Eigentlich liegt das Neuburger Stadttheater im Dornröschenschlaf. Seit dem erneuten Lockdown bleiben die Pforten fest verschlossen, die Bühne wartet auf den erlösenden Prinzen, der Kunst und Kultur nach wochenlangem Tiefschlaf wachküsst und Versammlungen endlich wieder erlaubt. Bis dahin ist Kreativität gefragt. Kann das Publikum nicht ins Theater, so muss das Theater eben ins heimische Wohnzimmer kommen. Wie das funktioniert? Mit einem Livestream direkt aus dem Kulturhaus. „Vorhang auf“ hieß es also am Freitagabend, als ein weihnachtliches Programm unter dem Titel „Licht im Theater“ aus dem Neuburger Stadttheater online übertragen wurde.
Neuburg: Per Livestream konnten Zuschauer "Licht im Theater" verfolgen
Ein Klick auf den Link, der auf der digitalen Eintrittskarte zu finden war, und schon ging es los. Eine kurze Anmeldung mit Mailadresse und Bestellnummer, dann erschien das Fenster mit dem Livestream. Auf dem Bildschirm war vor dem offiziellen Beginn das Neuburger Schloss zu sehen, ein Countdown zählte die Minuten herunter.
Das Theater selbst war wie verwandelt, alles stand Kopf und doch war sie gleich, diese unnachahmliche Atmosphäre zwischen Spannung, Vorfreude und Faszination. Ein geschäftiges Treiben hatte sich in den eigentlich leeren Rängen ausgebreitet. Licht, Ton, Bild, die gesamte Technik studierte ihren minutiösen Tanz zwischen den vier Kameras ein, von wo aus pünktlich um 20 Uhr ein stimmungsvolles Adventsprogramm auf die Bildschirme des Publikums geworfen werden sollte. Statt dem allzu bekannten Prozedere, der Ankunft in den Rängen, dem Stimmengewirr des Publikums, dem Gong, andächtiger Stille und schließlich – endlich – dem Heben des Vorhangs im abgedunkelten Saal blieben an diesem Abend die Lichter an.
Im Neuburger Theater sah es wie an einem Filmset aus
Wie an einem Filmset sah es im Neuburger Theater aus, Kameras von allen Seiten, dazwischen die Künstler. Vier Lokalgrößen aus der Renaissancestadt wagten an diesem Abend gemeinsamen einen Versuch, den es in der über 150-jährigen Geschichte des Hauses so noch nie gegeben hatte: ein Weihnachtsabend ganz ohne Publikum – und doch mit über 200 Zuschauern.
Damit auch für jeden vor dem Bildschirm das Passende dabei war, wurde unter der Regie von Noppo Heine ein abwechslungsreiches Programm auf die Beine gestellt. Der von Bernhard Mahler beschwingt moderierte Abend bot Weihnachtsstimmung in vier verschiedenen Facetten. Mit unterhaltsamen Gedichten und einer Weihnachtsgeschichte der besonderen Art im Gepäck kam Schauspieler Christian Hoenig auf die Bühne. Wie ein Märchenerzähler hatte er im grünen Ohrensessel aus Samt Platz genommen, schwenkte amüsiert den Rotwein im Glas, nippte dann und wann an dem süffigen Getränk und trug seine Texte so emotional, so lebendig vor, dass es eine wahre Freude war, sich von dem adventlichen Klamauk in den Bann ziehen zu lassen.
Hoffnung auf bessere Zeiten
Dieser unbeschwerten, bissig-humorvollen Feststimmung stellte Singer und Songwriter C. B. Green viele nachdenkliche Töne gegenüber. In seinen selbst geschriebenen Songs wünschte er sich einen Lebenswandel in „Change“, Liebe und Respekt. Der Kulturpreis-Träger und Betreiber der Kunstscheune steuerte dem Programm ganz puristisch mit Stimme und Gitarre gefühlvolle Balladen bei, die ein zerbrechliches Weihnachten widerspiegelten, ein In-sich-Kehren in schweren Zeiten, „sometimes it‘s rough“, ja, die Zeiten sind schwer im Moment. Mit trommelnden Fingern, manche Passagen pfeifend, schickte er einen leisen Appell an sein Publikum, eine Hoffnung auf bessere Zeiten.
Drei Lieder später wechselten die vielen kleinen Aufnahmen auf den Bildschirmen wieder. An die Stelle des romantischen Songwriters trat ein wahres Kraftpaket. Kerstin Schulz und Jens Lohse repräsentierten an diesem Abend das rauchige Weihnachten, derbe kraftvoll und gleichzeitig mit unheimlich viel Wärme. Sie zeigten die Jazz-Interpretationen von „Ihr Kinderlein kommet“, „Santa Baby“ und „Leise rieselt der Schnee“. Kaum setzten die Künstler zum ersten Ton an, war alles andere vergessen.
Weihnachtsstimmung wurde schmerzhaft vermisst
Und was wäre ein Weihnachtsabend ohne die zarten Klänge eines Flügelspiels. Wie eine Fee nahm Magdalena Hübner als letzte Künstlerin dieses Abends am Piano Platz, spielte zauberhafte Klassik von Beethoven, ein zaghaft tanzendes Stück von Ludovico Einaudi und, wie als einen krönenden Anschluss, die Titelmelodie von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. So sanft und doch so ergreifend war Hübners Spiel, das ruhige Wesen der Pianistin übertrug sich mühelos auf den Raum und dann war sie endgültig da, die Weihnachtsstimmung, die in diesem Jahr an vielen Stellen so schmerzhaft vermisst wird.
Wie Balsam für die Seele war dieser adventliche Abend, der dem nach Kultur lechzenden Gemüt ein wenig Linderung verschaffte. Und auch den Künstlern sah man die Erleichterung an, in dieser kulturellen Zwangspause endlich wieder ihr Können darbieten zu können. „Es war fast wie eine Umarmung“, sagte C. B. Green nach seinem Auftritt. Zwar habe die unmittelbare Reaktion der Zuschauer auf das Programm eine spürbare Lücke hinterlassen, aber alleine das Wissen, das man über die Kameras doch mit einem Publikum verbunden sei, gebe ihm Hoffnung. Eine Hoffnung darauf, dass sie doch in naher Zukunft aus ihrem Schlaf erwachen wird, die schmerzlich vermisste Kultur.
"Licht im Theater" verstärkte den Wunsch nach richtigem Publikum
So leuchtete dieser kurze Lichtstrahl aus dem Stadttheater umso heller und verstärkte noch den Wunsch, dass bald das Publikum in die Ränge zurückkehren kann, auch um seinen Künstlern und Interpreten den gebührenden Applaus für solch ein gelungenes Programm entgegenbringen zu können.
Neuburgs Kulturreferentin Gabriele Kaps verfolgte die Live-Veranstaltung ebenfalls vor ihrem Rechner. In der ersten halbe Stunde war die Anspannung groß, sagt Kaps. „Erst dann konnte ich es genießen.“ Nicht nur Neuburger, sondern selbst Zuschauer aus dem Taunus und aus Frankreich verfolgten die Veranstaltung. „Die Menschen sind ausgehungert nach Kultur“, sagt die Stadträtin. Die hohe Qualität der Bilder und des Tons, die abwechslungsreiche Kameraführung und die Künstler machten den Abend besonders. „Das war High End“, lobt Kaps die Umsetzung. Die Technik funktionierte reibungslos, die Anspannung war umsonst. Lediglich die Zuschauer, die sich spontan für den Stream entschieden, hatten Schwierigkeiten mit dem Einwählen, sagt Kaps. „Das bedauere ich sehr“, entschuldigt sich die Kulturreferentin.
Die besondere Theateratmosphäre fehlte zu Hause
In den kommenden Wochen will Kaps gemeinsam mit ihren Stadtratskollegen die Erfahrungen auswerten. Für Kaps sei es durchaus vorstellbar, dass auch künftige Kulturevents im Netz stattfinden werden.
Nur eine Sache konnte der Livestream nicht bieten: Der Applaus und die besondere Theateratmosphäre fehlten zu Hause. Selbst die lobenden Worte im Chat konnten dies nicht wettmachen.
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