Erst hat sie gar nichts bemerkt. Ursula Schönauer fiel nur auf, dass ihr Sohn sich veränderte. Er blieb nächtelang weg - und sie suchte nach ihm. Dann fand sie Haschisch in seinem Zimmer. Da war ihr Sohn gerade einmal 15 Jahre alt. Angefangen Cannabis zu rauchen, hatte er wohl schon mit 13 Jahren. Als sie ihn zur Rede stellte, sagte er lapidar: „Viele nehmen doch Drogen. Das ist ganz normal!“ Schönauer wollte das aber nicht akzeptieren und fuhr mit ihrem Sohn zur Drogenberatung. Hilfe bekam sie dort nicht. Dafür Vorhaltungen, wie sehr sie in der Erziehung versagt habe. Da beschloss Schönauer, einen Elternkreis zu gründen. Er trägt den Namen „Hilfe, mein Kind nimmt Drogen!“ und besteht seit dem Jahr 2000 bis heute.
Jeden Donnerstag um 20 Uhr treffen sich dort im Bürgerhaus in der Kreuzstraße in Ingolstadt Mütter und Väter aus der ganzen Region, die nicht mehr weiter wissen, weil ihr Kind süchtig ist. Mal kommen fünf, mal 20 Leute, sagt Schönauer. Vor allem zu Beginn des Elternkreises seien 90 Prozent der Teilnehmenden erschienen, weil ihr Sohn oder ihre Tochter angefangen hatte, zu kiffen. Seit der Teillegalisierung von Cannabis kämen hingegen weniger Eltern deswegen, Amphetamine rücken mehr in den Fokus, so Schönauer.
Sie glaubt, dass die Menschen Cannabis seit der Gesetzesänderung für weniger gefährlich hielten. Die Leiterin des Elternkreises sieht das ganz anders. Für die inzwischen 76-Jährige ist Marihuana nach wie vor die Einstiegsdroge schlechthin für „Heroin und Größeres“, insbesondere für neue psychoaktive Substanzen und Opiate. Deshalb steht sie dem Gesetz, das vor einem Jahr in Kraft trat und den Konsum sowie den Anbau von Cannabis in kleinen Mengen erlaubt, äußerst kritisch gegenüber. Sie setzt sich dafür ein, dass es rückgängig gemacht wird, will auf der Gewerbemesse in Manching (11. bis 13. April) eine Befragung durchführen und diese dann an die Regierung schicken. Dort könnte sie offene Türen einrennen. Denn CDU und vor allem CSU wollen das Gesetz ebenfalls wieder streichen.
In der Region um Ingolstadt gibt es tragische Fälle, die mit dem Konsum von Cannabis zu tun haben
Dass Ursula Schönauer gegen Marihuana kämpft, kommt nicht von ungefähr. Es liegt nicht nur an ihrer eigenen Geschichte und der ihres Sohnes, sie kennt zahlreiche tragische Fälle aus dem Elternkreis. Den der 22-Jährigen, die mit 16 anfing, Joints zu rauchen, und nicht mehr loskam. Sie würde den ganzen Tag kiffen, keine Lehre machen, nicht arbeiten und ihr Freund tue es ihr gleich. Die Eltern kommen mit der Tochter nicht mehr zurecht und wandten sich eines Tages an den Elternkreis. „Sie hat keine Motivation mehr für irgendetwas“, erklärt Schönauer das Problem.
Und dann ist da noch der Fall eines Jugendlichen, der ebenfalls im Alter von 16 Jahren begann, Marihuana zu rauchen. Er lebte erst beim Vater, dann bei der Mutter, wie Schönauer erzählt. Eines Tages ging die Mutter in den Keller, um die Flaschen aufzuräumen, die ihr Sohn dort angesammelt hatte. Eine Flasche war noch voll, die nahm sie mit in die Küche - im Glauben, es handle sich um Wasser. Als sie davon trank, wurde ihr allerdings schwindelig, sie kippte um und verlor das Bewusstsein. Der Sohn war entsetzt, den Notarzt rief er aber nicht. Denn er wusste, welche Konsequenzen ihm dann drohten. In der Flasche befand sich nämlich die synthetische Droge „Liquid Ecstacy“, flüssiges Ecstacy.
Er hatte Glück: Seine Mutter wachte wieder auf. Später mietete der junge Mann sich eine separate Wohnung, die er dazu nutzte, das „Liquid Ecstacy“ zu verkaufen, um seinen Cannabis-Konsum zu finanzieren, berichtet Schönauer. Bis irgendwann die Polizei vor der Tür stand und die Wohnung im Rahmen einer Razzia durchsuchte. „Im Elternkreis kommen die heftigsten Sachen auf“, sagt die Ingolstädterin.
Der Elternkreis „Hilfe, mein Kind nimmt Drogen“ soll Betroffenen in der Region helfen
Die Geschichte von Schönauer und ihrem Sohn ging gut aus. Mit 17 Jahren hörte er auf, Drogen zu nehmen. Doch damit es dazu kam, musste erst etwas Schlimmes passieren, wie die 76-Jährige erzählt: Ein damaliger Freund ihres Sohnes, der Cannabis-abhängig war, hatte sich erhängt. Und ein anderer Freund, der in Ingolstadt eine Drogen-Kneipe betrieben hatte, verunglückte tödlich, als er mit dem Auto nach Holland gefahren war, um Nachschub zu besorgen.
Nach diesen Vorkommnissen habe ihr Sohn alle Drogen weggeräumt, sagt Schönauer. Er holte das Abitur nach und studierte. „Heute ist er ein tüchtiger Mann mit Familie. Ich bin dafür ewig dankbar und so glücklich.“ Deshalb könne sie im Elternkreis positive Impulse setzen und Betroffenen Hoffnung geben - anstatt Schuldgefühle. Die Gruppe sei eine gute Adresse, findet die Ingolstädterin. „Sie ist niederschwellig, anonym, man braucht keinen Termin und die Eltern erhalten dort praktische Tipps von Betroffenen.“


Info: Die nächste Info-Veranstaltung des Elternkreises findet am Mittwoch, 9. April, um 19.30 Uhr im Altstadt-Theater in Ingolstadt statt. Der Eintritt ist frei. Als Referentin spricht die Resilienz-Trainerin und Fachkraft für Elternbildung Eva-Maria Schlagenhaufer. Mehr unter www.elternkreis-ingolstadt.de.
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