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Neuburg: Wann ist man Mensch? Kafka-Lesung berührt Neuburger Publikum

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Wann ist man Mensch? Kafka-Lesung berührt Neuburger Publikum

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    Thomas Loibl faszinierte in Franz Kafkas Figur des unglückseligen Gregor Samsa.
    Thomas Loibl faszinierte in Franz Kafkas Figur des unglückseligen Gregor Samsa. Foto: Elke Böcker

    Einen verstörenden und zugleich fesselnden Abend bescherte „Die Verwandlung“ den Besucher des Neuburger Stadttheaters. Ursina Maria Braun am Violoncello und Thomas Loibl als tragischer Gregor Samsa ließen in einer mehr tragisch als heiteren Groteske Frank Kafkas berühmte Erzählung bedrohlich lebendig werden.

    Zwei Stunden lang fesselte Thomas Loibl, lange Jahre festes Ensemblemitglied am Bayerischen Staatsschauspiel und auch als Filmschauspieler und Hörbuch-Sprecher bekannt, mit seiner Rezitation von Kafkas Text das Publikum. Begleitet, unterstützt, verstärkt wurde er dabei von Ursina Maria Braun, die unter anderem nicht nur alle sechs Sätze aus Bachs Cellosuite BWV 1008 spielte, sondern mit oftmals recht schrägen, schrillen, quietschenden Tönen der faszinierend lebendigen Lesung weitere Fülle und Farbe verlieh.

    Auf der Bühne stand ein großer, mit Animal-Print-Reststoff-Stücken bedeckter Tisch. Dahinter sprach, saß, stand, bewegte sich mit oftmals krakeligem Gestus Thomas Loibl als Gregor Samsa und zog die Zuschauer in seinen Bann oder stieß sie ab. Denn wer möchte schon freiwillig „zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ (Kafka) werden und das noch kurz nach dem Aufwachen und unwiderruflich?

    Eindrückliche Kafka-Lesung im Neuburger Theater geht unter die Haut

    In immer dichter werdender Atmosphäre schlüpfte der Schauspieler auch in die Rolle der zu Beginn noch den Bruder liebenden, mitleidigen Schwester Samsas. Er gab den – ob seines Anblicks - entsetzen Prokuristen aus dessen Firma, mimte die bestürzte Mutter des Unglücklichen und den recht unwilligen, egoistischen Vater des zu Käfergestalt verwandelten Menschen. Dazu allein genügte Thomas Loibls überzeugende Veränderung der Stimme, der Mimik, der sparsamen Gesten und natürlich Ursina Maria Braun exakt dazu passenden Klangstücke am Violoncello. Bewegend.

    Eingesperrt in einen abstoßenden, ja ekelhaften Insektenkörper, vor der Welt verborgen, in seinem Zimmer eingesperrt und aufgrund seiner „Tierstimme“ jeglicher Kommunikationsmöglichkeiten beraubt, verliert Samsa in den Augen der Familienmitglieder immer mehr seine Existenzberechtigung. Gleichwohl versteht er deren Gespräche, möchte an ihrem Leben teilnehmen. Unmöglich. Welch furchtbares Schicksal. Grauenvoll vereinsamt, vom Vater verletzt, aller Liebe verlustig, ausgemergelt, abgelehnt stirbt Gregor Samsa, geht gleichsam ein. Seine Familie ist erleichtert. Wie unglaublich grausam.

    Wann ist man ein Mensch? Wie muss man Menschen behandeln? Was ist überhaupt Menschlichkeit? Welche Abgründe tun sich in uns Menschen auf? Auch nach mehr als hundert Jahren lässt Kafkas Erzählung existentielle Fragen entstehen und es gelingt ihm sowie Thomas Loibl „die Axt zu sein für das gefrorene Meer in uns“. 

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