Es ist Tag 32 im sogenannten Doppelgängerinnen-Mordprozess am Landgericht Ingolstadt. An diesem Dienstag sagen verschiedene Zeugen aus, unter anderem ein Informatiker von Mercedes und eine Jesidin, die am Schlichtungsverfahren zwischen Schahraban K. und Rawan N. beteiligt war. Die an diesem Tag interessantesten Nachrichten sind aber am Rande des Prozesses oder zu erfahren oder kommen eher zufällig ans Licht.
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hatte gegen die Eltern von Schahraban K. ermittelt wegen falscher Verdächtigung. Die Eltern hatten in der Nacht nach dem Auffinden der Leiche in der Peisserstraße den Verdacht geäußert, der Ex-Mann ihrer Tochter oder dessen Familie könnten hinter der Tötung ihrer Tochter stecken. Zu diesem Zeitpunkt ging man noch davon aus, dass die tote Frau in dem schwarzen Mercedes Schahraban K. war. Schon am Tag nach dem Mord wurde aber klar, dass die Getötete eine ganz andere Frau ist und Schahraban K. wurde zur Tatverdächtigen.
Doppelgängerinnen-Mord: Eltern haben Leiche der Getöteten in Ingolstadt gefunden
Ob die Eltern der Angeklagten, die das Auto ihrer Tochter in der Nacht des 16. August 2022 gegen 23 Uhr entdeckt hatten, von der Tat wussten oder darin verwickelt waren, war unklar. Bis heute weiß man nicht, wie die Eltern den Mercedes von Schahraban K. gefunden haben, warum sie mitten in der Nacht von ihrem Wohnort München aus nach Ingolstadt in die Peisserstraße gefahren sind. Ein Zeuge sagte kürzlich aus, dass er den Vater danach gefragt habe, woraufhin dieser erklärt haben soll, er habe ein Zeichen von Gott bekommen beziehungsweise es sei eine Art Bauchgefühl gewesen.
Wie Johannes Makepeace, einer der Verteidiger von Schahraban K., mitteilt, sei das Verfahren gegen die Eltern nun eingestellt worden. Die Einstellung erfolgte nach § 170 der Strafprozessordnung. Darin heißt es, dass dann Anklage erhoben wird, wenn genügend Anlass dazu besteht. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Ermittlungen keinen ausreichenden Tatverdacht hinsichtlich einer falschen Verdächtigung ergeben habe. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt bestätigt die Einstellung des Ermittlungsverfahrens auf Nachfrage unserer Redaktion.
Die beiden Zeugen der Polizei können zur Klärung des Falls nichts Wesentliches beitragen. Die Auswertung von drei Laptops - jeweils einer der beiden Angeklagten und einer der Geschädigten - habe nichts Relevantes ergeben, sagt einer der Zeugen. Die Geräte seien insgesamt nicht viel genutzt worden, und im unmittelbaren zeitliche Zusammenhang mit der Tat überhaupt nicht.
Doppelgängerinnen-Mord: Mercedes stand wohl auf Parkplatz, aber in anderer Parklücke
Mit einem Informatiker von Mercedes und einem Sachverständigen geht es noch einmal um die Stand- und Fahrzyklen des Mercedes von Schahraban K. rund um die Tatzeit sowie um die Navigationsdaten. Ein Fahrzyklus beginne mit dem Starten des Motors und ende mit dem Ausschalten desselbigen, erklärt der Mann von Mercedes. Ob das Fahrzeug sich tatsächlich bewegt, spielt dabei keine Rolle. Der Sachverständige erläutert, dass die Angaben des Navigationsgeräts eine Ungenauigkeit von ungefähr fünf Metern aufweisen. Demnach ist es plausibel, dass sich der Mercedes - wie von Schahraban K. in ihrer Einlassung beschrieben - auf dem Parkplatz eines Supermarkts bei Bad Rappenau aufgehalten hat, es ist aber unwahrscheinlich, dass das Auto tatsächlich in der Parklücke stand, die die Angeklagte genannt hat. Diese Erkenntnisse ergeben Nachfragen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft.
Durften diese Daten, wo sich der Mercedes aufgehalten hat, überhaupt gespeichert werden? Diese Frage wirft Rechtsanwalt Klaus Wittmann, einer der Verteidiger von Sheqir K., auf. Denn wenn nicht, dürften diese Daten wohl auch für das Verfahren nicht verwendet werden. Sein Kollege Thilo Bals widerspricht kurze Zeit später der Beweiserhebung. Die Speicherung der Daten sei ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung und verletze die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten. Somit sei auch die Auswertung der Daten rechtswidrig. Doch bei diesem Widerspruch fährt dem Verteidiger-Duo einer der Rechtsanwälte aus München in die Parade. Die Erhebung der Daten betreffe nicht den Schutzkreis von Sheqir K., sondern wenn, dann den seiner Mandantin Schahraban K., sagt Alexander Betz. Und die Münchner Verteidiger schließen sich dem Widerspruch nicht an - zum Missfallen der Ingolstädter.
Doch auch die Münchner müssen an diesem Tag eine kleine Niederlage hinnehmen : Die Kammer lehnt den kürzlich getätigten Antrag des Verteidigers Makepeace, die Erklärung von Wittmann zur Aussage eines Zeugen als Teileinlassung seines Mandanten zur "Todesliste" zu werten, ab. Begründung: Der Angeklagte habe ausdrücklich mitteilen lassen, dass er sich die Erklärung nicht zu eigen mache. Zudem seien Verteidiger lediglich Beistand, aber nicht Vertreter ihrer Mandanten.
Außerdem erklärt der Vorsitzende Richter, dass zwischenzeitlich ein Brief der Kassenärztlichen Vereinigung für die Angeklagte beschlagnahmt worden sei. Die Organisation fordere 12.000 Euro von Schahraban K. zurück, so der Richter. Wie im Laufe des Verfahrens bekannt geworden ist, soll die Angeklagte ein Corona-Testzentrum betrieben und Menschen Zertifikate ausgestellt haben, ohne diese wirklich getestet zu haben. Abgerechnet scheint sie die Tests aber trotzdem zu haben.
Sheqir K. hat ein Strafverfahren als Jugendlicher hinter sich
Eine andere Information kommt an diesem Tag eher zufällig ans Licht: Sheqir K. hat zwar bislang keine Eintragungen im Bundeszentralregister (BZR) der Justiz, aber es gab vor ein paar Jahren ein Jugendstrafverfahren gegen den mittlerweile 25-jährigen Angeklagten. 2017 hat er wohl auf den Enkel einer älteren Dame - die eigentlich als Zeugin geladen war, weil sie eine Nachbarin des Angeklagten ist - mit einer Softair Pistole oder Ähnlichem geschossen. Das Urteil in dem Verfahren wird nicht bekannt. Eine Eintragung im BZR gibt es deshalb nicht, weil laut Gesetz Jugendstrafen von nicht mehr als einem Jahr und Bewährungsstrafen von nicht mehr als zwei Jahren nach nach einem Zeitablauf von fünf Jahren aus dem BZR gelöscht werden.
Die Aussage einer anderen Nachbarin, die diese im Januar 2023 bei der Polizei getätigt hat, wird vom Richter verlesen. Die Zeugin ist inzwischen verstorben. Die Frau will am 16. August 2022 vormittags beobachtet haben, wie Sheqir K. einen Koffer und Tüten aus Schahraban K.s Mercedes geräumt und ins Haus geräumt hat. Diese Situation hatte Schahraban K. in ihrer Einlassung geschildert - wobei nicht alle Verteidiger der Ansicht sind, dass diese Aussage die Einlassung der Angeklagte stütze.
Schließlich sagt noch die Jesidin aus, die am Schlichtungsverfahren zwischen Schahraban K. und Rawan N. beteiligt war. Wie schon andere Schlichter schildert sie, dass es nach einem Treffen so ausgesehen habe, als hätte sich das Paar wieder versöhnt. Doch am nächsten Tag wollte Rawan N. dennoch die Scheidung. Daraufhin habe die Zeugin auf Wunsch der Angeklagten die Familie von Rawan N. angerufen, wie sie erzählt. Dessen älterer Bruder soll am Telefon gesagt haben: "Ich möchte nicht, dass Schahraban zu ihrem Ehemann zurückgeht. Ich bin Milliardär, ich kann mit meinem Geld alles machen. Ich werde die Ehe für gescheitert erklären lassen. Die Frau soll am nächsten Tag ins Gefängnis gesperrt werden." Todesdrohungen, wie von der Angeklagten berichtet, soll ihr Schwager aber keine ausgesprochen haben, so die Zeugin.
Darum geht es im Doppelgängerinnen-Mordprozess von Ingolstadt
Das wird den Angeklagten vorgeworfen: Am 16. August 2022 soll Schahraban K. gemeinsam mit Sheqir K. die 23-jährige Khadidja O. getötet haben, weil sie der Angeklagten ähnlich sah. So wollte Schahraban K. ihren eigenen Tod vortäuschen und ein neues Leben beginnen. Eine geeignete Doppelgängerin soll die Deutsch-Irakerin auf Social Media gesucht haben. Schahraban K. sagt, sie sei unschuldig. Ihren Mitangeklagten, der zu den Vorwürfen schweigt, hat sie schwer belastet.
Für beide Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.