Es ist nicht so, dass es schon immer ihr Traumberuf war. Und das, obwohl sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter Religionslehrer sind. Vielmehr hat ein längerer Auslandsaufenthalt, bei dem auch Weißwürste und Brezen eine Rolle spielten, die neue Vikarin der Neuburger Christuskirche dazu gebracht, evangelische Theologie zu studieren.
Elisabeth Görnitz ist die neue Vikarin an der evangelischen Christuskirche in Neuburg
Ursprünglich kommt Elisabeth Görnitz aus Gräfelfing bei München. Die komplette gymnasiale Oberstufe hat sie aber dank eines Stipendiums am United World College in Hongkong verbracht. Dort, knapp 10.000 Kilometer von der bayerischen Landeshauptstadt entfernt, gibt es auch eine deutschsprachige evangelische Auslandsgemeinde. An einem Sonntag im Jahr 2010 macht sich Görnitz auf, einen Gottesdienst dieser Gemeinde zu besuchen – ohne Smartphone und eineinhalb Stunden von ihrer Schule entfernt. Sie kommt drei Stunden zu spät, der Gottesdienst ist längst vorbei. Dafür findet sie die Gläubigen gerade beim bayerischen Frühstück mit Weißwürsten und Brezen vor und wird gleich herzlich aufgenommen. „Da habe ich sofort gemerkt, wie sehr die Gemeinde Heimat bedeuten kann. Man teilt bestimmte Werte und freut sich, wenn neue Leute kommen“, sagt die 28-Jährige heute. Gleichzeitig stellt sie fest, dass sie in der Auseinandersetzung mit Schülern aus 70 verschiedenen Ländern, mit ihren Kulturen, Religionen und Geschichten auf so manche Fragen keine Antwort hat. Eine Sinnsuche beginnt.
Mit abgeschlossenem Theologie-Studium wird man nicht automatisch Pfarrerin
Zurück in Bayern absolviert sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Behinderteneinrichtung. Daran anschließend studiert sie schließlich evangelische Theologie in München, Tübingen und im englischen Exeter und beschäftigt sich neben der theologischen Forschung und Bibelkunde auch mit Hebräisch, Altgriechisch und Latein – das Berufsziel Pfarrerin hat sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht vor Augen. Zudem absolviert sie ein Gemeindepraktikum im Bayerischen Wald.
Mit dem abgeschlossenen Studium wird man aber nicht automatisch Pfarrerin. Zuerst ist ein Vikariat notwendig, also der praktische Vorbereitungsdienst in einer Gemeinde – vergleichbar mit dem Referendariat bei Lehrern. In diesem Zeitraum wird Görnitz in Neuburg evangelische Religion an Grundschule und Gymnasium unterrichten, Gottesdienste leiten und sich als Seelsorgerin um die Sorgen und Ängste der Menschen kümmern. „Momentan ist es ganz entspannt, ich laufe erst noch mit und übernehme nach und nach Aufgaben“, sagt sie.
Begleitet wird das Vikariat von einem Predigerseminar zu allen Feldern des Pfarrberufs. Wenn sie nach zweieinhalb Jahren das theologische Examen besteht, ist sie evangelische Pfarrerin auf Probezeit.
Doch warum ausgerechnet dieser Beruf? Die Entscheidung dazu fällt für Elisabeth Görnitz im vergangenen Sommer. Die Münchnerin will eigentlich promovieren, nimmt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität gemeinsam mit dem Forschungsverbund „For Democracy“ an Interviewreisen nach Ungarn, Tschechien, Polen und in die Slowakei teil. Konkret geht es um die Frage, ob und warum die Kirche dort rechtspopulistische, antidemokratische Parteien unterstützt. Zumal Christen in Mittel- und Osteuropa vor 1989 eine oppositionelle, prodemokratische Rolle gespielt haben. Doch Görnitz kann der akademischen Arbeit immer weniger abgewinnen: „Die theoretische Forschung hat mir gefallen, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich viel lieber mit Menschen zusammenarbeiten will.“ Neben der Arbeit mit ihnen von der Geburt bis zum Tod sei es aber vor allem die große Vielfalt in ihrem künftigen Beruf, die sie reizt: „Ich weiß nie, was morgen kommt.“ Seit 1. März hat sie deshalb in Neuburg eine neue Heimat gefunden, auch weil sie in eine Kleinstadt mit offener Gemeinde wollte, in der sie sich kreativ ausleben kann, wie sie sagt.
Naturgemäß macht sich die 28-Jährige auch Gedanken über den Platz des Glaubens in einer modernen Gesellschaft. Die Krise der Institution Kirche wird zwar momentan durch ständig neue Missbrauchsskandale eher als eine der katholischen Konfession empfunden. Ein Blick in die Statistiken verrät aber, dass es kaum Unterschiede gibt, die jährlichen Austrittszahlen sind nahezu identisch. Auf die Frage nach den Ursachen wird Görnitz nachdenklich und holt schließlich weit aus: „Wir leben heute in einer Gesellschaft, die immer mehr auf Zeiteffizienz getrimmt ist.“ Die Kirche biete in dieser Zeit die Chance, innezuhalten und „das Sein auch wieder als Selbstzweck zu begreifen“.
Auch die Kirchenaustritte und die Rolle der Kirche in einer modernen Gesellschaft beschäftigen sie
Ihr Freund wohnt in München und so vergleicht sie die Beziehung zu Kirche und Glauben – beides ist für sie nicht trennbar – mit einer Fernbeziehung. Um sich nicht voneinander zu entfernen, müssten sich beide Seiten um den Kontakt kümmern und stets im Gedächtnis halten, was die Beziehung eigentlich ausmacht. Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeitskrise sagt sie: „Auch in der Kirche menschelt es und Menschen machen Fehler. Das ist ein zutiefst christliches Menschenbild.“ Wichtig sei es, diese danach aber auch einzugestehen und auch schwierigen Fragen nicht aus dem Weg zu gehen. Zudem sollte sich die Kirche bewusst sein, dass das Leben Brüche hat und Menschen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger begegnen. Bei ihrer Lebensphilosophie bezieht sie sich auf Ghandi: „Be the change you want to see in the world“, sagt die 28-Jährige. Sie will also selbst die Veränderung sein, die sie sich für die Welt wünscht. „In erster Linie ist es mir wichtig, dass ich Menschen inspirieren und mit positivem Beispiel vorangehen kann.“ Momentan will die neue Vikarin vor allem erst einmal Neuburg und die Menschen in der Gemeinde kennenlernen – auch wenn sie dazu in Corona-Zeiten vorerst auf Internet und Telefon angewiesen ist.
Der Einführungsgottesdienst für Elisabeth Görnitz ist für Sonntag, 21. März, ab 10 Uhr in der Neuburger Christuskirche mit Pfarrer Steffen Schiller geplant.
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