nnte die getötete K.adidja O. tatsächlich eine Opfergabe für einen bösen Zauber gewesen sein? Diese Frage soll ein „Magier“ klären, der an diesem Tag als Zeuge am Landgericht Ingolstadt geladen ist. Es ist der 46. Verhandlungstag im sogenannten Doppelgängerinnen-Mordprozess - und der Fall hat an Spannung und Absurdität seit Beginn keinen Deut eingebüßt. Entsprechend voll ist der Gerichtssaal. An diesem Tag wird nicht nur deutlich, wie viele Fragen in diesem Prozess noch ungeklärt sind und wie weit die Beweisaufnahme ausgeufert ist, sondern auch welche Bedeutung sprachliche und kulturelle Unterschiede haben - und wie wichtig ein guter Dolmetscher ist.
Im Zentrum der Hauptverhandlung stehen nach wie vor die gefalteten Zettel, die im Mercedes der Angeklagten Schahraban K. entdeckt wurden, in dem am 16. August 2022 auch die Leiche von Khadidja O. gefunden wurde. Einer der Verteidiger des Mitangeklagten Sheqir K. hatte vor ein paar Wochen im Rahmen eines Beweisantrags die Theorie aufgestellt, dass es sich bei den Briefchen um einen Liebeszauber handeln könnte, mit dem die Angeklagte die Beziehung zu ihrem Ex-Mann Rawan N. retten wollte. Die Briefchen soll ein Magier für die Deutsch-Irakerin verfasst haben. Dieser Mann, ein 53-Jähriger aus Hessen, sagt nun aus. Zuvor verkündet der Vorsitzende Richter noch, dass alle neun verwertbaren Fingerabdrücke sowie DNA-Spuren, die auf dem Papier festgestellt wurden, von eben diesem Mann stammen.
Landgericht Ingolstadt: Eine Dolmetscherin übersetzt für den „Magier“
Dann betritt der 53-Jährige den Saal: dunkler Anzug, schwarze Haare, Bart und Mütze. Er wurde 1971 in einem Dorf im Irak geboren, seit neun Jahren lebt er in Deutschland. Er ist Jeside wie die Angeklagte. Allerdings ist er ein Scheich, also ein spirituelles Oberhaupt der religiösen Gemeinschaft, wie er sagt. Davon gebe es fünf. Dem Scheich sind Jesiden zugordnet, für die er Ansprechpartner ist. Dass er ein Scheich sei, sei unter den Jesiden bekannt. Wenn sich jemand an ihn wendet, telefonisch oder persönlich, bete er für diese Person und schreibe auch entsprechende Briefe, erzählt der Mann - auf kurdisch. Deutsch spricht er nicht. Damit die anderen Prozessbeteiligten ihn verstehen können, ist eine Dolmetscherin geladen. Sie ist allerdings Christin und zudem nicht allgemein vereidigt - dies wird später noch eine Rolle spielen. Was von Anfang an auffällt, ist, dass der Zeuge meist viel mehr redet, als die Dolmetscherin übersetzt. Gleichzeitig scheint das, was er sagt, aber ohnehin recht schwammig zu sein.
Der Vorsitzende Richter zeigt dem Zeugen die Zettel und die Fotos und bittet ihn, das, was darauf geschrieben steht, vorzulesen. „Vom Namen Gottes und Taus Melek (Anm. d. Redaktion: einer der sieben jesidischen Erzengel). Ich hoffe, der Kranke wird gesund. Ich bete zu Gott, dass er ihn gesund macht (...)“, übersetzt die Dolmetscherin die Worte des Scheichs. Auf den anderen Zetteln stehe dasselbe, sagt der Zeuge. Dennoch bittet ihn der Richter, zu lesen. „Vom Namen Gottes (...) Mach diese Person und ihre Familie gesund. Sie hat Kopfschmerzen (...)“, übersetzt die Dolmetscherin. Von Liebe ist nicht die Rede, ein Name wird ebenfalls nicht genannt. Auf Nachfrage erklärt der Mann allerdings, dass gesund werden und wieder als Paar zusammenkommen für ihn zusammengehört.
Doppelgängerinnen-Mordprozess: Der „Magier“ ist Analphabet
Immer, wenn der Zeuge gebeten wird, wortwörtlich und Zeile für Zeile zu lesen, gerät er ins Schwimmen. Meist weicht er aus und sagt, es sei doch immer das Gleiche. Er verstehe auch gar nicht, warum er überhaupt hier sei. Da merkt die Nebenklagevertreterin an, dass die Schriftzeichen aber doch immer unterschiedlich seien. Wie könnten sie da dasselbe bedeuten? Es stellt sich heraus, dass der Zeuge die verwendete Schrift erfunden hat. Vor zehn Jahren hatte er psychische Probleme, wie er erzählt, drohte verrückt zu werden. Ein Engel habe ihm diese Sprache damals übermittelt. Ansonsten könne er weder lesen noch schreiben, auch kein arabisch oder kurdisch. Er habe nie eine Schule besucht.
Während die Anwälte weiter nachbohren und den Zeugen sogar vereidigen lassen wollen - unter anderem geht es ihnen darum, ob mit Kopfschmerzen physische oder psychische Einschränkungen gemeint sind -, wird der Vater der Angeklagten im Publikum unruhig, wütend. Plötzlich meldet er sich zu Wort, will etwas sagen. Doch der Richter und auch die Verteidiger weisen ihn scharf darauf hin, dass er im Gerichtsaal nicht einfach sprechen dürfe wie in einer öffentlichen Diskussionsrunde. Da verlässt er den Saal. Seine Frau bleibt. Der Zeuge glaubt übrigens, sich an die Angeklagte und ihre Eltern erinnern zu können, sicher ist er sich aber nicht. Dass er die Briefe geschrieben hat, bestätigt er. Vor zwei Jahren habe er jedoch damit aufgehört. Warum ausgerechnet vor zwei Jahren, beantwortet er so: Er wollte seine Ruhe haben und nicht weiter gestört werden. Die Frage der Staatsanwältin, ob bei einem seiner Zauber ein Menschenopfer nötig sei, verneint er. Er erhalte auch keine Bezahlung für seine Dienste, Spenden wie Brot könnten aber die Wirksamkeit der Gebete erhöhen.
Nach einer kurzen Unterbrechung meldet sich Schahraban K.s Verteidigung zu Wort. Ihrer Ansicht nach bestehen erhebliche Sprachbarrieren zwischen der Dolmetscherin und dem Zeugen. Vieles sei unsauber oder gar nicht übersetzt worden. Die Verteidigung widerspricht der Verwertung der Aussage des Scheichs. Der Richter ruft den Dolmetscher des Nebenklägers in den Zeugenstand, der ebenfalls kurdisch spricht. Er soll klären, inwieweit falsch übersetzt worden sei. Der Dolmetscher gibt an, dass tatsächlich teils nicht korrekt übersetzt worden sei. Er glaubt, die Dolmetscherin habe Teile der Zeugenaussage nicht richtig verstanden, da sie einen anderen Dialekt spreche. Außerdem habe sie manche Fragen nicht komplett übersetzt.
So geht es weiter im Doppelgängerinnen-Mordprozess in Ingolstadt
Der Zeuge muss nun noch einmal vernommen werden - mit dem passenden Dolmetscher. Doch zuerst ist Pause. Die Hauptverhandlung wird am 5. November fortgesetzt. Ein Urteil dürfte wohl erst Ende November fallen.
Das wird den Angeklagten vorgeworfen: Am 16. August 2022 soll Schahraban K. gemeinsam mit Sheqir K. die 23-jährige Khadidja O. getötet haben, weil sie der Angeklagten ähnlich sah. Danach wollte Schahraban K. untertauchen und ein neues Leben beginnen. Um eine geeignete Doppelgängerin zu finden, soll die Deutsch-Irakerin gezielt junge Frauen auf Social Media kontaktiert haben. So lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Die Anklage hinsichtlich beider Beschuldigter lautet auf versuchte Anstiftung zum Mord und Mord. Schahraban K. hat sich bereits zur Tat geäußert. Ihren Schilderungen nach ist sie unschuldig. Ihren Mitangeklagten hat sie schwer belastet.
Es gilt die Unschuldsvermutung.
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