Er könnte auch der nette junge Mann von nebenan sein. Der gute Freund des eigenen Sohnes, der schon fast zur Familie gehört und oft zum Essen bleibt. Oder der sympathische Schwiegersohn, der sofort hilft, wenn jemand gebraucht wird, der mit anpackt. Der mittlerweile 25-jährige Sheqir K. wirkt auf der Anklagebank im Landgericht Ingolstadt nicht wie ein kaltblütiger und grausamer Mörder, der im August 2022 auf eine 23-Jährige mehr als 50 Mal eingestochen haben soll. Und doch wird ihm im sogenannten Doppelgängerinnen-Mordprozess, der bereits seit Mitte Januar verhandelt wird, genau das vorgeworfen. Bislang hat sich der Ingolstädter, dessen Familie aus dem Kosovo stammt, nicht zur Tat geäußert. Er verfolgt das Geschehen meist emotionslos, manchmal lächelt er oder schüttelt den Kopf. Vor der aktuellen Verhandlungspause hat nun aber der Vorsitzende Richter Konrad Kliegl seinen Verteidigern nahegelegt, sich bald zu entscheiden, ob ihr Mandant sich noch zur Sache äußern wolle oder nicht. Am Dienstag geht das Verfahren weiter - und alle warten gespannt, was Sheqir K. tun wird.
"Für uns besteht keine Eile. Wir lassen das bewusst offen und behalten uns weiter vor, etwas zu sagen oder nicht. Wir werden uns nicht drängen lassen", sagt der Ingolstädter Strafverteidiger Klaus Wittmann, der den Angeklagten gemeinsam mit Thilo Bals vertritt, auf Nachfrage unserer Redaktion. Dies werde man so auch der Kammer mitteilen. Sollte der 25-Jährige sich äußern wollen, werde man dies rechtzeitig ankündigen.
Doppelgängerinnen-Mordprozess in Ingolstadt: Einlassung von Sheqir K. weiter offen
Grundsätzlich, erklärt Wittmann, könne man die Regel, dass ein frühes Geständnis strafmildernd wirke, bei Mord ohnehin nicht anwenden, denn hier sei die Strafe im Falle einer Verurteilung immer lebenslänglich. Dementsprechend mache eine Einlassung nur dann Sinn, wenn es dabei um die Frage gehe, ob jemand überhaupt ein Mörder sei, also wenn man durch die Erklärung eine Änderung des Tatvorwurfs, etwa in Totschlag, herbeiführen oder diesen komplett abstreiten will. So geschehen im Falle der zweiten Angeklagten.
Diese hat gleich zu Beginn des Prozesses ihre Version der Tat geschildert. Wie ihre Verteidiger sagen, auf eigenen Wunsch. Dabei hat die 25-jährige Deutsch-Irakerin Sheqir K. schwer belastet. Schahraban K.s Einlassung nach soll dieser den Mord alleine begangen haben. Er soll sie gezwungen haben, ihn nach Eppingen zu bringen. Dort hätten sie die 23-jährige Khadidja O. abgeholt. Anschließend seien sie mit ihr in ein Waldstück gefahren, in dem Sheqir K. die junge Frau mit einem Schlagring niedergschlagen habe. Dann seien sie weiter zu einem Parkplatz gefahren, wo der Mann Khadidja O. auf der Rückbank des Autos erstochen habe. Sie selbst, so Schahraban K., habe versucht, Sheqir K. aufzuhalten, habe ihm aber wenig entgegensetzen können und außerdem große Angst gehabt. Nach der Tat fuhren sie nach Ingolstadt und stellten das Auto mit der Leiche in der Peisserstraße ab.
Schahraban K. äußerte sich damit zwar zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, beantwortete aber keine Fragen. Und sie erzählte auch nicht, was der Tat vorausging, zum Beispiel, wie sie und ihr Mitangeklagter sich kennengelernt haben. Zeugenaussagen zufolge entstand der Kontakt über einen gemeinsamen Freund ungefähr zehn Tage vor der Tat. Eine Liebesbeziehung soll zwischen den beiden nicht bestanden haben.
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt geht von einem gemeinschaftlich begangenen Mord aus
Laut Staatsanwaltschaft lief die Tat jedoch ganz anders ab, als von Schahraban K. beschrieben: Die Angeklagte soll auf Social Media gezielt nach Frauen gesucht haben, die ihr ähnlich sahen. So fand sie Khadidja O. und stellte ihr eine kostenlose Laserbehandlung in ihrem Kosmetikstudio in Aussicht, um sie zu einem Treffen zu bewegen - zu dem es schließlich am 16. August 2022 kam. Durch den Mord wollte Schahraban K. nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ihren eigenen Tod vortäuschen, untertauchen und ein neues Leben beginnen. Grund sollen familiäre Streitigkeiten gewesen sein. Sheqir K. soll der Komplize der Deutsch-Irakerin gewesen sein und die Stiche hauptsächlich oder alleine ausgeführt haben. Im Mercedes von Schahraban K., in dem die Leiche gefunden wurde, stellten die Ermittler nicht nur von der Getöteten Blut- und DNA-Spuren fest, sondern auch von Sheqir K. Diese könnten von einem Kampf mit dem Opfer stammen.
Der Doppelgängerinnen-Mord von Ingolstadt
Am 16. August 2022 nachts wird in der Peisserstraße in Ingolstadt die Leiche einer jungen Frau in einem schwarzen Mercedes gefunden.
Der Mercedes gehört der damals 23-jährigen Deutsch-Irakerin Schahraban K. Ihre Eltern glauben zunächst, dass es sich bei der Toten um ihre Tochter handelt.
Dann gibt es in dem Fall eine unglaubliche Wendung: Die Tote ist nicht Schahraban K., sondern die 23-jährige Khadidja O. Sie stammt aus Eppingen, einem Ort in der Nähe von Heilbronn, und hat algerische Wurzeln.
Die totgeglaubte Schahraban K. wird zur Tatverdächtigen. Mit ihr der zum Tatzeitpunkt 23-jährige Ingolstädter Sheqir K., ein Kosovare. Die Polizei nimmt die beiden Verdächtigen noch in der Nacht von 17. auf 18. August 2022 fest.
Ungefähr ein Jahr wird ermittelt. Die Beschuldigten sitzen in Untersuchungshaft. Dann erhebt die Staatsanwaltschaft Ingolstadt Anklage und das Landgericht Ingolstadt lässt die Anklage zu.
Schahraban K. und Sheqir K. werden wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes angeklagt, außerdem jeweils wegen versuchter Anstiftung zum Mord.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Anklagten vor, Khadidja O. am 16. August 2022 in ihrem Heimatort abgeholt zu haben. Dann sollen sie sich zu dritt in dem schwarzen Mercedes auf den Weg nach Ingolstadt gemacht haben.
Im Waldstück Stöckach soll Sheqir K. Khadidja O. mit einem Schlagring niedergeschlagen haben. Anschließend soll er sie mit 56 Messerstichen getötet haben.
Dann sollen die zwei Angeklagten mit der 23-Jährigen zurück nach Ingolstadt gefahren sein, wo sie das Auto in der Peisserstraße abgestellt haben.
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt vermutet hinter dem Mord folgendes Motiv: Schahraban K. und Sheqir K. sollen Khadidja O. umgebracht haben, weil sie der Angeklagten zum Verwechseln ähnlich sah – wie eine Doppelgängerin.
Schahraban K. soll gezielt junge Frauen über Social Media angeschrieben und ihnen eine kostenlose Laserbehandlung angeboten haben, um sie von einem Treffen zu überzeugen. Khadidja O. ging darauf ein.
Durch den Mord wollte Schahraban K. ihren eigenen Tod vortäuschen und untertauchen, um ein neues Leben zu beginnen, so die Anklage der Staatsanwaltschaft.
Der Prozess vor dem Schwurgericht des Landgerichts Ingolstadt hat am 16. Januar begonnen. Aktuell sind gut 40 Prozesstage angesetzt – bis Anfang August.
Schahraban K. hat sich bereits zur Tat geäußert: Sie selbst sei unschuldig, ihren Mitangeklagten hat sie schwer belastet. Sie sei zwar dabei gewesen, habe aber von nichts gewusst und habe um ihr eigenes Leben gefürchtet.
Hinsichtlich der versuchten Anstiftung zum Mord lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Schahraban K. soll versucht haben, ihren Ex-Schwager umbringen zu lassen, weil dieser gegen die Beziehung von Schahraban K. mit seinem Bruder gewesen sein soll.
Die Angeklagte gibt dies zu, beteuert aber, sie habe das schon nach kurzer Zeit nicht mehr gewollt. Der Auftragskiller hat die Tat nie ausgeführt.
Sheqir K. soll in der Untersuchungshaft versucht haben, einen Mithäftling dafür anzuwerben, dass dieser nach seiner Entlassung mehrere Zeugen in dem Mordfall beseitigt. Dazu kam es aber nicht.
Sheqir K. schweigt bislang zu allen Vorwürfen. Für beide Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.
Sheqir K. ist auch wegen versuchter Anstiftung zum Mord angeklagt. So soll er im vergangenen Jahr in Untersuchungshaft eine "Todesliste" angefertigt haben mit potenziellen Belastungszeugen. Ein Teil von ihnen sollte eingeschüchtert, ein Teil beseitigt werden. Damit soll der Angeklagte einen Mitinsassen beauftragt haben, der bald entlassen werden sollte - doch dieser lehnte ab. Auch hierzu hat sich Sheqir K. vor Gericht bislang nicht geäußert. Nach der Zellendurchsuchung, bei der die Liste gefunden wurde, soll er das Vorhaben allerdings abgestritten haben.
Was ist bisher über den Angeklagten bekannt? Er hat schwarze Haare, einen Bart und eine Brille - insgesamt ein gepflegtes Äußeres. Er ist groß, krätfig und sportlich. Der 25-Jährige scheint aus eher bescheidenen Verhältnissen zu kommen und lebte zum Zeitpunkt der Festnahme - einen Tag nach der Tat - noch bei seiner Mutter und seinem behinderten Bruder in der Wohnung und soll sich viel um die beiden gekümert haben. Seine Mutter und seine Schwester verfolgen den Prozess meist im Zuschauerbereich, die Aussage haben sie verweigert. Sheqir K.s Vater sei, wie die Familie sagt, im Kosovo-Krieg verschollen. Wie Freunde des Angeklagten im Zeugenstand berichteten, sei Sheqir K. ein eher ruhiger Typ. Hilfsbereit, ordentlich, ein Familienmensch. Er soll sich aber auch für Waffen interessiert, regelmäßig Marihuana geraucht und gelegentlich Koks konsumiert haben. Außerdem sei er möglicherweise leicht von Frauen zu beeinflussen. Sein bester Freund sagte aus, Sheqir K. habe ihm den Mord in der Nacht nach der Tat gestanden.
So geht es im Doppelgängerinnen-Mordprozess von Ingolstadt weiter
Die Hauptverhandlung wird am Dienstag, 4. Juni, fortgesetzt. Dann stehen voraussichtlich die Daten, die aus dem Navigationsgerät von Schahraban K.s Mercedes ausgelesen wurden, im Fokus. Lässt sich dadurch die Fahrt nach Eppingen verifizieren? Am Donnerstag, 6. Juni, sind noch einmal Zeugen aus dem näheren Umfeld der Angeklagten geladen: ihre einstigen Schwiegereltern und ein jesidischer Schlichter. Welches Bild zeichnen sie von der Beziehung zwischen Rawan N. und Schahraban K.? Am Dienstag, 11. Juni, soll es anhand eines früheren Mithäftlings von Sheqir K. ein weiteres Mal um die "Todesliste" gehen, außerdem berichtet die DNA-Expertin erneut aus ihrem Gutachten. Wie der Vorsitzende Richter Anfang Mai mitteilte, seien die meisten Zeugen dann gehört. Bis zur Sommerpause sind weiterhin meist zwei Verhandlungstage pro Woche angesetzt.