Anja Renner ist 25 Jahre alt, als sie die niederschmetternde Diagnose „Usher Syndrom“ erhält. Sie werde mit hoher Wahrscheinlichkeit erblinden.. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt die gebürtige Neuburgerin, die in Ehekirchen aufgewachsen ist, rückblickend. 13 Jahre sind seitdem vergangen, ihr Sehvermögen beträgt noch zehn Prozent. hat sich nie unterkriegen lassen und sich vor einigen Wochen einen großen Traum erfüllt. Bei den Paralympics in Paris gewann sie im Triathlon die Bronzemedaille.
Der Erfolg bedeute ihr sehr viel, sagt Anja Renner. „Zum einen Freude über das Ergebnis. Auch Stolz, es in einer kurzen Zeit dorthin geschafft zu haben. Und Dankbarkeit, teilnehmen und die paralympische Atmosphäre genießen zu dürfen.“ Ein Podestplatz sei zwar das Ziel gewesen, doch eine Verletzung in der Vorbereitung habe ihr viele Trainingsstunden gekostet, weswegen sie die Erwartungshaltung heruntergeschraubt habe. Doch sie kämpft und erreicht ihr Ziel.
Anja Renner liebt schon in ihrer Kindheit Bewegung
Dass Anja Renner eine Kämpferin ist, zeigt ihre Geschichte eindrucksvoll. Schon in ihrer Kindheit liebt sie die Bewegung. Sie schwimmt beim TSV Neuburg, spielt Fußball beim FC Ehekirchen. Auch Volleyball und Reiten gehören zu ihren Hobbys. Nach dem Realschulabschluss verlässt sie ihr Elternhaus, besucht eine Fachoberschule in Landshut. Danach studiert sie Biotechnologie in Freising. Sie geht auf Reisen, genießt das Leben. Später arbeitet sie als Diplom-Ingenieurin der Biotechnologie bei einem Pharmakonzern in der Krebsforschung.
Doch der eine Tag verändert alles. Wegen einer Bindehautentzündung geht sie zum Arzt. Eine Routineuntersuchung, ohne große Befürchtungen. Hörgeschädigt war sie von Geburt an, doch die Diagnose ist ein Schock. „Es war für mich unvorstellbar, wie man ein Leben meistern kann, wenn man gar nichts sieht“, sagt sie. Einen Standardverlauf gebe es bei der Krankheit nicht. Manche Betroffene haben bis ins hohe Alter eine Restsehfähigkeit. Ein Großteil aber erblindet um die 40 herum. Zwischen ihrem 25. und 30. Lebensjahr fühlt sich Anja Renner in ihrem Alltag kaum eingeschränkt, muss sich einzig mehr konzentrieren. „Ich habe mich gar nicht groß damit befasst, bin im Hier und Jetzt geblieben und wollte das Leben weiter genießen.“ Im Alter von 32, 33 wird es dann schneller schlechter. Anja Renner selbst hat inzwischen noch eine Sehfähigkeit von zehn Prozent, könne lesen und Menschen in ihrer Umgebung ganz normal sehen. Zumindest als kleinen Ausschnitt, wie sie es beschreibt.
Anja Renner fasst einen entscheidenden Entschluss
Vor knapp zwei Jahren trifft Anja Renner schließlich einen entscheidenden Entschluss. Sie kündigt ihren Job, der ihr immer viel Freude gemacht hatte. „Ich habe gemerkt, eine Auszeit zu brauchen.“ Sie will noch etwas anderes erleben, das sie erfüllt. Was es ist, weiß sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sie schmunzelnd sagt. Sie fängt an, sich mit den Biografien blinder Sportler zu beschäftigen. Inspiriert von Athleten wie Verena Bentele und Andy Holzer erkennt sie, dass der Parasport ihr Weg sein könnte.
Begeisterung für den Triathlon hatte sie schon zuvor durch ihren Mann Michael, mit dem sie am Tegernsee lebt, bekommen. Mit 30 Jahren beginnt sie, selbst an Wettkämpfen teilzunehmen und sich durch konsequentes Training zu verbessern, startet bei Sprint- und Olympischen Distanzen. Es folgen schnell die ersten Mitteldistanzen und sie schafft die Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Der nächste große Traum ist somit gesetzt und zum Greifen nah: die Ironman-WM auf Hawaii. Doch der Körper streikt durch Verletzungen, zudem lässt die Sehkraft weiter nach.
Im Februar 2023 beschließt die 38-Jährige, in den Parasport einzusteigen. „Mir ist das Projekt Paris über den Weg gelaufen und ich habe mich eineinhalb Jahre darauf fokussiert.“ Damals habe sie beim Gedanken an dieses Ziel noch selbst den Kopf geschüttelt. „Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, sagt Anja Renner. Sie kontaktiert den Bundestrainer, erkundigt sich, was es benötige, es nach Paris zu schaffen. „Es war kein selbstverständlicher und einfacher Weg“, sagt sie rückblickend. Innerhalb von 1,5 Jahren musste sie einen Trainer finden, ein Tandem und einen Guide organisieren, die Profilizenz beantragen und sich in der Weltrangliste nach oben arbeiten. Mit zwei Weltcupsiegen und guten Ergebnissen bei der EM und WM erreicht sie Platz drei im olympischen Ranking und qualifiziert sich für die Paralympics in Paris.
Gebürtige Neuburgerin holt Bronze im Triathlon
All das kostet Nerven, hat sich aber mehr als gelohnt. Der Traum von Paris wird Realität. Im Rennen legt sie mit ihrem Guide Maria Paulig eine Aufholjagd hin. Das Zusammenspiel zwischen beiden muss perfekt abgestimmt sein, die Leistungsfähigkeit der Begleiterin muss mindestens gleich sein. „Die Auswahl ist nicht leicht. Mit anderen hätte ich es wohl nicht nach Paris geschafft“, sagt Anja Renner. Nach dem Schwimmen in der Seine sind die beiden bereits Achter, nachdem sie mit 3:11 Minuten Rückstand auf Athleten mit weniger oder gar keiner Sehkraft starten mussten. Der Radkurs gleicht einer „Sightseeing-Tour“ durch die französische Hauptstadt. Angefeuert wird die Sportlerin von ihren Eltern Marianne und Albert, die aus Ehekirchen angereist sind, und 20 Freunden. Nach 750 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren und fünf Kilometer Laufen in einer Zeit von 1:08:21 Stunden überquert das Duo die Ziellinie und schafft es damit aufs Podium. Anja Renner genießt den schönen Moment, der ganze Aufwand hat sie an ihr Ziel geführt. Sie genießt es, Interviews im Fernsehen zu geben. Im deutschen Haus wird bis 2 Uhr gefeiert, danach geht es in einem Pariser Klub bis in die Morgenstunden weiter. „Es fällt viel Ballast ab, die vergangenen beiden Jahre waren eine sehr intensive Zeit“, sagt Anja Renner.
Anja Renner hat weitere Ziele für die Zukunft
Für die Zukunft hat sie sich neue Ziele gesetzt. Die Paralympischen Spiele in Los Angeles in vier Jahren will sie unbedingt mitnehmen. „Ich habe Blut geleckt, bin noch nicht am Ende meiner Leistungsfähigkeit.“ Auch bei Welt- und Europameisterschaften will sie weitere Erfolge feiern, mit dem Ironman in Hawaii habe sie „noch eine Rechnung offen“, wie sie sagt. Auf diese Ziele hat sie Einfluss, kann sie mit hartem Training und Ehrgeiz erreichen. Ein Fragezeichen steht allerdings hinter ihrer Sehkraft, die noch zehn Prozent beträgt. „Ich erwarte aber nicht, dass es so bleibt“, meint Anja Renner. Sie sagt den Satz, der eine große Bedeutung hat, relativ gelassen. Sie hat sich mit ihrer Situation arrangiert und wird weiter für ihre Träume kämpfen.
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