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Gendern: Eichstätter Wissenschaftler: "Sprache kann Gutes bewirken – oder verletzen"

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Eichstätter Wissenschaftler: "Sprache kann Gutes bewirken – oder verletzen"

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    Gendersensible Sprache soll alle Menschen einschließen – egal, welches Geschlecht per Geburt zugewiesen wurde. Universitäten beschäftigen sich schon länger damit. Die Debatte ist aber auch in der gesamten Gesellschaft angekommen.
    Gendersensible Sprache soll alle Menschen einschließen – egal, welches Geschlecht per Geburt zugewiesen wurde. Universitäten beschäftigen sich schon länger damit. Die Debatte ist aber auch in der gesamten Gesellschaft angekommen. Foto: dpa, bwe

    Immer mehr Organisationen und Unternehmen entscheiden sich für genderneutrale Sprache. Auch der Ingolstädter Automobilhersteller Audi hat zum 1. März die Kommunikation umgestellt. Wie setzt die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) genderneutrale Sprache um? Sie haben ja ebenfalls einen Leitfaden herausgebracht.

    Kathrin Schlemmer ist Professorin für Musikwissenschaft
    Kathrin Schlemmer ist Professorin für Musikwissenschaft Foto: KU Eichstätt-Ingolstadt

    Kathrin Schlemmer: Die KU macht es so, dass entweder beide Geschlechter genannt werden oder, wenn man eine Sparvariante nehmen möchte, dann nimmt sie Schrägstrich und dann Bindestrich, also zum Beispiel Leser/-innen. Das ist eine Möglichkeit, die der Duden erlaubt.

    Das heißt aber, dass bei dieser Variante erst einmal nur Männer und Frauen angesprochen sind, oder?

    Schlemmer: Ja, genau.

    Beim Gendersternchen hingegen wären auch alle Geschlechter abseits der Norm mit eingeschlossen, die oft mit einem „d“, das für „divers“ steht, bezeichnet werden. Und Menschen, die sich gar keinem Geschlecht zuordnen möchten...

    Schlemmer: Das Gendersternchen ist eigentlich die inklusivste Variante, die mir daher auch gut gefällt. Aufgrund der Kompatibilität mit dem Duden haben wir uns für die andere entschieden.

    Sebastian Kürschner ist Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Sprachwissenschaft an der Uni Eichstätt.
    Sebastian Kürschner ist Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Sprachwissenschaft an der Uni Eichstätt. Foto: KU Eichstätt-Ingolstadt

    Sebastian Kürschner: Das war eine eher amtssprachliche Orientierung, damit man auch in offiziellen Dokumenten amtssprachenkonform schreibt. Der Stern ist noch nicht akzeptiert als rechtschreibkonforme Form. Als Nutzer kann man allerdings auch immer den Stern nehmen. Ein Leitfaden gibt Empfehlungen, ist aber keine Festsetzung.

    Das heißt, nicht jeder an der KU muss sich an den Leitfaden halten?

    Schlemmer: Für die Homepage oder für offizielle Dokumente ist der Leitfaden einigermaßen verpflichtend. In Forschung und Lehre hingegen gilt die Freiheit als hohes Gut. Den Lehrenden schreiben wir nichts vor und an den Fakultäten wird es unterschiedlich gehandhabt. Sie werden Leute finden, die ihre Arbeiten mit Gendersternchen oder ganz ohne gendersensible Sprache schreiben.

    Hat es beim Erstellen des Leitfadens eine Rolle gespielt, dass es sich bei der KU um eine katholische Uni handelt?

    Schlemmer: Das Profil unserer Universität hat keine entscheidende Rolle gespielt. Jedoch passt das Bemühen um gendersensible Sprache sehr gut zum 2020 beschlossenen Leitbild der KU. Darin heißt es: „Die Talente und Potenziale derjenigen, die bei uns forschen, lehren, lernen und arbeiten, sind unser wichtigstes Fundament – unabhängig von (...) Geschlecht, sexueller Orientierung und Alter.“

    Eine weitere Variante der genderneutralen Schreibweise ist der Unterstrich. Schließt dieser nur Mann und Frau mit ein oder alle Geschlechter?

    Kürschner: In der Community hat sich das Sternchen am meisten verbreitet. Es kann aber genauso Leute geben, die den Unterstrich nutzen und sich damit nicht nur auf weiblich und männlich beziehen. Das ist auch Interpretations- und Definitionssache. Mit dem Doppelpunkt verhält es sich ähnlich.

    Wie wirkt sich die Verwendung von genderneutralen Formulierungen auf unsere Sprache aus?

    Kürschner: Im Grunde ist Sprache ja etwas, was uns schon immer die Möglichkeit bereitgestellt hat, gendersensible Sprache zu nutzen. Wenn ich beispielsweise von Lehrerinnen und Lehrern spreche, muss ich die Sprache gar nicht ändern. Es ist eigentlich eine Sache des Sprachgebrauchs und nicht des Sprachsystems.

    Und auch eine Sache des Willens...

    Kürschner: Ja natürlich. Der Sprachgebrauch hängt ja davon ab, wie man seine sprachlichen Mittel einsetzt. Sprache ist ein Instrument, um soziale Handlungen auszuführen. Mit diesem Instrument kann man auf unterschiedliche Art und Weise spielen. Und das hat Konsequenzen. Mit Sprache kann man sehr Gutes bewirken, aber auch sehr verletzen. Sprache hat die Macht dazu. Immer wenn man sie benutzt, trägt man entsprechende Verantwortung für sein soziales Handeln. Deshalb halte ich es für wichtig, dass es eine Entscheidung von jedem Einzelnen ist, wie weit man gendersensible Sprache umsetzt.

    Die Doppelnennung greift nicht in das Sprachsystem ein. Aber was ist mit den anderen Varianten?

    Kürschner: Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich betreffen das Sprachsystem durchaus. Sie werden ja teilweise auch genutzt, um aufzufallen. Um etwas zu markieren. Das soll gegen die Konventionen verstoßen, weil es die Sensibilität deutlich machen soll. Auch das ist natürlich Sprachgebrauch und kann auf längere Sicht zu einer Veränderung der Sprache führen.

    In dieser Debatte gibt es viele verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten, zum Beispiel „genderneutrale“, „gendergerechte“ oder „gendersensible“ Sprache... Was ist Ihrer Ansicht nach der geeignetste Begriff?

    Kürschner: Gerecht hat eine Doppeldeutigkeit: Gerechtigkeit und einer Sache gerecht werden. Oft ist unklar, welche Bedeutung gemeint ist. Ich finde den Begriff der gendersensiblen Sprache ganz gut.

    Und Geschlecht oder Gender?

    Kürschner: Geschlecht ist zugänglicher für die meisten und leichter zu verstehen. Wissenschaftlich adäquater wäre der Gender-Begriff, weil er über die klassischen Geschlechtskategorien hinausgeht. Er umfasst auch soziales Geschlecht und nicht nur per Geburt zugewiesenes Geschlecht.

    Kann gendersensible Sprache auch Einfluss auf die Gesellschaft nehmen?

    Kürschner: Ich denke, das ist bereits ein Stück weit passiert. Auch wenn gendersensible Sprache von Gegnern gerne als Elfenbeinphänomen abgetan wird, als ein Luxus, mit dem man sich nur an Universitäten beschäftigen kann, als künstliche Sprache. Aber gendersensible Sprache strahlt natürlich schon in die Gesellschaft hinein. Und inzwischen ist es auch nicht mehr so ungewöhnlich, wenn sich zum Beispiel Unternehmen damit beschäftigen.

    Schlemmer: Wir beobachten die gendersensible Entwicklung der Sprache ja schon länger, zumindest bei Mann und Frau. Es würde sich kaum jemand mehr hinstellen und nur „Liebe Wähler“ zu einem gemischten Publikum sagen. Inzwischen versucht man aber, die Geschlechter noch systematischer in der Sprache sichtbar zu machen.

    In der Medienbranche wird immer wieder diskutiert: Was macht genderneutrale Sprache mit dem Hörer oder mit dem Leser?

    Kürschner: Wenn man das Binnen-I spricht, sorgt das für eine auffällige Wahrnehmbarkeit und ist auch ein Eingriff ins Sprachsystem. Das kann adäquat sein, aber es können sich auch viele daran stören. Wir haben eine sehr starke Standardsprachen-Ideologie, sind vorgeformt durch die Schule und wurden auf eine sehr starke Sprachnorm und Fehlervermeidung hin trainiert. Das ist dann provokant, wenn etwas eingebaut wird, was man als fehlerhaft empfindet. Ich denke nicht, dass es zu Wahrnehmungsschwierigkeiten führt. Vielleicht zu Ablenkung, sodass der Inhalt in den Hintergrund gerät. Es ist aber natürlich auch so, dass man sich an vieles gewöhnt. Sprache ist ein System, das sich ständig wandelt und so werden neue Formen in der Regel irgendwann akzeptiert.

    Schlemmer: Ich denke nicht, dass es eine Zumutung für Hörende und Lesende ist. Es gibt Studien, die belegen, dass sich Frauen von der männlichen Form nicht angesprochen fühlen. Das heißt, dass sich Teile des Publikums durch gendersensible Sprache sogar eher stärker angesprochen fühlen.

    Aber glauben Sie nicht, dass ein Sternchen oder ein Unterstrich den Leser überfordern oder abschrecken könnte?

    Kürschner: Ich denke, „abschrecken“ ist nicht der richtige Begriff. Es sorgt für emotionale Reaktionen, weil wir alle auf eine bestimmte Sprachnorm trainiert wurden und Abweichungen als fehlerhaft empfinden. Und das Gender-Thema sorgt auch für viele emotionale Reaktionen. Man wird in seinen Sprachgewohnheiten herausgefordert und gleichzeitig in seiner Weltordnung, was die Geschlechter angeht. Das sind zwei Dinge, die von vielen Menschen als herausfordernd und provokant empfunden werden.

    Schlemmer: Es kommt darauf an, an wem Sie sich orientieren. Wenn das Kriterium diejenigen Personen sind, die Veränderungsprozesse und den Verlust von Privilegien scheuen, vor allem wenn dies die Gleichstellung der Geschlechter betrifft, dann ist die Sorge vor emotionalen Reaktionen sicher begründet. Leider kommt auch viel Widerstand aus rechtspopulistischen Kreisen. Dieser richtet sich aber in einem allgemeineren Sinne gegen Gleichstellung und adressiert nicht primär die Sprache. Ich glaube, damit müssen wir leben, dass Veränderungen von manchen abgelehnt und von anderen begrüßt werden. Das wäre für mich bei der gendersensiblen Sprache kein Grund, sie nicht zu nutzen.

    Was gibt es neben der Gleichstellung noch für Gründe, genderneutrale Sprache zu verwenden?

    Kürschner: Das generische Maskulinum kann irreführend sein, wenn man zum Beispiel von Erziehern spricht, die zu einem sehr großen Teil weiblich sind. Bei „Schüler“ wird es oft auf Gruppen mit Gleichverteilung der Geschlechter angewendet. Hier kann die zusätzliche Nennung der explizit weiblichen Form darüber Klarheit verschaffen, ob die Schüler einer Jungen- oder einer gemischtgeschlechtlichen Schule angehören.

    Schlemmer: Im Grunde geht es um die Genauigkeit von Sprache. Gendersensible Sprache ist einfach präziser und bildet die Realität besser ab.

    Was glauben Sie, wie lange es dauern wird, bis sich genderneutrale Sprache etabliert hat?

    Kürschner: Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Prozess jemals abgeschlossen sein wird. Und ob unsere Sprache nicht irgendwann an ihre Grenzen stößt. Manche Formen blähen den Text so auf, dass er nicht mehr leserlich ist. Man muss sich also fragen, inwieweit eine völlige Umsetzung genderneutraler Sprache überhaupt sinnvoll ist. Wichtig ist, dass ein Bewusstsein dafür da ist und darüber diskutiert wird.

    Gibt es Beispiele aus der genderneutralen Sprache, die aus sprachwissenschaftlicher Sicht besonders interessant sind?

    Kürschner: Interessant aus Sprachsystem-Sicht ist das Wort „Gästin“. Das gab es schon immer, doch zwischenzeitlich stand nur die Einheitsform „Gast“ im Duden. In der Schule wäre „Gästin“ als Fehler angekreidet worden, weshalb wir jetzt nicht bereit sind, die weibliche Form zu akzeptieren. Dabei hat der Duden „Gästin“ nun wieder im Wörterbuch aufgenommen. Ein zweites Beispiel ist „Mitgliederinnen“. Das hört man gar nicht so selten, dabei ist „Mitglied“ mit der Pluralform „Mitglieder“ ja eigentlich Neutrum und nicht Maskulinum und eine weibliche Form „Mitgliedin“ existiert nicht. Ich glaube, da steckt ein interessanter falscher Analyseprozess dahinter: Wir denken, dass man für den geschlechtersensiblen Sprachgebrauch an alles, was auf „-er“ endet, „in“ bzw. „-innen“ anhängen muss. Hier ist „-er“ aber dem Plural geschuldet und leitet keine Personenbezeichnung ab wie etwa bei „Bäcker“ oder „Erzieher“.

    Warum haben Sie sich dafür eingesetzt, gendergerechte Sprache an der KU einzuführen?

    Schlemmer: Als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte ist es mir wichtig, Frauen und Männer sprachlich sichtbar zu machen, das ist für mich ein Baustein von Gleichstellungspolitik. Im Bereich der Universität haben wir es nach vielen Jahren gesetzlich verankerter Frauenförderung nur noch selten mit offener geschlechtsbezogener Diskriminierung zu tun. Stattdessen können wir uns nun differenzierteren Fragen widmen, zum Beispiel der gezielten Förderung der wissenschaftlichen Karrieren von Frauen. Das alltägliche Verwenden der Begriffe „Forscherin“, „Professorin“ oder „Rednerin“ ist ein Baustein in dem Prozess, dass es auch inhaltlich selbstverständlicher wird, dass Frauen eine wissenschaftliche Karriere einschlagen. Die KU folgt mit der Einführung eines empfehlenden Leitfadens für gendersensible Sprache dem Weg, den aktuell auch viele andere deutsche Universitäten gehen oder gegangen sind.

    Haben Sie Tipps für die Umstellung auf genderneutrale Sprache?

    Schlemmer: Meiner Erfahrung nach werden Texte vor allem dann etwas sperrig oder umständlich, wenn man bestehende Texte einfach dadurch erweitert, dass man überall im Text beide Geschlechter benennt. Insbesondere, wenn dann noch verkürzte Paarformen wie Student/-innen oder Mitarbeiter/-innen genutzt werden, leidet die Lesbarkeit. Besser funktioniert es, wenn man die entsprechenden Sätze umstellt und mit Pluralformen oder mit Formulierungen im Passiv arbeitet. Also zum Beispiel statt der Aussage „Jede/r Student/in, der/die sich zu Prüfungen anmelden möchte, muss dazu seinen/ihren Account nutzen“ kann man einfacher schreiben: „Für die Anmeldung zur Prüfung brauchen Studierende ihren Account.“ Oder statt: „Wir suchen Kandidat/-innen mit viel Berufserfahrung“ kann man einfacher schreiben: „Ein hohes Maß an Berufserfahrung ist erforderlich.“ Letztlich ist es eine Übungsfrage und wird immer selbstverständlicher.

    Die Gesprächspartner der KU Eichstätt-Ingolstadt

    Prof. Dr. Kathrin Schlemmer (47) ist seit 2009 Professorin für Musikwissenschaft an der KU. Die gebürtige Berlinerin studierte in ihrer Heimatstadt Musikwissenschaft und Psychologie und war nach ihrer Promotion an den Universitäten Potsdam und Halle tätig. Als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der KU gehören Themen zu ihrem Aufgabengebiet, die die Gleichstellung der Geschlechter und die Förderung von Wissenschaftlerinnen betreffen.

    Prof. Dr. Sebastian Kürschner (44) leitet den Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er promovierte an der Universität Freiburg mit einer Arbeit zur historischen Morphologie germanischer Sprachen und hatte nach einer Forschungsposition an der Universität Groningen eine Professur an der Universität Erlangen-Nürnberg inne, bevor er 2016 den Eichstätter Lehrstuhl übernahm.

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