Plötzlich ist er wieder da, der „Froschkönig“, im farbigen Original, abgewandelt in Gestalt des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, den seine SPD nicht unbedingt küssen will. „Wo war er denn? Wem gehört der jetzt?“, fragt Horst Haitzinger etwas irritiert und blickt auf das hinter ihm hängende Bild. Kulturamtsleiterin Marieluise Kühnl weiß sofort die Antwort: „Die Stadt Neuburg hat es gekauft!“ Worauf der bis 2019 fast täglich in der Augsburger Allgemeinen zu bestaunende Karikaturist entgegnet: „Und wir habenʼs die ganze Zeit gesucht…“ Denn auch dieses kleine Kunstwerk hätte er nur allzu gerne in seinem neuesten Werk präsentiert.
Kann schon mal passieren, dass man bei all den Zeichnungen, die sich im Laufe von sechs Jahrzehnten angesammelt haben, den Überblick verliert. Obwohl der neben Dieter Hanitzsch bekannteste lebende politische Zeichner Deutschlands vor fünf Jahren den Stift für immer aus der Hand gelegt hat, gibt es jetzt sogar ein druckfrisches Buch mit Werken aus früheren Tagen – das dritte inzwischen. Es trägt den Titel „Von Aschenputtel bis Zwerg Nase – Märchen in politischen Karikaturen“, und wurde am Samstag, natürlich im Beisein Haitzingers, im Josy-Meidinger-Haus vorgestellt. „Schade, dass Sie nicht mehr aktiv sind“, bedauerte Oberbürgermeister Bernhard Gmehling, ein erklärter Haitzinger-Fan, nicht erst seit dessen bislang letzter Neuburg-Ausstellung 2021 im Schloss. Wer seine Karikaturen kannte, der sei stets über die aktuelle politische Lage im Bilde gewesen, sagte Gmehling.
Dass es ihm in all den Jahrzehnten trotz des großen Zeitdrucks im Tagesgeschäft immer wieder gelang, eine zündende Idee zu Papier zu bringen, verdankte der 85-Jährige vor allem seinem Hang zu den fantastischen Geschichten der Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm, Hans-Christian Andersons oder Wilhelm Hauffs. Dort fand Haitzinger jede Menge Metaphern zum jeweiligen Zeitgeschehen. „Ich bin mit Märchen aufgewachsen“, erzählte der in Schrobenhausen und München lebende Zeichner in einer Talkrunde mit Matthias Pausch, dem Mitherausgeber des Buches. „Bis zu einem gewissen Alter habe ich sie sogar für real gehalten.“ Deshalb bedauert Haitzinger, dass heute allenfalls ältere Menschen Märchen kennen und die Jungen ihre Fantasie nur noch im Digitalen ausleben wollen. „Ich hatte eine tolle Tante, die mir regelmäßig Märchen vorlas. Das empfand ich als sehr charakterbildend.“ Die schlimmste Geschichte sei für ihn das „Rumpelstilzchen“ gewesen. Dabei habe er manchmal sogar Mitleid mit den Bösen gehabt, „auch mit den Hexen“, bekannte Horst Haitzinger schmunzelnd.
Der ehemalige Karikaturist Horst Haitzinger gibt Signierstunde in Neuburg
Im Laufe seines tagesaktuellen Jobs präsentierte der „Großmeister der politischen Karikatur“, so seine Verlegerin Annette Nünnerich-Asmus, den sowjetischen Staatschef Breschnew als „Prinzessin auf der Erbse“, während die „Bremer Stadtmusikanten“ für den passionierten Umweltschützer als Symbol für die Bedrohung der Tier- und Pflanzenwelt herhalten mussten. Selbst den Tag, an dem in Berlin die Mauer fiel und den er wegen einer Signierstunde im KDW miterleben durfte, illustrierte Haitzinger mithilfe eines Gleichnisses aus „Hänsel und Gretel“ – und schuf damit schlussendlich sogar das Titelbild seines „Märchenbuches“. Ob er denke, dass er mit seinen Karikaturen etwas verändern oder bewegen konnte, wollte Matthias Pausch wissen. „Nein“, entgegnete der gebürtige Österreicher ohne zu zögern. Natürlich würde die Gegenwart wieder eine Menge Stoff für hintergründige, humorvolle Zeichnungen bieten und einen wie ihn inspirieren, meinte Pausch. Aber Haitzinger gab aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrung klar zu verstehen: „Alles, was wir heute erleben, war auf irgendeine Weise doch schon mal da.“
Deshalb sei seine Karriere definitiv vorbei. „Seit meiner allerletzten Karikatur bin ich nie wieder von einer Idee bedrängt worden. Und ich bin so froh, dass ich das vom Hals hab!“ Stattdessen beschäftigt sich Horst Haitzinger heute „auf etwas dilettantische Weise“ mit Philosophie. In Neuburg musste er allerdings zum wiederholten Mal zahlreiche Bücher mit seinem immer noch geschwungenen Namenszug signieren. Das tat er gerne und geduldig, den seine Fans wussten: Auch eine Haitzinger-Unterschrift ist ein kleines Kunstwerk.
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