Mit beinahe kindlicher Freude sitzt Jakob Schmid in seiner Küche in Kissing und sortiert die Fotos und Dokumente vor ihm. Er lächelt unentwegt, seine Augen wandern hin und her und immer wieder fällt ihm ein, was er noch herauskramen muss. Wenn Schmid, der im September 1939 in den Zweiten Weltkrieg hineingeboren wurde und bis zu dessen Ende nichts anderes kannte, über den April 1945 spricht, dann klingen seine Erinnerungen fast so, als könnten sie auch aus glücklicheren Tagen stammen.
„Es war ein schöner, warmer Frühling, es hat kaum geregnet“, beginnt er zu erzählen. Regelmäßig geht der kleine Jakob mit seiner Mutter im Wald bei Haselbach spazieren, über ihren Köpfen fliegen amerikanische B17-Bomber, die Unterhausen bombardieren. „Die haben in der Sonne geblitzt, auch die Detonationen haben wir gehört, aber wir wussten, dass wir da nichts zu befürchten haben.“ Nur bei den tief fliegenden Jägern war Vorsicht geboten, erinnert sich Schmid. „Die Franzosen haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat. Bei Etting wurde die Dorfwirtschaft getroffen und die Wirtin und ihre Tochter getötet.“ Viel mehr bekommt Jakob Schmid vom Krieg nicht mit, jedenfalls bis zum 25. April.
Am 25. April war der Familie von Jakob Schmid klar, dass die Amerikaner bald da sind
„Meine Mutter wusste am 25. April um elf Uhr, dass die Amerikaner in Donauwörth stehen und bald hier sein werden“, sagt Schmid. Erzählt hatte ihr das ein deutscher Oberfeldwebel, der sich einige Tage zuvor in der Scheune des Hofes einquartiert hatte und sich gegen Mittag dieses Tages zur Flucht bereit machte. „Gute Frau, sägen sie das Hakenkreuz über der Tür raus, bevor sie kommen“, habe er zu ihr gesagt, bevor er sich aufmachte. Ab diesem Zeitpunkt herrscht eine gedrückte Stimmung bei den Erwachsenen, erinnert sich Schmid. „Aber Angst vor den Amerikanern hatten wir Kinder nicht, ich habe es jedenfalls nie als Angst empfunden. Nur das Wackeln der Fenster und Türstöcke bei Beschuss habe ich noch heute im Ohr.“
Am 27. April überschlagen sich in Haselbach und auf dem Hof der Familie von Jakob Schmid die Ereignisse. Um 13 Uhr feuern die letzten verbliebenen deutschen Soldaten mit einem versteckten Artillerie-Geschütz ganz in der Nähe des Anwesens in Richtung Wengen, ein letzter Versuch, den Vormarsch der Amerikaner zu verlangsamen. Die antworten kurze Zeit später mit Granatenbeschuss, eine davon schlägt unmittelbar vor dem Hof der Familie ein. „Die Richtung hat gestimmt, nur die Entfernung war zu kurz. Wir hatten einen Schutzengel, danach herrschte gespenstische Ruhe“, erinnert sich Schmid. Die verbliebenen deutschen Soldaten fliehen.

Jakob Schmid und seine kleine Schwester Maria machen sich danach auf zum Großbauern, dessen Nichte sie gut kennen. Da erscheint ein SS-Mann, dessen Trupp auf dem Rückzug unweit des Dorfes stecken geblieben war. Vom Großbauer, der auch der Bürgermeister war, verlangt er ein Pferdegespann, um die Fahrzeuge aus dem Schlamm zu ziehen. „Sein Pferd sei krank, hat der Bürgermeister gesagt. Der SS-Mann sah ihn an und sagte mit eiskaltem Blick ‚Besorg mir ein Gespann oder ich erschieß‘ dich!‘. Ich habe nie vergessen, wie schneeweiß der Bürgermeister wurde“, erzählt Schmid.
Gegen 19 Uhr an diesem Freitag rollen dann amerikanische Panzer ins Dorf. Vor den Häusern stehen die Bewohner stramm, die Frauen und Mädchen winken mit Taschentüchern. An einer Bohnenstange hat Schmids Mutter eine weiße Fahne angebracht. Vor ihrer Flucht hatten die deutschen Soldaten den Dorfbewohnern gesagt, wie sie sich zu verhalten haben. Als Schmid und seine kleine Schwester zurückkommen, sitzen bereits drei US-Soldaten bei ihnen in der Stube. Am Fenster bei der Nähmaschine lehnen die Gewehre der Männer an der Wand. „Zwei davon waren baumlange, ruhige Typen, der dritte ein ganz freundlicher Kerl, das war der Dolmetscher, weil er deutsche Vorfahren hatte.“
Man müsse vor ihnen keine Angst haben, sagten die drei US-Offiziere zu Schmids Mutter
Sie seien Offiziere, man müsse vor ihnen keine Angst haben, sagt der Ranghöchste und schneidet für die Kinder mit einem Küchenmesser Stücke aus einem Block Schokolade. Während sich im ganzen Dorf die Häuser mit US-Soldaten füllen, bleibt es im Hause Schmid bei den drei Offizieren. „Die hatten eine Mission, deshalb blieben sie unter sich“, weiß Schmid heute. Sie hatten den Auftrag, Parteimitglieder aufzuspüren. So statten sie noch in der Nacht auf Samstag dem von der NSDAP eingesetzten Bürgermeister einen Besuch ab und nehmen ihn mit. „Der musste dann zusammen mit seiner Frau bei uns auf dem Küchenboden schlafen.“ Im Nachhinein erfährt Schmid, dass der Dorfpfarrer dessen Leben gerettet hat. „Der hat mir keine Probleme bereitet“, sagte der Pfarrer den US-Offizieren, daraufhin lassen sie ihn laufen.
Zu Schmids Mutter und den Kindern sind die Offiziere zuvorkommend und freundlich. „Mama bitte Pfanne, Mama bitte Fett“, hätten sie gesagt, wenn sie sich Eier machen wollten. „Da war die ganze Pfanne voll, das war überall das Gleiche“, sagt Schmid. Die Amerikaner hatten große Angst davor, vergiftet zu werden, deshalb, so glaubt Schmid, haben sie Eier gegenüber anderen Lebensmitteln bevorzugt. Am Sonntag, nachdem die Soldaten den Ort durchkämmt und alle Waffen und Fotoapparate eingesammelt hatten, machen sich die Offiziere für den Abzug bereit. Jakob Schmid und seine Mutter sind alleine in der Küche, als die Soldaten Konservendosen und Zigaretten auf den Tisch legen, sich bedanken und Haselbach verlassen.
Für Jakob Schmid endete der Krieg erst, als sein Vater aus der Gefangenschaft zurück war
Der Krieg kehrte danach nur noch einmal im Sommer nach Haselbach zurück, sagt Schmid. Zwei serbische Zwangsarbeiter hatten den Amerikanern die Position zerstreuter SS-Soldaten in einem naheliegenden Waldgebiet gesteckt. „Die Amerikaner sind gekommen, haben am Waldrand die MGs aufgebaut und in den Wald geschossen. Hineingegangen sind sie nicht, die waren ja nicht blöd, der Krieg war ja schon gewonnen und die SS-Männer galten als sehr gefährlich.“ Für ihn selbst endet der Zweite Weltkrieg allerdings erst, als sein Vater im Herbst aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt. „Ab 16. September 1945 hatte ich einen Vater“, sagt Jakob Schmid und lächelt selig.
Im Jahr 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Die Neuburger Rundschau lässt in einer Serie Zeitzeugen zu Wort kommen. Sie schildern sehr persönliche Erinnerungen der letzten Kriegsmonate in Neuburg und Umgebung und ermöglichen damit eindrückliche Einblicke in eine sehr prägende Zeit.
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