Ein eisiger Wind fegt den trockenen Schnee über das flache Gelände des Flugplatzes. Dieser Wind macht die minus sechs Grad zu gefühlten minus 13. In dem kleinen Containerdorf beginnt ein weiterer ganz normaler Diensttag für die Soldaten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74, kurz TaktLwG 74. Die Techniker bereiten in den Hangars die Eurofighter auf den Flugbetrieb vor. Und die Piloten holen sich im Einsatzgebäude ihr morgendliches Briefing ab. Das alles findet bei Dunkelheit statt. Auf der estnischen Luftwaffenbasis Ämari geht die Sonne etwa eine Stunde später auf als in Neuburg.
Die meisten der rund 100 Neuburger und knapp 60 Soldaten anderer Verbände, die das Neuburger Airpolicing Baltikum Kontingent verstärken, haben zum Dienstbeginn bereits eine knappe Stunde Autofahrt hinter sich. Da die Unterkunftskapazitäten am Flugplatz sehr beschränkt sind, wurde der Großteil der Neuburger Soldaten in einem Hotel in der knapp 50 Kilometer entfernten Hauptstadt Tallinn untergebracht.
Bereits seit September stellt das Neuburger Geschwader das Personal für die luftpolizeiliche Überwachung des Luftraums über den baltischen Staaten und wird Anfang Januar von Soldaten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 71 aus Wittmund abgelöst. Damit gehen knapp fünf Monate zu Ende, in denen Neuburger Familien auf ihre Söhne, Töchter, Ehemänner und Ehefrauen verzichten mussten. Solche Kommandos bedeuten immer eine lange Abwesenheit von zu Hause. Und dennoch oder gerade deshalb: Der Teamgeist und die Kameradschaft auf solchen Kommandos ist einzigartig.
Reinhard Brandl besucht die Neuburger Soldaten in Ämari
Am Dienstag besuchte der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl zusammen mit dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, das Neuburger Kontingent. Der Weihnachtsbesuch des Heimatabgeordneten hat schon Tradition. Nach Weihnachten 2014 und 2016 hatte Brandl dieses Mal aus Neuburg den evangelischen Pfarrer Steffen Schiller und den katholischen Pfarrer Herbert Kohler eingeladen, ihn nach Estland zu begleiten. Die beiden erlebten gelebte Kameradschaft und Zusammenarbeit unter Soldaten in einem Einsatz. Beide Priester waren tief beeindruckt von der Leistung der Soldaten im Ausland. Zusammen mit Brandl und Gerhartz trafen sie den deutschen Botschafter in Estland, Christoph Eichhorn. Der unterstrich die Wichtigkeit der deutschen Soldaten für diese Nato-Mission und deren Wirken im Land. Jeder einzelne sei ein Botschafter und trage dazu bei, dass die Deutschen bei den Esten sehr willkommen und hoch angesehen seien. Auch deren Uniform würde gerne im Straßenbild gesehen. Eichhorn erzählte den Besuchern aus Deutschland eine Geschichte, die zeigt, wie Völkerverständigung funktionieren kann. Ämari ist eine ehemalige Basis der sowjetischen Luftstreitkräfte. Im Ort neben dem Flugplatz leben viele ehemalige Bedienstete aus der Zeit vor 1994. Ein halb verfallener Friedhof mit vielen Gräbern von Soldaten, die zu jener Zeit ihr Leben lassen mussten, zeugt von dieser Zeit. Die Bewohner habe es fast umgehauen, als die deutschen Soldaten angefragt hätten, ob sie den Friedhof pflegen dürften. Die Begeisterung sei groß gewesen, so Eichhorn. Mit solchen Aktionen entstehe ein neues Miteinander über Landesgrenzen hinweg.
Chef des letzten Neuburger Kontingents in Ämari ist der stellvertretende Kommandeur der Fliegenden Gruppe des TaktLwG 74, Oberstleutnant Sören Richter. Der 41-Jährige berichtete zusammen mit dem Leiter der technischen Komponente, Major Jan Emrich, über den Dienstbetrieb in Ämari. Die Piloten führen zweimal am Tag Übungsflüge durch, bei denen sie mit anderen Luftwaffen, wie zum Beispiel der finnischen, zusammenarbeiten. Dazu kommen die luftpolizeilichen Einsätze. Hierbei identifizieren die Eurofighter-Piloten Flugzeuge, die das Hoheitsgebiet der baltischen Staaten verletzen oder im internationalen Luftraum über der Ostsee keinen Funkkontakt zur Verkehrskontrolle halten oder nicht die international üblichen Verkehrscodes abstrahlen. Immer wieder seien russische Maschinen aus dem Osten in Richtung der russischen Enklave Kaliningrad unterwegs. Richter gab aber gleich Entwarnung. Nie sei es zu irgendwelchen Aggressionen gekommen. Oft würde man sich sogar zuwinken, so der Chef des Neuburger Kontingents.
So ertragen die Neuburger Soldaten die Trennung von Zuhause
Gerhartz ist stolz auf seine Soldaten und weiß, was er ihnen abverlangt. „Egal ob Mali oder Estland. Die Soldaten sind im Einsatz und müssen eine lange Trennung von Zuhause ertragen.“ Der Inspekteur will ihnen die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung stellen und sieht nach einer Zeit der Verkleinerung und des Sparens nun die Zeit gekommen, in der die Luftwaffe wieder in den Fokus rücken muss. Missionen wie das Airpolicing (luftpolizeiliche Aufgaben) über dem Baltikum seien nur mit bemannten Flugzeugen möglich. Der Einsatz zeige, dass der Eurofighter sehr wohl in einem einsatzklaren Zustand gehalten werden könne. Dieser technische Klarstand der Maschinen liege in Estland bei weit über 90 Prozent. In Deutschland sei dagegen jeder zweite Eurofighter nicht flugbereit. Das müsse geändert werden und dafür sei auch Geld notwendig, so der General. Er möchte enger mit der britischen Luftwaffe zusammenarbeiten, die den Eurofighter ebenfalls fliegt. Dort werden technische Änderungen schneller umgesetzt.
Reinhard Brandl sieht in seinem Besuch ein Zeichen der Wertschätzung an die Soldaten. Für ihr Engagement dankte der Bundestagsabgeordnete den Soldaten vor Ort und hatte als Geschenk eine Fahne mit dem Neuburger Stadtwappen im Gepäck. Vor zwei Jahren hatte er ein Ortsschild der Ottheinrichstadt als Gastgeschenk dabei. Kontingentspieß Oberstabsfeldwebel Martin Müller wird für die Fahne den rechten Platz finden. Und in zwei Jahren heißt es dann wahrscheinlich wieder: Weihnachtsgrüße aus Ämari.