Die Geisterfahrer nehmen an diesem verregneten Mittag nach Schulende scheinbar kein Ende. Ein Mädchen kämpft sich wie im Slalom durch die entgegenkommenden Fußgänger und kann gerade noch einem anderen Radfahrer ausweichen, der auf der Nachtbergseite (korrekt) stadteinwärts fährt. Drei Minuten später radeln drei Schüler freihändig und breit wie ein SUV nebeneinander in die verkehrte Richtung, kurze Zeit später kollidieren beinahe zwei E-Scooter. Ein ganz normaler Tag auf der Neuburger Elisenbrücke. Während innerhalb von weniger als einer Viertelstunde rund 70 Zweiräder die Brücke auf der eigentlich verbotenen Seite passieren – auch viele Erwachsene befinden sich darunter – sind es gegenüber ganze sechs, die sich brav an die Regeln halten.
„Daran krankt es leider in Neuburg“, sagt Franziska Hildebrandt nur wenige Stunden später am Abend bei einer Gesprächsrunde, die sich zum ersten Mal in dieser Konstellation im Hotel „Schöne Aussicht“ trifft. „Und dazu gäbe es noch eine ganze Reihe von Beispielen.“ Die Stadträtin und Vorsitzende der Wählerinitiative Wind hat deshalb zusammen mit Noppo Heine und Helge Heinemann (Verein Freilicht) die beiden Schulleiter Peter Seyberth (Descartes Gymnasium) und Petra Schiele (Maria Ward Realschule), Verkehrssachbearbeiter Franz Sailer von der Polizeiinspektion Neuburg, Christian Linden von der Verkehrswacht Neuburg-Schrobenhausen, den städtischen Verkehrsreferenten Bernhard Pfahler sowie Bürgerinnen und Bürger eingeladen, um endlich eine Trendwende in Sachen Verkehr in Gang zu setzen.
„Es geht vor allem darum, dass wir alle wieder freundlicher auf der Straße werden und auch die Rechte der anderen Teilnehmer im Verkehr respektieren“, betont Heine. Deshalb findet sein Vorschlag, aus der losen Zusammenkunft eine feste Einrichtung zu formieren, auch breite Zustimmung. Die Initiative, die sich nicht als Verein verstehen und Parteipolitik außen vor lassen will, soll sich einmal im Vierteljahr treffen und konkrete Aktionen, Maßnahmen, Verbesserungsvorschläge erarbeiten, die mithilfe von Franziska Hildebrandt und Bernhard Pfahler auch den Neuburger Stadtrat erreichen. Heines Namensvorschlag für die Initiative lautet deshalb: „Wir sind freuNDlich“.
Neuburger Initiative will Straßenverkehr freundlicher machen
Fehlende Rücksichtnahme, steigender Aggressionslevel und permanente Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung gehören nach Meinung aller Teilnehmer der Runde in Neuburg längst zur Tagesordnung. Dazu zählen Autofahrer, die auf das Recht des Stärkeren pochen und kaum mehr auf andere achten, sowie Elterntaxis, die ihre Schützlinge bis direkt vor die Schultüre chauffieren, aber damit andere Verkehrsteilnehmer behindern oder gar gefährden, wie Noppo Heine vom alltäglichen Chaos an der Staatlichen Realschule am Kreuter Weg berichtet. Es gebe Verkehrsregeln, die aber viele überhaupt nicht mehr beachten würden, obwohl sie für ein sicheres Miteinander im Verkehr elementar seien. Und es mangelt an Freundlichkeit, mitunter nur an einem Lächeln.
![Die neue Initiative „Wir sind freuNDlich“ will mehr Verständnis im Neuburger Straßenverkehr etablieren. Die neue Initiative „Wir sind freuNDlich“ will mehr Verständnis im Neuburger Straßenverkehr etablieren.](https://images.mgpd.de/img/104945342/crop/c1_1-w100/1127701893/1498797432/verkehr-2.jpg)
Natürlich wissen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des runden Tisches, dass dies allenfalls der Auftakt zu einer Verbesserung der allgemeinen Verkehrssituation sein kann, die sie samt und sonders als „problematisch“ empfinden. Denn der Stressfaktor wächst ständig: Immer mehr Verkehrsteilnehmer, immer mehr Autos, immer weniger Parkraum und Platz. „Neuburg ist halt eine Autostadt“, konstatiert Klaus Wolbert, und der ehemalige Stadtrat Dieter Munzinger ergänzt: „Mit dem Fahrrad kann man allenfalls auf Schleichwegen in der Innenstadt fahren. In der Münchner Straße oder der Luitpoldstraße wird das dann zum Problem.“ Polizeihauptkommissar Franz Sailer berichtet von einer zunehmenden Zahl an Regelverstößen und immer weniger Verständnis bei den ertappten Verkehrssündern. Am Beispiel der Radwege auf der Donaubrücke und an der Bahnunterführung der Augsburger Straße hat Bernhard Pfahler ein generelles Informationsdefizit bei den Bürgerinnen und Bürgern ausgemacht: „Was ist überhaupt erlaubt? Kaum einer weiß es wirklich. Viele glauben tatsächlich, dass die Wege auf beiden Seiten befahren werden dürfen.“
Umgangston im Neuburger Verkehr wird immer rauer
Oft würde schon das Aufstellen von Tafeln zumindest Abhilfe schaffen, wie dies bis vor einigen Monaten mit der „Geisterradler-Aktion“ noch der Fall war. Inzwischen wurden die Schilder jedoch gewaltsam heruntergerissen oder umgedreht. Oder eben verstärkte Kontrollen, die einen Lerneffekt nach sich zögen. Dies gelte auch für innerstädtische Tempo-30-Zonen. Sailer stellt jedoch klar, dass dies wie die Parkraumüberwachung in der Verantwortung der Stadt liegen würde. „In der Rosenstraße messen wir regelmäßig“, betont Pfahler. Mit „regelmäßig“ meint der städtische Verkehrsreferent auf Nachfrage allerdings: „Etwa vierteljährlich“.
![Eberhard Spieß hat auf Eigeninitiative bereits Schilder vor seinem Laden in der Innenstadt angebracht, um auf eine angepasste Geschwindigkeit aufmerksam zu machen. Eberhard Spieß hat auf Eigeninitiative bereits Schilder vor seinem Laden in der Innenstadt angebracht, um auf eine angepasste Geschwindigkeit aufmerksam zu machen.](https://images.mgpd.de/img/104945374/crop/c1_1-w100/1019317594/1163599118/verkehr1.jpg)
Man sei nicht so vermessen, zu glauben, dass man gleich die Infrastruktur ändern könne, glaubt Noppo Heine. „Aber vielleicht die Einstellung der Leute“. Für die neue Initiative geht es darum, auf die Bürgerinnen und Bürger zuzugehen, um ein Umdenken in Gang zu bringen, sich wieder mehr an die Regeln zu halten und einem Miteinander im Straßenverkehr einen Schritt näherzukommen. Im Bemühen, Neuburg freundlicher zu gestalten, könnte eventuell die Stadt durch die Umwidmung von Haushaltsmitteln helfen, glaubt Bernhard Pfahler, der die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft zusammen mit Franziska Hildebrandt auch in den entsprechenden Gremien des Stadtrates thematisieren will. Für projektbezogene Spenden soll die Verkehrswacht prüfen, ob sie dies als gemeinnütziger Verein in Empfang nehmen kann. Dabei geht es unter anderem um den Aufbau einer Internet-Seite sowie die Erstellung von Plakaten oder Hinweistafeln, wie sie zum Beispiel Eberhard Spieß vor seinem Geschäft in der verkehrsberuhigten Weinstraße in Eigenregie angebracht hat: „Vielen Dank für ihre angepasste Fahrweise.“
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