieser Mythos eher auf das alte Wembley-Stadion bezieht. Die neue Arena ist dagegen sehr modern aufgebaut. Was mich dabei unglaublich fasziniert und beeindruckt hat, ist der sogenannte „Olympic way“! Das ist quasi der einzige Zugang auf das Stadion, der sich gefühlt auf einen Kilometer erstreckt und auf dem sich alle Fans bewegen. Im Gegensatz zu vielen deutschen Stadien verläuft hier – was die Zu- und Abgänge betrifft – alles sehr geordnet und geregelt.
Lassen Sie uns abschließend noch über zwei besondere Protagonisten bei diesem Finale sprechen. Marco Reus, der in der 72. Minute eingewechselt wurde, hat sein letztes Match im BVB-Dress absolviert. Sie waren bereits vor zwei Wochen bei seinem finalen BVB-Bundesliga-Spiel im Signal-Iduna-Park dabei. Was für einen Spieler verliert die Borussia Ihrer Meinung nach mit ihm?
Pietta: Ganz unabhängig vom „Spieler“ Marco Reus verliert die Borussia mit ihm eine echte Identifikationsfigur. Er ist durch und durch Dortmunder. Auf dem Rasen war er ein außergewöhnlicher Fußballer, der auch immer für besondere Momente stand. Jeder BVB-Fan hatte sich gewünscht, das er sich mit dem Champions-League-Titel verabschiedet. Leider hat es nicht geklappt.
Eine weitere Ikone, die am Samstagabend ihre Abschiedsvorstellung in einem Vereinstrikot gab, ist Toni Kroos. Der deutsche Nationalspieler holte mit Real Madrid sechsmal den Champions-League-Pokal. Nachdem Sie selbst Profisportler sind: Wie groß ist Ihr Respekt gegenüber einen solch grandiosen Leistung?
Pietta: Nun, nachdem er zunächst bei Bayern München im eigenen Stall noch etwas „kleingehalten“ wurde, hat er mit seinem Wechsel zu Real Madrid bewiesen, was für ein großartiger Typ und außergewöhnlicher Spieler er ist. Nach dem Schlusspfiff im Wembley-Stadion ist Kroos, der ja wenige Minuten vor dem Ende ausgewechselt wurde, zurück auf den Platz und hat – nachdem er sich kurz mit seinen Teamkollegen gefreut hatte – sofort den Weg zu den Dortmundern gesucht. Eine solche Geste ist dann schon sehr groß. Interview: