Die Medienvertreter werden weniger, doch die Zuschauer stehen nach wie vor Schlange, um in den Sitzungssaal elf des Landgerichts Ingolstadt gelassen zu werden. Es ist der siebte Verhandlungstag im sogenannten Doppelgängerinnen-Mordprozess. Auch heute werden noch einmal Zeugen aus dem näheren Umfeld der Angeklagten erwartet, von denen man sich neue Details zur Nacht und dem Tag nach der Tat erhofft.
Als erste Zeugin an diesem Tag sagt die Mutter des Zeugen aus, mit dem die Beweisaufnahme Anfang Februar begonnen hatte: Marcello B. aus Ingolstadt, ein langjähriger Freund des Angeklagten. Ihm soll Sheqir K. als erstes den Mord gestanden haben in der Nacht von 16. auf 17. August 2022. Außerdem kannte der 21-Jährige seit ungefähr einem Monat vor der Tat Schahraban K. und hat sie am Tattag getroffen. Seine genaue Rolle in dem Mordfall ist bisher nicht klar. Er wird möglicherweise ein zweites Mal vernommen.
Als die 53-Jährige hereinkommt und auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt, raunt sie in Richtung der Verteidiger von Schahraban K: "Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen." Dann erzählt sie, wie ihr Sohn vom Angeklagten Sheqir K. von dem Mord erfahren habe. Ob ihr Sohn in Schahraban K. verliebt gewesen sei, fragt der Vorsitzende Richter. Dies hatte am Donnerstag eine Zeugin, eine Zellengenossin der Angeklagten, behauptet. "Das glaub' ich weniger. Er hat sich von ihr ja nicht mal vor die Haustür fahren lassen", sagt die Mutter. Die Zeugin wird wütend: "Dass mein Sohn Morddrohungen bekommen hat von der da" – sie zeigt auf die Angeklagte links von ihr – "interessiert keinen. Stattdessen wird er mitverdächtigt, weil er unseren Namen trägt." Die Familie ist in Ingolstadt bekannt, Marcello B. saß schon mal im Gefängnis. Die Zellengenossin hatte berichtet, dass Schahraban K. ihr gesagt hätte, sie wolle unter anderem noch Marcello B. umbringen.
Später berichtet eine Zeugin, wie Schahraban K. an jenem 17. August kurz vor 21.30 Uhr an der Kreuzung bei einem Pizzalieferdienst einfach zu ihr ins Auto gesprungen sei. Außer der Angeklagten seien noch fünf Männer auf der Straße gestanden. Einer trat zur Zeugin ans Autofenster und bat: "Bitte lassen Sie sie hier!" Die Zeugin aber gab Gas. Schahraban K. sei panisch gewesen. Sie habe gezittert und gesagt: "Ich schwör' auf meinen toten Bruder, ich hab' nichts getan!" Der Vater von einem der Männer habe ein Mädchen umgebracht und das wollten sie ihr nun anhängen, soll die Angeklagte weiter gesagt haben. Als die Zeugin zur Polizei fahren wollte, verneinte Schahraban K.: "Die sperren mich ein!" Bei einem Teppichgeschäft sei die Deutsch-Irakerin ausgestiegen, obwohl die Männer sie in zwei Autos verfolgt hatten und in der Nähe waren. Weil die Zeugin Angst um die junge Frau hatte, setzte sie einen Notruf ab.
Doppelgängerinnen-Prozess: Zeuge schildert, wie die Angeklagte flüchten wollte
Danach sagt einer der Männer aus, die Schahraban K. hinterher gefahren sind. Er erzählt die Geschichte so: Er hatte bereits von dem Mord gehört - und, dass die Angeklagte einmal die Idee geäußert haben soll, ihren Tod vortäuschen zu wollen. Als er an diesem Abend mit einem Freund im Auto unterwegs war, sah er plötzlich eben diese Frau bei einem Pizzalieferdienst. Er fragte sie, ob sie "die Tote" sei. Sie soll geantwortet haben: "Ja, der Plan ist aufgegangen." Da habe er sie aufgefordert, zur Polizei zu gehen und sich zu stellen. Als die Angeklagte wegrannte, sei sein Freund ihr nachgelaufen und wollte sie festhalten, doch sie schrie, bis mehrere Männer aus einer Gaststätte kamen. Dann sei sie schnell in ein rotes Auto gesprungen - das Auto der vorherigen Zeugin. Der Zeuge fuhr hinter dem Auto her und setzte parallel einen Notruf ab. Dieser Notruf wird im Gerichtssaal vorgespielt. Gegen Ende des Telefonats - Schahraban K. musste wohl wieder ausgestiegen sein - hört man ihre panische Stimme: "Ich brauche Hilfe!" Wenig später soll sie sich in ein anderes Auto gesetzt haben und mit dem Fahrer weggefahren sein.
Auch der Freund tritt noch in den Zeugenstand. Seine Aussage erklärt das zweite Auto, das die frühere Zeugin bei der Verfolgung gesehen haben will: Er rief nämlich einen weiteren "Kollegen" an, der daraufhin ebenfalls mit dem Auto kam und hinter den beiden Fahrzeugen her fuhr.
Das wird den Angeklagten vorgeworfen: Am 16. August 2022 soll Schahraban K. gemeinsam mit Sheqir K. Khadidja O. getötet haben, weil sie ihr zum Verwechseln ähnlich sah. Danach wollte Schahraban K. untertauchen und ein neues Leben beginnen. Um eine geeignete Doppelgängerin zu finden, soll die Deutsch-Irakerin gezielt junge Frauen auf Social Media kontaktiert haben. So lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Die Anklage hinsichtlich beider Beschuldigter lautet auf versuchte Anstiftung zum Mord und Mord. Schahraban K. hat sich bereits zur Tat geäußert. Ihren Schilderungen nach ist sie unschuldig. Ihren Mitangeklagten hat sie allerdings schwer belastet.