Es wird turbulent am 14. Verhandlungstag des sogenannten Doppelgängerinnen-Mordprozesses von Ingolstadt. "Scheiß Mörder, Alter!", ruft der Zeuge in Richtung der Anklagebank, als er in seiner schwarz-glänzenden Marken-Daunenjacke in den Sitzungssaal des Landgerichts schlendert. Der 24-jährige Ingolstädter könnte einer der wichtigsten Zeugen in dem spektakulären Verfahren sein. Ein ganzer Tag ist für die Aussage von Furkan Y. angesetzt. Er sei, wie er erzählt, mit dem Mordopfer Khadidja O. zusammen gewesen. Auch die Angeklagten Schahraban K. und Sheqir K. kannte er.
Doppelgängerinnen-Mordprozess: Ermordete wollte angeblich nach Ingolstadt ziehen
Lust hat der Zeuge keine, an diesem Tag hier zu sein. Das macht er gleich von Anfang an deutlich. Ebenso, dass er wenig Respekt hat vor allen Prozessbeteiligten: "Wer bist du überhaupt?", motzt er Alexander Stevens an, einen der Verteidiger der Angeklagten. Der Anwalt will, dass der Wutausbruch des Zeugen wörtlich protokolliert wird. Es handle sich dabei um eine Straftat, begründet Stevens.
Beeindruckt ist der 24-Jährige davon nicht. Betont mehrmals, dass er in psychiatrischer Behandlung und krankgeschrieben sei. Seine Verhandlungsfähigkeit wurde aber im Vorfeld bestätigt. Auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Konrad Kliegl antwortet der Ingolstädter äußerst knapp, lässt sich jedes Wort aus der Nase ziehen. Er habe Khadidja O. über einen Freund kennengelernt, zunächst nur über Videotelefonie. "Ich fand die voll hübsch." Im Juni 2022 besuchte er sie dann gemeinsam mit seinem Freund in ihrem Heimatort Eppingen bei Heilbronn. Ab da seien sie ein Paar gewesen, hätten jeden Tag telefoniert, berichtet der Zeuge. Ein paar Wochen später kam Khadidja O. nach Ingolstadt. "Das war ernst mit uns", sagt der 24-Jährige. Sie hätten sich verloben wollen. Khadidja O. habe sich schon nach einer Wohnung und einem Job in Ingolstadt umgesehen.
Dennoch war die Beziehung der beiden geheim. Niemand aus dem Umfeld der Getöten wusste von Furkan Y., nicht einmal ihre beste Freundin. Dies stellte sich bereits an einem früheren Verhandlungstag heraus. Auf Seiten des Ingolstädters hingegen, wussten einige Freunde von ihr, seine Brüder und Tanten - und er wollte sie seinen Eltern vorstellen. Vor Gericht behauptet er trotzdem, der Wunsch, die Beziehung geheim zu halten, sei nicht nur ihrer, sondern auch seiner gewesen. Dass sich Khadidja O. in Heilbronn gleichzeitig noch mit einem anderen Mann getroffen habe, davon soll der Zeuge erst nach ihrem Tod erfahren haben.
Mordprozess am Landgericht Ingolstadt: Eifersucht statt Doppelgängerinnen-Theorie?
Doch auch die Angeklagte Schahraban K. soll an dem Ingolstädter Interesse gehabt haben. Sie lernte ihn über einen gemeinsamen Freund kennen. Diesem Freund soll die Angeklagte sogar einmal 100 Euro geboten haben, wenn er Furkan Y. zu einem Treffen mit ihr bewege. Sie wolle "Geschäfte mit ihm machen", lautete damals ihre Begründung. Sie wollte als Drogenkurierin für ihn arbeiten. Er habe ihr aber gesagt, dass er dafür die falsche Adresse sei, behauptet der Zeuge vor Gericht. Anscheinend ging es Schahraban K. aber nicht nur darum, Geschäfte zu machen. Gleich beim ersten Treffen schlug sie dem 24-Jährigen vor, mit in ihrem Hotelzimmer zu schlafen, als dieser betrunken und ohne Schlüssel nicht heim ins Elternhaus wollte. Da es zwei getrennte Betten in dem Zimmer gab, sah der Zeuge darin trotz seiner Beziehung zu K.adidja O. kein Problem, wie er erklärte. Bis "Sheri" – so der Spitzname der Angeklagten – versucht habe, ihn zu küssen und "sein Ding herauszuholen". "Geh weg!", habe er sie angefahren und verlangt, dass sie ihn nach Hause bringe. K.nnte also auch Eifersucht ein mögliches Motiv für den Mord gewesen sein? K.aus Wittmann, Verteidiger des Angeklagten Sheqir K. hält es auf Nachfrage für übertrieben, "ein Eifersuchtsdrama zu spinnen".
Der Zeuge Furkan Y. ist nicht der erste, der in diesem Prozess zahlreiche Erinnerungslücken hat. Fast jede zweite Frage beantwortet er mit "weiß nicht" oder "keine Ahnung" - dabei müsste er doch ein Interesse an der Aufkärung des Mordes an seiner großen Liebe haben. Die Erinnerungslücken ziehen sich wie ein roter Faden durch das bisherige Verfahren - insbesondere bei den Zeugen aus dem Ingolstädter Bekanntenkreis der Angeklagten. Nun scheinen die Verteidiger aber mit ihrer Geduld am Ende zu sein. Schahraban K.'s Rechtsanwalt Jamil Azem fragt Furkan Y. direkt: "Haben Sie etwas mit dem Mord zu tun?" "Nein!", antwortet der Mann im Zeugenstand. Azems Kollege Alexander Betz stellt einen Antrag auf Vereidigung des Zeugen - jedoch ohne Erfolg. Dem Antrag wird nicht stattgegeben, die Kammer misst der Aussage keine "ausschlaggebende Bedeutung" zu.
Wie Johannes Makepeace, ebenfalls Verteidiger von Schahraban K., auf Nachfrage erklärt, würde man heutzutage eigentlich keine Zeugen mehr vereidigen. Doch sei dies zum einen ein Mittel, um Druck auszuüben, und zum anderen eine Möglichkeit, herauszufinden, wie das Gericht zu dem Zeugen stehe. Lehne die Kammer den Antrag ab, sei dies ein Zeichen dafür, dass sie dem Mann nicht glaubt, weil sie ihn sonst dadurch in eine Straftat treiben würde.
Darum geht es im Doppelgängerinnen-Mordprozess in Ingolstadt
Folgendes wird den Angeklagten vorgeworfen: Am 16. August 2022 soll Schahraban K. gemeinsam mit Sheqir K. die 23-jährige Khadidja O. getötet haben, weil sie der Angeklagten zum Verwechseln ähnlich sah. Danach wollte Schahraban K. untertauchen und ein neues Leben beginnen. Um eine geeignete Doppelgängerin zu finden, soll die Deutsch-Irakerin gezielt junge Frauen auf Social Media kontaktiert haben. So lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Die Anklage hinsichtlich beider Beschuldigter lautet auf versuchte Anstiftung zum Mord und Mord. Schahraban K. hat sich bereits zur Tat geäußert. Ihren Schilderungen nach ist sie unschuldig. Ihren Mitangeklagten hat sie allerdings schwer belastet.