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Interview: Erst Sanitätsoffizier, jetzt Direktor am Klinikum: Das hat Hans-Georg Palm erlebt

Interview

Erst Sanitätsoffizier, jetzt Direktor am Klinikum: Das hat Hans-Georg Palm erlebt

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    Professor Hans-Georg Palm ist Direktor der Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Ingolstadt.
    Professor Hans-Georg Palm ist Direktor der Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Ingolstadt. Foto: Klinikum Ingolstadt

    Wie muss man sich die Arbeit als Arzt bei der Bundeswehr vorstellen?
    PALM: Die Arbeit in den Kliniken der Bundeswehr ist sehr vergleichbar mit zivilen Krankenhäusern. Eine Besonderheit ist jedoch die sehr lange Ausbildungsdauer für Chirurgen, wonach man nicht nur – in meinem Fall – Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, sondern auch Facharzt für Allgemeinchirurgie wird. Dies ist enorm wichtig, um in Auslandseinsätzen auf sich alleine gestellt eine große Breite an Notfalleingriffen abbilden zu können. Dort braucht man einen Generalisten, der die Behandlung eines schwerstverletzten Patienten mit Explosionsverletzungen am Bauch, im Kopf und an den Extremitäten managen kann.

    Gibt es noch weitere Besonderheiten?
    PALM: Der persönliche Bezug zu den Patienten. Hier in der Klinik haben wir Empathie für die Patienten, aber wir kennen sie in der Regel nicht persönlich. Wenn Sie in einem Kriegsgebiet eingesetzt sind, ist es durchaus möglich, dass Sie am Abend noch mit jemandem am Tisch sitzen und essen und am nächsten Tag liegt derselbe Mensch verletzt vor Ihnen.

    Ist die Vorstellung, dass man als Arzt direkt an der Front ist, überhaupt richtig?
    PALM: Das ist ganz unterschiedlich. Als Notarzt begleiten sie natürlich die Truppe draußen. Sie fahren mit ihrem gepanzerten Notarztfahrzeug raus, sind oft tagelang nicht im Lager. Sie haben aber auch den ganz normalen Krankenhausbetrieb, behandeln auch mal Einheimische zum Beispiel mit einer Blinddarmentzündung oder einem Bruch. 

    In welchen Ländern waren Sie im Einsatz? Und wie lange?
    PALM: In der Summe war ich circa eineinhalb Jahre in Einsätzen – zunächst als Notarzt in Kunduz. Später als Chirurg erneut in Afghanistan, in Mali, im Kosovo und im Irak. Auch bin ich zur See auf einer Fregatte und einem Versorgungsschiff gefahren, um mich an der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer zu beteiligen.

    Hans-Georg Palm während seiner Zeit bei der Bundeswehr.
    Hans-Georg Palm während seiner Zeit bei der Bundeswehr. Foto: Klinikum Ingolstadt

    Wo war es am gefährlichsten?
    PALM: In Afghanistan war man sehr gefährdet. Ich war zum Beispiel dabei, als wir Sprengfallen räumen mussten oder nachdem in einer Moschee eine Panzermine explodiert war und die Lage aufgeklärt werden musste. Besonders bewusst wurde mir die eigene Gefahr für Leib und Leben, als ein Vorgänger als Notarzt im Einsatz gefallen ist. Eine Panzerfaust hatte in sein Fahrzeug eingeschlagen. Es war sicherlich eine bedrohliche Zeit, aber man wird ja auch dafür ausgebildet. Und das gehört dann einfach zum Job dazu.

    Welche positiven Erinnerungen nehmen Sie aus der Zeit bei der Bundeswehr mit?
    PALM: Sie erleben unglaublich viele positive Momente, zum Beispiel wenn sie mit ihrem kleinen Team vor Ort helfen können. Etwa wenn man Schulen eröffnet. Ich war auch dabei, wie Arztpraxen aufgebaut worden sind mit den Geldern der NATO. Es ist sehr erfüllend, wenn man sieht, wie die Leute vor Ort profitieren. Außerdem habe ich die Erkenntnis mitgenommen, dass Sie mit Selbstvertrauen und einer guten Ausbildung selbst die schwierigsten Situationen meistern können.

    Vor Kurzem sind Sie vom Universitätsklinikum Erlangen nach Ingolstadt gewechselt. Wie können die Patienten am Klinikum von Ihnen und Ihren Fähigkeiten profitieren?
    PALM: Ingolstadt ist ein Verkehrsknotenpunkt und geprägt von produzierendem Gewerbe. Außerdem kommen auch Schwerstverletzte mit dem Rettungshubschrauber, der hier stationiert ist, von außerhalb der Region. Wir haben am Klinikum ein überregionales Traumazentrum. Diese Patienten haben oft komplexe Verletzungsmuster vom Kopf über den Bauch, am Brustkorb, an Wirbelsäule und Becken sowie den Extremitäten. Wenn Sie einen Generalisten haben, kann der sehr genau einschätzen, was bei dem jeweiligen Patienten zuerst versorgt werden muss und was noch Zeit hat, um ihn nicht zusätzlich durch eine große Operation zu schwächen. Als Unfallchirurg sind Sie der Trauma-Manager, quasi der Herr des Verfahrens, der sich mit den spezialisierten Kollegen abspricht. Wir bilden hier in Ingolstadt auch ein enormes Spektrum an Spezialisierung ab.

    Apropos Spezialisierung. Denken Sie, dass der Chirurg, der alles kann, aussterben wird?
    PALM: Wer weiß, wie sich das entwickeln wird, aber in Deutschland haben wir schon eine sehr große Tendenz zur Spezialisierung. Und bis zu einem gewisse Grad ist das auch gut. Wenn man Beschwerden an der Wirbelsäule hat, möchte man natürlich zu dem Arzt, der das am allerbesten macht. Und dafür werden wir auch immer Sorge tragen. Doch bei einem schweren Polytrauma brauchen Sie, wie gesagt, den Generalisten, der vor Nichts zurückschreckt, da sich auch das Krankheitsbild nicht auf einen Bereich beschränkt. Es ist wichtig, dass man in seiner Klinik die Balance findet zwischen Spezialisten und Allroundern – was man natürlich nur ab einer gewissen Größe des Hauses tun kann. Ein kleines Krankenhaus kann das nicht leisten.

    Professor Hans-Georg Palm bei der Untersuchung eines Patienten.
    Professor Hans-Georg Palm bei der Untersuchung eines Patienten. Foto: Klinikum Ingolstadt

    Beckenchirurgie ist ihr Spezialgebiet. Was ist das Besondere daran?
    PALM: Das Becken hat eine ganz zentrale Rolle in unserer Anatomie. Es verbindet die Extremitäten mit dem Rumpf und Wirbelsäule und hat natürlich statisch eine ganz besondere Aufgabe beim Sitzen und beim Gehen. Es ist also eine extrem wichtige Struktur und zugleich auch extrem komplex mit vielen Gefäßen und Nerven. Außerdem gibt es im Allgemeinen gesagt zwei Patientengruppen: den schnellen, jungen Autofahrer mit guter Knochenstruktur, der einen schweren Autounfall hat, und die ältere Dame mit Osteoporose, die gestolpert ist und sich gegebenenfalls an ihren Sturz gar nicht mehr erinnern kann. Beiden Gruppen müssen Sie helfen können, wobei die zweite aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft noch relevanter werden wird.

    Worauf kommt es bei der Behandlung von Beckenbrüchen bei älteren Menschen an?
    PALM: Unsere älteren Mitbürger können sich aufgrund ihrer geschwächten Knochenstabilität selbst bei niederenergetischen Stürzen aus dem Stand Knochenbrüche zuziehen. Dann kommt es auf minimalinvasive, weichteilschonende und sichere OP-Verfahren an, um die Patientinnen und Patienten schnell wieder auf die Beine zu bekommen und Komplikationen zu vermeiden. In Ingolstadt wurde dafür zum Beispiel auch eine Sektion für Alterstraumatologie eingerichtet, die von meinem Zentrum gemeinsam mit der Geriatrie betrieben wird. Auf die minimalinvasiven Operationsverfahren möchte ich einen besonderen Fokus richten, um die Klinik als modernes und leistungsfähiges Trauma-Kompetenzzentrum in Bayern zu stärken.

    Sie haben auch Forschung betrieben. Womit haben Sie sich beschäftigt?
    PALM: Unter anderem mit prä- und intraoperativer Bildgebung. Bei der Bildgebung vor dem Eingriff geht es vor allem darum, wie ich Brüche sicher identifizieren, nach Schweregrad klassifizieren und mich für die beste Therapie – konservativ und operativ – entscheiden kann. Intraoperativ hilft uns die 3D-Bildgebung, das operative Ergebnis gleich im OP-Saal zu beurteilen. Auch kann man Navigationssysteme einsetzen: Sie sehen am Computerbildschirm das Becken und planen während der Operation mithilfe der Bildgebung, wo die Schraube liegen soll. Und dann werden Sie computergestützt an Nerven und Gefäßen vorbeinavigiert und setzen die Schraube mit sehr hoher Sicherheit. Die nächste Stufe, wo sich die Medizin noch weiter hinentwickeln wird, ist das Roboter-assistierte Operieren. Die Instrumente wird aber immer der Mensch führen. Da geht es auch um Verantwortung. Außerdem, stellen Sie sich vor, es gibt einen Systemausfall – dann müssen Sie immer noch selbst operieren können.

    Zur Person

    Professor Hans-Georg Palm ist seit Juli Direktor der Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Ingolstadt. Davor war er 20 Jahre Sanitätsoffizier am Bundeswehrkrankenhaus Ulm und danach Leitender Oberarzt am Universitätsklinikum Erlangen mit außerplanmäßiger Professur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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