Den Grund- und Mittelschullehrern in Bayern reicht’s. Ihr Unmut richtet sich gegen die Pläne von Kultusminister Michael Piazolo, der den Lehrkräften ab dem kommenden Schuljahr Mehrarbeit anordnet. Am gestrigen Freitag sind deshalb auch Lehrer aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen auf die Straße gegangen. In Eichstätt haben sie Piazolo, der dort eine Wahlveranstaltung der Freien Wähler besuchte, mit einer unmissverständlichen Antwort auf sein Vorhaben empfangen: „Nicht mit uns! Es reicht!“
Grund für die Zusatzstunden ist, dass in den Grund-, Mittel- und Förderschulen in Bayern nächstes Schuljahr 1400 Lehrer fehlen werden. Um die Lücke zu kompensieren, hat Piazolo ein Notfallpaket geschnürt: Lehrkräfte, die jünger als 58 Jahre sind, müssen vorerst eine Stunde länger pro Woche arbeiten, für Teilzeitkräfte gilt eine Mindestarbeitszeit von 24 Stunden pro Woche. Eine vorzeitige Pensionierung vor 65 Jahren soll nicht mehr genehmigt werden, außerdem werden Sabbatjahre komplett abgeschafft.
Lehrer-Demo: Pädagogen geht es nicht um Mehrarbeit
Bei Lisa-Marie Rüdiger kommen diese Pläne überhaupt nicht gut an. Die 27-Jährige ist gerade mit ihrem Referendariat fertig geworden und arbeitet seit diesem Schuljahr an der Grundschule Oberhausen, wo sie die 3. Klasse betreut. Eine Dorfschule mit gerade mal 16 Schülern – sind das nicht angenehme Bedingungen, unter denen eine Stunde Mehrarbeit gut weggesteckt werden könnte? Lisa-Marie Rüdiger relativiert: Schon jetzt würde sie deutlich über ihrem Soll arbeiten. Denn zu den regulären Unterrichtsstunden kämen Vorbereitung, Korrekturen und Unterrichtsdokumentation dazu – mitunter auch am Wochenende. Jetzt, kurz vor dem Zwischenzeugnis, kämen die Lernentwicklungsgespräche mit den Eltern obendrauf.
Doch die wirkliche Belastung sei nicht der Arbeitsaufwand, sondern der Zwang, immer mehr Schüler individuell betreuen zu müssen. „Ich habe in meiner Klasse acht, neun Schüler, die eine spezielle Aufmerksamkeit benötigen“, sagt sie. Das seien Kinder unter anderem mit Wahrnehmungsdefiziten, Aufmerksamkeits- oder Sprachproblemen. Dazu kämen große Leistungsunterschiede zwischen den Kindern. Ihnen allen gerecht zu werden, sei eine Herausforderung, die nicht nur an den Kräften zehre, sondern auch Zeit koste. „Man hat eigentlich immer das Gefühl, den Unterrichtsstoff nicht geschafft zu haben.“
Pädagogen wie Lisa-Marie Rüdiger geht es per se nicht um die eine Stunde Mehrarbeit pro Woche, sondern ums Prinzip: Die Bedingungen für Grund- und Mittelschullehrer seien im Vergleich zu den Kollegen weiterführender Schulen ohnehin schon schlechter. Jetzt auch noch die Kröte für die fehlende Weitsicht des Kultusministeriums schlucken zu müssen, sehen viele Lehrkräfte nicht ein.
Lehrer-Protest: Pädagogen fordern faire Bedingungen
In der Tat ist es so, dass der Lehrermangel nicht über Nacht aufgeploppt ist. Seit mehreren Jahren warnen die Lehrerverbände davor. Denn der Beruf des Grund- und Mittelschullehrers gilt als nicht besonders attraktiv, entsprechend wenig Anwärter gibt es. An den Volksschulen müssen Lehrer mehr arbeiten und bekommen weniger Geld als ihre Kollegen auf den Realschulen und Gymnasien. Eine ebenbürtige Bezahlung aller Lehrer sei deshalb längst überfällig, fordert unter anderem Josef Voigt. Der Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen rechnet vor: Während ein Grund- und Mittelschullehrer mit rund 4000 Euro brutto (Tarifstufe A12 des öffentlichen Dienstes) einsteigt, würde ein junger Gymnasiallehrer etwa 4800 Euro Einstiegsgehalt (A13Z) bekommen.
Josef Voigt ist Rektor an der Grundschule in Berg im Gau und bekommt über seine Verbandsarbeit den Ärger und die Verunsicherung seiner Kollegen über die Anweisung aus München hautnah mit. Vor allem ältere Lehrer, die die Möglichkeit einer vorgezogenen Pensionierung in Anspruch nehmen wollten und teilweise bereits in der Freistellungsphase sind, befürchten nun, wieder in den Dienst zurückkehren zu müssen. „Ich kann diesen Leuten nichts sagen, weil ich nicht weiß, ob die Vorgaben auch für laufende Verträge gelten.“ Wäre dem tatsächlich so, würde Voigt das vermessen finden. „Man kann die Lebensplanung der Leute doch nicht einfach so übergehen“, kritisiert er das Kultusministerium.
Lehrer-Demo: Pädagogen sind verunsichert
Einschnitte in ihrer Lebensplanung müssen nach der Vorstellung von Michael Piazolo ab dem kommenden Schuljahr auch Teilzeitkräfte hinnehmen, die keine Kinder oder Familienangehörige betreuen müssen. Ihre Mindestarbeitszeit wird auf 24 Stunden hochgesetzt – was insbesondere Lehrer hart trifft, die bislang deutlich weniger gearbeitet haben. Barbara Friemel kann sich in ihre Lage hineinversetzen. Die 40-Jährige war viele Jahre Grundschullehrerin an der Ostendschule in Neuburg und arbeitet jetzt als mobile Reserve in Teilzeit. „Man ist von 7 bis 13 Uhr ständig unter Beschuss, ständig will einer was von dir, dazu kommt der permanente Lärmpegel. Die Belastung ist hoch und die steckt man vor allem im Alter schlechter weg.“ Sie vermutet, dass manche Kollegen aus diesen Gründen gar nicht in der Lage seien, mehr zu arbeiten. Deshalb lehnt auch sie als Kreisvorsitzende des KEG-Berufsverbands Einschnitte in der Teilzeit vehement ab.
Josef Voigt bestätigt Barbara Friemels Darstellung. Bevor er ins Lehramt wechselte, war der heute 63-Jährige als Rechtsanwalt tätig. „Als Anwalt habe ich auch viel und konzentriert arbeiten müssen. Aber so platt wie als Lehrer war ich in diesem Beruf nie.“ Ursächlich dafür sei aber nicht ausschließlich die Arbeitsbelastung gewesen, sondern das Verhalten der Schüler. „Früher musste man nicht halb so viel disziplinieren“, nennt er einen Grund. Während es früher vielleicht einen oder zwei Schüler pro Klasse gab, die aus dem Raster fielen, seien heute Konzentrationsschwäche, soziale Inkompetenzen oder emotionale Defizite an der Tagesordnung. Deshalb fordert der BLLV unter anderem mehr Schulsozialarbeiter an den Grund- und Mittelschulen, um die Lehrer auf dem sozialpädagogischen Gebiet zu entlasten.
Dem Hauptproblem der fehlenden Lehrer würde Josef Voigt nicht mit Mehrarbeit, sondern einer Stundenplanänderung begegnen. Die Lehrer sollen nicht länger arbeiten, sondern die Schüler sollen vorübergehend ein bis zwei Unterrichtsstunden pro Woche weniger erhalten. „Uns ist klar, dass etwas passieren muss. Aber bitte schön nicht so“, lautet seine Meinung. Gleichzeitig ist ihm aber klar, dass das Maßnahmenpaket nicht gekippt wird. Durch die Proteste der Lehrer erhofft er sich aber, dass es an der einen oder anderen Stelle zumindest abgemildert wird.
Lesen Sie dazu den Kommentar "Keine Lust auf frustrierte Lehrer" von Claudia Stegmann.