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Neuburg: Was Autor Roman Ehrlich über Neuburg denkt

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Was Autor Roman Ehrlich über Neuburg denkt

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    In Aichach geboren, in Neuburg aufgewachsen: Roman Ehrlich ist Autor und lebt derzeit in Berlin. Demnächst können sich seine Fans auf neue Bücher freuen.
    In Aichach geboren, in Neuburg aufgewachsen: Roman Ehrlich ist Autor und lebt derzeit in Berlin. Demnächst können sich seine Fans auf neue Bücher freuen. Foto: Barbara Bausch

    Herr Ehrlich, Sie sind in Neuburg aufgewachsen, haben sich vor drei Jahren jedoch kritisch über die Stadt geäußert. Was stört Sie?

    Roman Ehrlich: Sie spielen auf die Rede zur Verleihung des Ernst-Toller-Preises im Neuburger Theater an. Leider wurde die Pointe dieser Rede von einem Teil der Anwesenden gar nicht wahrgenommen: Dass ich an diesem Tag sehr dankbar an den Ort zurückgekehrt bin, der in meiner persönlichen Schule des Schreibens die Erste Klasse gewesen ist. Dankbar dafür, Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Ernst Toller gemacht zu haben – durch die Lektüre seiner Bücher – und dafür, dass ich durch das Lesen und Schreiben, das für mich ja hier seinen Anfang genommen hat, Einsicht gewonnen habe in die fundamentale Literaturbedürftigkeit aller Orte, nicht nur der Stadt Neuburg mit ihren Widersprüchen und dem, was mir hier an Sprache und Haltung entgegenschlägt. Wer möchte, kann das zum Beispiel in dem Band nachlesen, den Irene Zanol und Dieter Distl herausgegeben haben und in dem all diese Preisreden versammelt sind. Mir ist bei alldem wieder klargeworden, dass Identität und Heimat sehr egozentrische, kränkungsanfällige Problemfelder sind. Ich kann mich meinem Herkunftsort gegenüber gar nicht objektiv verhalten, sondern immer nur im Hinblick auf die Prägung, die ich von dort mitgenommen habe. Und mein Verhältnis zu dieser Prägung ist naturgemäß selbst ambivalent und problematisch.

    Was sollte sich Ihrer Meinung nach in Neuburg verändern?

    Ehrlich: Ich halte mich inzwischen viel zu selten und zu kurz in der Stadt auf, um hierauf eine Antwort geben zu können. Vielleicht gibt es eine gewisse Bewegungsträgheit im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen, die ich frustrierend finde und die für mich ihre Entsprechung im Wertekanon der CSU und ihrer Repräsentanten hat. Wenn diese Partei, die sich immer wieder neu auf die Seehofersche Letzte-Patrone-Rhetorik kapriziert, dort abgewählt würde, wo sie noch Regierungsverantwortung hat, das würde ich wohl als eine gute Veränderung empfinden. Wahrscheinlich muss man sich auch fragen, wie es vor Ort um den strukturellen Rassismus bestellt ist und was dagegen unternommen wird. Aber als einer, der sich entschieden hat, den Ort zu verlassen, kann ich zu alldem aus der Distanz letztlich nur eine überhebliche Position einnehmen.

    Haben Sie dennoch einen Lieblingsort in Neuburg, an den Sie sich gerne zurückerinnern oder den Sie vielleicht sogar öfter besuchen?

    Ehrlich: Es gibt einige Wege in der Stadt, die ich gerne gehe. Den schmalen Fußweg an der Donau, von der Elisenbrücke am Brandl entlang Richtung Oberhausen, die Hutzeldörre an der Altstadtmauer, die Hintere Schanze. Seltsamerweise erinnere ich mich auch oft an die Mehrzweckturnhalle im Ostend als einen irgendwie unrealistischen oder magischen Ort. Vielleicht, weil ich da als Kind und Jugendlicher viele Sportveranstaltungen besucht habe, in die sehr viele Leute sehr viel von ihrer Hoffnung hineingetragen haben, was den Ort für mich zu einer Art Mehrzweckkirche gemacht hat.

    Sie wohnen mittlerweile in Berlin. Was fasziniert Sie an der Stadt?

    Ehrlich: Berlin ist in mehrfacher Hinsicht ein sehr unwahrscheinlicher Ort. Als noch einigermaßen bezahlbare Hauptstadt eines der reichsten Länder der Welt, in der enorm viel Diversität herrscht und – noch – jeder denkbare Lebensentwurf seine Nische findet. Auch dreißig Jahre nach dem Ende der Teilung hat sich die Transformation Berlins in eine normale Stadt noch nicht vollzogen, auch wenn die Geschwindigkeit dieses Prozesses in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Es wird überall härter und rauer und die Asozialität, die jahrzehntelang Punk und Verweigerung gewesen ist, weicht einer strukturellen Asozialität von Wohnungsnot, Ausbeutung und Diskriminierung. Die permanente Präsenz all der Schichten der Geschichte, durch die man sozusagen mit dem Fahrrad hindurchradeln kann, empfinde ich aber nach wie vor als phänomenal.

    In Ihrem aktuellen Buch geht es um Ängste in der Gesellschaft. Es erschien 2017. Man hat das Gefühl, diese Ängste werden immer stärker…?

    Ehrlich: Ich weiß nicht, ob sie stärker werden. Manchmal habe ich das Gefühl, sie suchen sich immer geschicktere Verkleidungen und Strategien, um ihre mediale Präsenz zu verstetigen. Mein Buch ist ja eher der Versuch, ein fiktives Personal dabei zu beobachten, wie alle ihren eigenen Ängsten auf den Grund gehen und zu verstehen versuchen, was die Einzelne und den Einzelnen von innen heraus antreibt.

    Was ist Ihrer Meinung nach derzeit die größte Angst in der Gesellschaft?

    Ehrlich: Es ist sicher unmöglich und vielleicht auch sinnlos, etwas so Irrationales wie Ängste empirisch fassen zu wollen. Dass die Politik keine bessere wird, wenn sie ihre Legitimation aus den Ängsten der Bevölkerung bezieht, zeichnet sich ja gerade wieder sehr deutlich ab. Ich bin immer versucht, Status- und Besitzverlust als Hauptangst zu sehen, aber wahrscheinlich nur, weil sie das Potenzial hat, sofort sehr viel Aggression und zerstörerische Energie freizusetzen.

    Haben Sie selbst vor etwas Angst – und wenn ja, wovor?

    Ehrlich: Ich bin voller Angst vor nichts.

    Für Ihre Bücher haben Sie bisher fast ausschließlich positive Kritiken und Auszeichnungen erhalten. Arbeiten Sie derzeit an einem neuen?

    Ehrlich: Ich habe gerade ein Buch fertiggestellt, das im kommenden Frühjahr erscheinen soll, eine Kooperation mit dem Fotografen Michael Disqué, mit dem ich im vergangenen Jahr für einige Wochen auf einem Containerschiff von Hamburg nach China unterwegs war. Jetzt sitze ich wieder am nächsten Roman, der auch nächstes Jahr erscheinen soll.

    Können Sie uns einen kleinen Vorgeschmack geben, worum es gehen wird?

    Ehrlich: In beiden Büchern, soviel lässt sich sagen, wird es auch um Fragen der Zugehörigkeit, der Heimat/Heimatlosigkeit, der Arbeits- und Lebensverhältnisse, der Sehnsucht, der Angst und um die Literaturbedürftigkeit der Welt gehen.

    Manche Schriftsteller setzen sich wie in einem Bürojob von 9 bis 17 Uhr an den Schreibtisch, andere schreiben tagelang nichts, bis sie eine Idee haben – dann aber Tage und Nächte durch. Welcher Typ sind Sie?

    Ehrlich: Ich setzte mich tagelang von morgens bis abends an den Schreibtisch, um dort so lange nichts zu schreiben, bis ich dann doch etwas schreibe. Nachts schlafe ich.

    Haben Sie noch einen Tipp für Hobbyschreiber, was sie bei einer Schreibblockade machen können?

    Ehrlich: Schlafen, lesen, zuhören.

    Das ist Roman Ehrlich

    Roman Ehrlich ist 1983 in Aichach geboren, aufgewachsen ist er in Neuburg.

    Er studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und an der Freien Universität Berlin. Er war Stipendiat der Werkstatttage des Wiener Burgtheaters, nominiert für den open mike und Teilnehmer der Autorenwerkstatt Prosa am LCB.

    Für seinen Debütroman „Das kalte Jahr“ erhielt er den Automatische-Literaturkritik-Preis der Riesenmaschine, den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis sowie den Robert-Walser-Preis.

    Ehrlich ist zudem Ernst-Toller-Preisträger.

    • Roman Ehrlich ist 1983 in Aichach geboren, aufgewachsen ist er in Neuburg.
    • Er studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und an der Freien Universität Berlin. Er war Stipendiat der Werkstatttage des Wiener Burgtheaters, nominiert für den open mike und Teilnehmer der Autorenwerkstatt Prosa am LCB.
    • Für seinen Debütroman „Das kalte Jahr“ erhielt er den Automatische-Literaturkritik-Preis der Riesenmaschine, den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis sowie den Robert-Walser-Preis.
    • Ehrlich ist zudem Ernst-Toller-Preisträger.

    Lesen Sie hier die bisherigen Sommerinterviews der Neuburger Rundschau:

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