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Interview: Hochwasserschutz hätte Schrobenhausen wohl nicht vor den Fluten gerettet

Interview

Hochwasserschutz hätte Schrobenhausen wohl nicht vor den Fluten gerettet

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    Haben sich gemeinsam ein Bild von der Lage in Schrobenhausen gemacht: Landrat Peter von der Grün und Bürgermeister Harald Reisner etwa eine Stunde, bevor der Damm an der Paar gebrochen ist.
    Haben sich gemeinsam ein Bild von der Lage in Schrobenhausen gemacht: Landrat Peter von der Grün und Bürgermeister Harald Reisner etwa eine Stunde, bevor der Damm an der Paar gebrochen ist. Foto: Bernd Schrittenlocher

    Zwei Wochen sind mittlerweile vergangen, seit das Hochwasser die Innenstadt von Schrobenhausen geflutet hat. Wie standen und stehen Sie mit den betroffenen Menschen und Rettungskräften in Verbindung?
    PETER VON DER GRÜN: Seit dem betreffenden Samstag stehe ich intensiv in Kontakt mit Schrobenhausen, mit dem Bürgermeister, mit Einsatzkräften und mit direkt Betroffenen. Ich war selbst mehrfach in Schrobenhausen vor Ort, um mir ein besseres Bild machen zu können. Beispielsweise am Stadtwall und in Mühlried, deshalb habe ich auch direkt erlebt, mit welcher Wucht die Flutwellen von Paar und Weilach die Stadt getroffen haben. Außerdem war ich in unserem Krisenstab während des gesamten Katastrophenfalls praktisch Tag und Nacht mit den Einsatzkräften im Austausch.

    Welches Erlebnis oder welche Begegnung sind Ihnen nachhaltig im Gedächtnis geblieben?
    VON DER GRÜN: Eine Passantin hat am Samstagabend einer Frau, die von uns gerade evakuiert worden war und nicht wusste, wo sie die Nacht verbringen sollte, spontan ihre Wohnung angeboten. Das hat mich tief berührt. 

    Welche Bilanz ziehen Sie aus den Ereignissen – und welche Schlüsse?
    VON DER GRÜN: Für eine abschließende Bilanz ist es freilich noch zu früh. In negativer Hinsicht haben wir ein Todesopfer im Landkreis zu beklagen, massive Gebäudeschäden in Millionenhöhe, Berge von Sperrmüll und Hausrat sowie erhebliche Schäden bei landwirtschaftlichen Flächen. Positiv ist festzustellen, dass die Hilfsbereitschaft, Solidarität und Zusammenarbeit auf allen Ebenen herausragend war. Insgesamt waren 4600 Kräfte im Einsatz, eine überwältigende Zahl. Im Ergebnis muss man festhalten, dass man sich vor derart extremen und unvorhersehbaren Unwetterereignissen nicht zu 100 Prozent schützen kann. Wir als Staat und Gesellschaft müssen aber künftig mehr für einen wirksamen Hochwasserschutz gerade bei Starkregenereignissen tun, meines Erachtens dezentral in der Fläche und an den Zuflüssen, weil die „Einschläge“ in immer kürzeren Abständen kommen. Der Begriff „Jahrhundert-Hochwasser“ hat ausgedient. 

    Schrobenhausen wurde so hart getroffen, weil es dort keinen Hochwasserschutz gibt. Das Vorhaben zieht sich seit Jahren hin - und jetzt fragt man sich natürlich: Warum dauert das alles so lange?
    VON DER GRÜN: Bislang war ein Planfeststellungsbeschluss von unserer Seite nicht möglich, weil ein städtischer Bebauungsplan bis dato ein Verfahrenshindernis darstellt. Unabhängig davon muss man aber davon ausgehen, dass selbst bei einem optimalen Verfahrensverlauf der Hochwasserschutz aktuell nicht umgesetzt wäre. Dafür ist fremdes Eigentum erforderlich, man muss Grundstücksverhandlungen führen und gegebenenfalls auch Enteignungsverfahren durchführen. Dies bedeutet einen großen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Dies alles könnte zudem durch eine mögliche (und bereits angekündigte) Klage gegen den Bescheid verzögert werden. Und selbst wenn der Hochwasserschutz schon fertig gebaut wäre, hätte er nach Ansicht des Wasserwirtschaftsamts „wohl nicht gereicht, um die Wassermassen aufzuhalten“. Deshalb prüft das WWA jetzt, ob die Planungen fachlich angepasst werden müssen.

    Gibt es etwas, das Sie beim nächsten Mal anders machen würden?
    VON DER GRÜN: Die Zusammenarbeit sowohl im Krisenstab als auch mit den Kommunen und Einsatzkräften vor Ort war hervorragend, dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken. Künftig wollen wir noch früher Verbindungsleute der betroffenen Kommunen direkt in den Krisenstab integrieren, um die Abläufe und die Koordination noch effektiver zu gestalten. Die Erfahrungen und „lessons learned“ werden wir in einer gemeinsamen Nachbesprechung mit allen Beteiligten aufarbeiten.

    Können Sie eine Schadenshöhe beziffern, die das Hochwasser im Landkreis angerichtet hat?
    VON DER GRÜN: Bis jetzt können wir keine konkrete Zahl nennen, da die Begutachtungen noch nicht abgeschlossen sind. Allein in der Stadt Schrobenhausen sind zwischen 500 und 800 Keller vollgelaufen. In unserer Finanzverwaltung sind bislang 200 Anträge auf Soforthilfe eingegangen. Das werden aber sicher noch mehr. Ich rechne mit einem höheren zweistelligen Millionenbetrag. 

    Belastet das Hochwasser auch den Kreishaushalt?
    VON DER GRÜN: Direkte Kosten für den Landkreis hat die Ausrufung des K-Falls verursacht, weil zahlreiche Mitarbeiter im Krisenstab, am Bürgertelefon oder bei den Hilfsorganisationen bei laufender Entgeltfortzahlung im Einsatz waren. Ein Teil davon kann beim Freistaat geltend gemacht werden. Dazu kommt die Lohnfortzahlung, die Unternehmen geleistet haben für die abgestellten ehrenamtlichen Kräfte. Das kann man aber im Moment noch nicht beziffern. 

    Dass der Polder in Riedensheim nicht geöffnet wurde, hat bei manchen Bürgern für Unverständnis gesorgt. Wie ist Ihre Meinung dazu?
    VON DER GRÜN: Das dafür zuständige Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt hat im Einvernehmen mit dem Umweltministerium entschieden, den Flutpolder Riedensheim nicht zu fluten, weil die Voraussetzungen nicht vorlagen. Flutpolder sind dafür konzipiert, den Scheitel einer extremen Hochwasserwelle zu kappen. Im konkreten Fall ist ein Abfluss von mindestens 2200 Kubikmeter pro Sekunde erforderlich, was nicht erreicht wurde. Darüber hinaus waren die Städte Neuburg und Ingolstadt nicht konkret gefährdet. Nach den Berechnungen des WWA und der Stadt Neuburg wären die Häuser und Sportanlagen am Brandl auch bei einer Aktivierung des Polders überflutet worden. Und es wären massive Schäden sowie erhebliche Ernteausfälle an den überfluteten landwirtschaftlichen Flächen im Poldergebiet aufgetreten. Die Entscheidung war daher richtig. 

    Sehen Sie die Pläne für einen weiteren Polder in Bertoldsheim nach den aktuellen Ereignissen unter einem anderen Licht?
    VON DER GRÜN: Der staatliche Hochwasserschutz muss aus meiner Sicht komplett neu gedacht und geplant werden. Wenn selbst bei diesem verheerenden Hochwasserereignis ein für 35 Millionen Euro gebauter Polder keine Schutzwirkung entfalten konnte, muss das Polderprogramm der Staatsregierung unverzüglich gestoppt und der Schwerpunkt endlich auf effektive, dezentrale Maßnahmen an den Zuflüssen, natürliche Retentionsflächen sowie auf bessere Deiche und Dämme gelegt werden. Dafür kämpfe ich bereits seit über zehn Jahren und werde dies auch weiterhin tun.

    Zur Person

    Peter von der Grün ist in seiner Funktion als Landrat auch Chef der Führungsgruppe Katastrophenschutz. Diese übernimmt im Katastrophenfall, der am 1. Juni aufgrund des Hochwassers aufgerufen wurde, die zentrale Einsatzleitung. 

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