Da ist der kleine Junge, der jede Nacht im Schlafsaal Besuch vom Priester der Schule bekam, der immer unter die Bettdecke fasste. Oder das Mädchen, für das die Beichte zur Heiligen Erstkommunion zum Verhör und das Verhör zum sexuellen Missbrauch wurde. Kinder, die heute als Erwachsene noch immer unter ihren Erinnerungen leiden, schildern Begebenheiten, die so schrecklich sind, dass Pfarrer Herbert Kohler den Besuchern der Ausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“ eine erfahrene Betreuerin oder einen Betreuer zur Seite stellt, falls es Redebedarf geben sollte. „Die Zeugnisse der Betroffenen lösen etwas aus“, sagte Pfarrer Kohler bei der Vorstellung der Ausstellung. Sichtlich ergriffen sprach Kohler von Verfehlungen der gesamten Institution. Er selbst sei in den Glauben eingebettet aufgewachsen und habe solche Übergriffe nicht erlebt. Die Erkenntnis, dass in der Kirche so etwas Unmenschliches habe passieren können und so viele dabei weggesehen hätten, sei schrecklich und kaum zu ertragen. Die Betroffenen stammen auch von außerhalb der Diözese Augsburg.
Ausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“ in Neuburg
Die Ausstellung, die am 19. November nach einem Wortgottesdienst in der Heilig-Geist-Kirche im Pfarrsaal eröffnet wird, geht ans Herz und an die Nieren. Schreckliches wird beschrieben. Die Kinder von damals aber wollen keine Opfer sein. Sie wollen erzählen, was ihnen widerfahren ist. Sie wollen das, was sie damals nicht erfahren haben – Gehör finden. Niemand soll mehr wegsehen.
Die Betroffenen schildern ihre Erlebnisse in sehr persönlichen Worten. Sie sind drastisch und konfrontieren die Besucherinnen und Besucher mit den dunkelsten Bereichen menschlichen Zusammenlebens – den Missbrauch von Schutzbefohlenen. Dort, wo sie Geborgenheit und Liebe erwartet haben, wurden sie zum Spielzeug von wahren Monstern: Gewalt, Züchtigung, Vergewaltigung. Oftmals glaubten die Eltern ihren Kindern nicht. Menschen, die helfen sollten, vergingen sich weiter an den Hilfesuchenden. Was folgte, war ein Leben mit zerstörtem Vertrauen, Therapien, Suizidversuchen. Viele der Betroffenen berichten davon, dass sie alleingelassen wurden. Niemand habe ihnen geglaubt. Ihnen sei gar die Schuld an den Taten zugewiesen worden. An ein normales Leben war nicht zudenken und ist auch heute für viele nicht möglich, so groß sind die Wunden, die ihnen in der Kindheit zugefügt wurden.
Opfer sexueller Gewalt bekommen in Neuburg ein Gesicht
Pfarrer Herbert Kohler ist sichtbar mitgenommen bei der Vorstellung der Ausstellung. „Was wir hier erfahren, muss bekannt werden und ich hoffe, dass recht viele Besucherinnen und Besucher diesen Menschen, die aus ihrer Kindheit berichten, zuhören, indem sie ihre kurzen Geschichten lesen.“
Die Ausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“ wurde vor zwei Jahren ins Leben gerufen und 2022 erstmals zum Tag der Betroffenen, den Papst Franziskus vor einigen Jahren für den 18. November ausgerufen hatte, in der Basilika St. Ulrich in Augsburg der Öffentlichkeit gezeigt. Vergangenes Jahr war sie in Kempten in der Basilika St. Lorenz zu sehen. „Letztes Jahr bereits hat mich ein Mitglied des Unabhängigen Betroffenenbeirats der Diözese Augsburg angesprochen, ob wir uns diese Ausstellung in Neuburg vorstellen könnten“, erinnert sich Pfarrer Kohler. Der daraufhin zurate gezogene Pfarrgemeinderat war einstimmig dafür. Und so sind diese oft grausamen Geschichten ab 19. November in Neuburg zu sehen. Der Eröffnung der Ausstellung geht eine Gedenkfeier voraus. Dieser Wortgottesdienst in der Kirche Heilig Geist beginnt um 19 Uhr. Um 20 Uhr dann wird die Ausstellung im Pfarrsaal Heilig Geist, Ecke Hirschenstraße und Weinstraße, von Bischof Bertram Meier eröffnet.
Öffnungszeiten der Ausstellung
20. November: 10 – 13 Uhr und 14 bis 18 Uhr 21. November: 15 – 20 Uhr 22. November: 10 bis 12 Uhr und 15 – 18 Uhr 23. November: 10 – 12 Uhr und 16 – 18 Uhr 24. November: 11 – 13 Uhr und 16 – 18 Uhr
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