Riskante These: Die Kammeroper gehört zu Neuburg wie das Schloss oder die Donaubrücke. Aber was ist, wenn das altehrwürdige Gemäuer angesichts der spürbaren Klimakapriolen eines Tages bröckelt, die Querung über den Fluss wegen des Individualverkehrs ihre Statik verlöre oder Horst und Annette Vladar irgendwann nicht mehr können oder mögen?
Seit 1969 das schmucke Biedermeier-Theater in der Altstadt eröffnet wurde, schenken die Vladars Neuburg schon – ausgenommen Corona – in jährlicher Folge dort eine kleine, aber höchst feine Kammeroper-Inszenierung. Doch das, was große Bühnen mit opulenter Wucht und jeder Menge Aufwand präsentieren, kostet selbst im Westentaschenformat jede Menge Geld. So viel, dass die Stadt inzwischen erwägt, der Kammeroper nur alle zwei Jahre mit den entsprechenden Zuschüssen unter die Arme zu greifen.
Neuburgs Kammeroper: Bald nur noch alle zwei Jahre Zuschüsse für die Institution?
Doch wer die ebenso fulminante wie schweißtreibende Premiere des neuen Stücks „Eine Rosskur“ (im Original: „Chi dura Vince“) des italienischen Komponisten Luigi Ricci (1805-1859) mit einem Libretto von Giacopo Ferretti (1784-1852) erlebte, die begeisternden Auftritte der professionellen Sängerinnen und Sänger, die ansteckende Lust des Amateur-Chores und die ungekünstelte Leidenschaft des 28-köpfigen Orchesters unter der Leitung von Alois Rottenaicher sowie die minutenlangen Ovationen des gut besuchten Hauses, muss sich ernsthaft fragen, ob die Kulturstadt Neuburg wirklich gut beraten wäre, ausgerechnet bei einem seiner bedeutendsten Aushängeschilder den Rotstift anzusetzen.
Natürlich bewegt sich Regisseur Horst Vladar, der selbst mit 82 Jahren und seinem mächtigen Buffo-Bass immer noch Biagio Rumore, dem Hauptmann der Schlosswache, Gestalt verleihen mag, mit seiner nahezu perfekt auf das Stadttheater zugeschnittenen Umsetzung des vergessenen Ricci-Werkes an der obersten Grenze des Machbaren. So etwas setzt Maßstäbe und lässt kleinere Aufführungen wie in den vergangenen Jahren als weniger wertig erscheinen. Kein Instrument ist zu viel in der drangvollen Enge des Orchestergrabens, und der Chor würde platztechnisch kaum zusätzliche Kräfte vertragen.
Längst gilt es als Spezialität des gebürtigen Neuburgers, die Geheimnisse der Opern-Archive zu erforschen, um diese in der Kammeroper vor einem immer wieder staunenden Publikum mit viel Pomp und noch mehr Liebe zu entblättern. Wer die gut 90 Minuten im saunaähnlichen Theater miterlebt hat, fragt sich tatsächlich, warum das 1834 in Rom uraufgeführte und dann vergessene zweiaktige „Melodramma giocoso“, für das Vladar zusammen mit seiner Frau eine deutsche Übersetzung eingerichtet hat, nicht ähnliche Popularität genießt wie etwa „Die Zauberflöte“.
„Eine Rosskur“ – musikalisches Melodrama um Hochmut, Arroganz und Anmaßung
Es ist ein munteres Verwirrspiel um die Berg- und Talfahrten einer Ehe, um Dünkel, Hochmut, Arroganz und Anmaßung, bei denen die Darstellerinnen und Darsteller ihre Rollen sicht- und hörbar genießen. Da wären Karol Bettley als verschmitzter Graf Sanviti, der heimlich in die Rolle des Landarbeiters Andrea schlüpft, Martha Harreiter als Baronin Galeotti, eine lebensfrohe Jungwitwe und Schwester des Grafen, der verschlagene Schlossverwalter Gennaro Malerba, den Patrick Ruyters mit großem mimischen und sängerischen Gestus verkörpert, oder der opportunistisch-devote Weingut-Pächter Giovanni Gioja, den Michael Hoffmann glaubhaft nachzuzeichnen versteht.
Der Star des Abends ist die südkoreanische Sopranistin Da-yung Cho, die die Rolle der frisch verheirateten, etwas zickigen Gräfin Fiorina Sanviti auf derart beeindruckende Art und Weise ausfüllt und stimmlich brilliert, dass das Publikum nicht umhinkann, dies mit großem Beifall und Bravo-Rufen zu honorieren. Nicht vergessen werden darf auch die herausragende technische und akustische Umsetzung der „Rosskur“, die das manchmal gewöhnungsbedürftige, weil nur unzureichend verständliche Erlebnis „Oper“ auch in Neuburg zum puren Vergnügen erhebt.
Da stehen sie also nun auf der Bühne, schweißgebadet und glücklich, bekommen locker eine zweistellige Zahl von Vorhängen, müssen sich immer wieder verbeugen, während im Graben die Musikerinnen und Musiker des Akademischen Orchesterverbandes München sitzen. Es hat sich gelohnt, an den Plänen für „Eine Rosskur“ festzuhalten, das bereits 2020 auf dem Spielplan stand, aber wegen des Lockdowns auf die lange Bank geschoben werden musste. Und einmal mehr hat Horst Vladar Recht behalten, wie so oft im 55-jährigen Dasein „seiner“ Kammeroper. Dieser Neuburger Instanz.
Weitere Aufführungen im Stadttheater: Freitag, 26. Juli, um 20 Uhr, Samstag und Sonntag, 27. und 28. Juli um 19.30 Uhr. Karten sind in der Touristinfo oder im Bücherturm erhältlich.
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