Ulrike Hansmann hat viele Tattoos, doch nur ein einziges trägt sie sichtbar auf ihrem Unterarm: Zwei Halbkreise unter einem vollen Kreis, durch die Mitte verlaufen zwei gezackte Linien. „Das ist mein EKG und das meines Sohnes“, so die junge Mutter. Bei allen anderen Tattoos, beispielsweise der Traumfänger auf ihrem Oberschenkel, hat sie darauf geachtet, dass man sie gut verdecken kann. „Diesmal wollte ich aber, dass es sichtbar ist.“
Der Grund für die Ausnahme der Unterhausenerin: Das Motiv auf ihrem Unterarm ist eigentlich mehr als ein Tattoo. Es ist ein Statement. Eines, das im Zweifelsfall vielleicht sogar Leben retten kann. Wer sich das Zeichen stechen lässt, signalisiert damit allen: Ich bin Organspender. Das Motiv, ein voller Kreis und der darunterliegende Halbkreis bilden stehen für die Buchstaben O und D - eine Abkürzung für „Organ Donor“, zu Deutsch: „Organspender“.
Organspende-Tattoo kommt auch in Neuburg unter die Haut
Hansmann gehört zu den rund 28 Millionen Personen, die sich in Deutschland durch Besitz eines Organspendeausweises oder durch Eintragung in ein Register als Organspender registriert haben. Mehr noch: Sie ist eine der rund 10.000 Deutschen, die an der Aktion „Opt.Ink“ teilnehmen, mit dem Organspende-Tattoo einen Schritt weiter gegangen sind und ihre Zustimmung, im Falle des Todes funktionsfähige Organe an Bedürftige abzutreten, auf der Haut tragen.
„Get inked, give live“, lautet der Leitspruch der Bewegung. „Lass dich tätowieren, rette Leben.“ Die Aktion Opt.Ink, die der Münchener Verein „Junge Helden“ 2023 ins Leben gerufen hat, will mit diesem bestimmten Tattoo-Motiv auf die Organspende-Situation in Deutschland aufmerksam machen.
Anstoß zu dieser Aktion fand der Verein, nachdem der Bundestag 2020 einen Gesetzentwurf des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) und des aktuellen Ministers Karl Lauterbach (SPD) für die sogenannte Widerspruchslösung mehrheitlich abgelehnt hatte und stattdessen die Entscheidungslösung bestätigte.
Organspende: In Deutschland gilt die Entscheidungslösung
Bei der Widerspruchslösung, die im Großteil des europäischen Auslands gilt, ist jeder automatisch Organspender, es sei denn, man hat zu Lebzeiten aktiv widersprochen. Bei der 2020 vom Bundestag bestätigten Entscheidungslösung ist hingegen nur Organspender, wer der Spende zu Lebzeiten aktiv zugestimmt hat, beispielsweise durch Besitz eines Organspendeausweises.
Das führt zu entsprechenden Verhältnissen: Knapp 8500 Menschen warten in Deutschland aktuell auf ein Spenderorgan, 2023 gab es allerdings nur 965 Organspender und -spenderinnen. Im Schnitt sterben täglich drei Menschen, weil nicht rechtzeitig ein Organ gespendet wurde. Besonders hoch ist der Bedarf nach Nieren.
8500 Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende
Mit Opt.Ink will der Verein das Organspende-Thema wieder sichtbar machen und früher oder später auch die Widerspruchslösung erneut auf die politische Agenda setzen. Der Erfolg ist inzwischen sichtbar, denn auch hierzulande wird das Motiv beliebt.
Wie der Neuburger Tätowierer Markus Döhnert bestätigt, habe er das Zeichen allein in diesem Jahr schon über 20 Mal gestochen, „in allen verschiedenen Größen“. Besonders bemerkenswert: „Da sind viele Leute dabei, die davor mit Tätowieren überhaupt nichts zu tun hatten“, sagt Döhnert. Kürzlich habe er sogar einer 75-Jährigen das Opt.Ink-Zeichen gestochen. Auch für sie war es das erste Tattoo.
Sein Kollege Uwe Müller, ebenfalls Tätowierer aus Neuburg, hat es zwar erst zweimal unter die Haut gebracht, davon einmal bei Ulrike Hansmann, aber auch für ihn ist es nicht verwunderlich, dass das Zeichen immer beliebter wird. „Es ist minimalistisch, simpel und schaut gut aus, von der eigentlichen Bedeutung einmal abgesehen“, so Müller.
Zwar ersetzt das Organspende-Tattoo keinen Organspendeausweis - niemandem dürfen also nur aufgrund des Tattoos Organe entnommen werden - allerdings gilt es als klare Willensbekundung. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn - und das ist tatsächlich der häufigste Fall - Angehörige einer verstorbenen Person über den Verbleib derer Organe entscheiden müssen. Weil das Thema zu Lebzeiten nicht besprochen wurde, wird dann zumeist entschieden, der verstorbenen Person keine Organe zu entnehmen.
Ulrike Hansmann hat das Thema mit ihren Angehörigen besprochen. Ihr ist es vor allem wichtig, ein Zeichen zu setzen für die Organspende und für die Widerspruchsregelung. Denn: „Gerade in Deutschland sind wir manchmal einfach viel zu egoistisch“, so die 38-Jährige. Deswegen trägt sie das Opt.Ink-Zeichen als erstes sichtbares Tattoo auf der Haut, deswegen ist sie so überzeugt von der Organspende. Selbst wenn es in Deutschland keine Organspende-Ausweise gäbe, keine Register, wenn alleine das Tattoo einen Arzt im Zweifelsfall berechtigen würde, Ulrike Hansmanns Organe zu entnehmen - sie hätte es sich trotzdem stechen lassen.
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