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Grasheim: Wie eine blinde Wirtin aus Grasheim ein Gasthaus führt

Grasheim

Wie eine blinde Wirtin aus Grasheim ein Gasthaus führt

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    Angela Dittenhauser ist Wirtin in Grasheim - und sie ist fast blind. Sie kocht nicht nur selber, sie gibt auch Essen am Büfett aus.
    Angela Dittenhauser ist Wirtin in Grasheim - und sie ist fast blind. Sie kocht nicht nur selber, sie gibt auch Essen am Büfett aus. Foto: Andrea Hammerl

    Versiert schneidet Angela Dittenhauser akkurate Scheiben vom Braten herunter, berät Gäste am Büfett, gießt die passende Soße über das Fleisch und begrüßt neu ankommende Stammgäste fröhlich mit Namen. Wer nicht weiß, dass die Wirtin des Gasthauses Karmann in Grasheim nahezu blind ist, dem würde es nicht auffallen. „Blind sein, heißt nicht, dass man gar nichts sieht“, sagt die 55-Jährige, die auf eine erneute Hornhauttransplantation wartet – ihre insgesamt 14. Augenoperation. 

    Zielsicher bewegt sie sich zwischen den Tischreihen im Saal und serviert sogar Getränke. „Aber nur das erste“, verrät sie lächelnd, „da kann nichts passieren, weil ja noch nichts auf dem Tisch steht“. Bekannte erkennt sie an der Stimme und wenn sie im Saal gebraucht wird, sagen Mitarbeiter oder Ehemann Hans ihr, wo die Personen sitzen, die sie sprechen wollen. Ihr ausgezeichnetes Gedächtnis kompensiert die fehlende Sehkraft. „Ich musste mir schon immer alles merken, ich habe ein Gedächtnis wie ein Elefant“, sagt sie. 

    Angela Dittenhauser führt fast blind ein Gasthaus und steht selbst in der Küche

    Das half schon in der Schule. Sie wollte auf gar keinen Fall auf eine Sehbehindertenschule. Obwohl sie damals nur rund 30 Prozent Sehkraft besaß, besuchte sie die Regelschule und schloss mit der Mittleren Reife an der Wirtschaftsschule ab. „Mit viel Hilfe und meiner besten Freundin Elisabeth“, verrät sie. Die anschließende Hauswirtschaftslehre schloss sie sogar als Landkreisbeste ab. „Sie macht aus einem bisschen das Höchstmögliche“, sagt ihr Augenarzt Udo Ehrenschneider bewundernd, „das geht nur mit höchster Motivation“. 

    Seit einem Jahr ist sie amtlich als blind anerkannt, ihre Restsehkraft beträgt circa zwei bis drei Prozent auf dem linken Auge. Auf dem rechten sieht sie seit 22 Jahren infolge einer postoperativen Aderhautblutung überhaupt nichts mehr. Ursache ist ein angeborenes Glaukom (erhöhter Augeninnendruck schädigt den Sehnerven), im Volksmund wegen der grün schimmernden Augen „Grüner Star“ genannt. Über mehr als 30 Prozent Sehkraft verfügte sie nie. 

    Alles hat seinen Platz – so findet Angela Dittenhauser ihr Equipment ganz leicht – ihr Elefantengedächtnis weiß, wo jedes Teil seinen Platz hat.
    Alles hat seinen Platz – so findet Angela Dittenhauser ihr Equipment ganz leicht – ihr Elefantengedächtnis weiß, wo jedes Teil seinen Platz hat. Foto: Andrea Hammerl

    Als einziges Kind ihrer Eltern stand für Angela Dittenhauser „schon immer“ fest, dass sie deren Gastwirtschaft übernehmen würde. Im Gasthaus Karmann kocht selbstverständlich die Chefin, die streng darauf achtet, dass ihr Handwerkszeug an seinem Platz liegt, damit sie nicht suchen muss. „Kochen ist Handwerk“, sagt sie. „Man kocht mit den Händen, nicht mit den Augen.“ Schließlich schaue auch kein sehender Koch beim Zwiebelschneiden auf die Zwiebel. Beim Bratenschneiden am Büfett verzichtet sie auf die Fleischgabel und fühlt mit der Hand, wie dick die Scheibe wird. Den Salat zu putzen überlässt sie allerdings ihren Mitarbeitern. 

    Wie eine blinde Wirtin in Grasheim selbstständig ein Wirtshaus führt: Nicht alles geht mit Willensstärke, aber vieles

    Zwei Jahre lang hat die Grasheimerin gemeinsam mit ihrem Mann die Schwiegermutter gepflegt, seit vier Jahren ist ihre eigene Mutter pflegebedürftig, ein Jahr lang mussten beide Mütter versorgt werden. Verantwortung musste Angela Dittenhauser schon in jungen Jahren übernehmen. Ihr Vater starb früh, sie war gerade 16 Jahre alt. 20 Jahre lang führte sie mit Mann und Mutter Land- und Gastwirtschaft parallel. Erst 2006 gaben sie die Landwirtschaft zugunsten des Biergartens auf. Den hatte einst ihr Urgroßvater Leonhard Reindl mit Kastanienbäumen bepflanzt, die heute mehr als 100 Jahre alt sind. Dass die dynamische Frau 20 Jahre lang die Aerobic-Abteilung des SV Grasheim, dessen Vereinswirtin sie ist, leitete, ihr eigenes Wohnhaus entworfen, Pläne gezeichnet, Wände gemauert und die Innengestaltung selbst gemacht hat, sei nur am Rande erwähnt.

    Zwiebeln schälen? Kein Problem, Angela Dittenhauser fühlt, wo noch Schalenreste vorhanden sind.
    Zwiebeln schälen? Kein Problem, Angela Dittenhauser fühlt, wo noch Schalenreste vorhanden sind. Foto: Andrea Hammerl

    Manches geht aber trotz aller Willensstärke nicht. „Ich hatte nie einen Führerschein“, sagt die Mutter zweier erwachsener Töchter und erzählt von recht skurrilen Reaktionen mancher Mitmenschen, die überrascht feststellen: „Dann kannst du ja gar nicht Autofahren.“ Was sie nur bestätigen kann. Oder mitleidig meinen: „Radfahren geht auch nicht – oder vielleicht mit Stützen?“. Worauf sie dann lachend antwortet, dass sie damit immer noch nichts sähe. 

    Ihre Krankengeschichte begann schon im Säuglingsalter. Damals war es sehr schwierig, einen Augenarzt zu finden. Erstmals wurde sie mit neun Monaten operiert es folgten vier weitere Operationen, jeweils mit wochenlangen Krankenhausaufenthalten - ohne Eltern und mit ans Bett gefesselten Händen, damit sie nicht an die Augen greifen konnte. 2013 folgte ein Netzhautriss, 2021 und 2022 waren trotz regelmäßiger Tabletteneinnahme wieder OPs erforderlich, im Februar 2023 eine Grauer-Star-OP. Die 2002 transplantierte Hornhaut ist mittlerweile stark in Mitleidenschaft gezogen, nun muss die innere Zellschicht ersetzt werden und sie hofft, wieder auf zehn bis 15 Prozent Sehkraft zu kommen.

    Mit ihrer Geschichte will Angela Dittenhauser Mut machen – all denen, die wie sie mit einer Einschränkung klarkommen müssen, aber auch potenziellen Organspendern. Während sie als Kind und Jugendliche alles tat, um ihre Behinderung zu kaschieren, geht sie heute selbstbewusst damit um. „Mir geht es gut, ich habe etwas gemacht aus meinem Leben“, findet sie. 

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