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So viele Austritte wie noch nie

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So viele Austritte wie noch nie

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    Mit wenigen Schritten ist der Kirchenaustritt besiegelt. Auch in Neuburg kehren immer mehr Christen ihrer Kirchengemeinde den Rücken. Im Jahr 2014 übersteigt die Zahl erstmals die 200 – ohne große Skandale wie in den Vorjahren.
    Mit wenigen Schritten ist der Kirchenaustritt besiegelt. Auch in Neuburg kehren immer mehr Christen ihrer Kirchengemeinde den Rücken. Im Jahr 2014 übersteigt die Zahl erstmals die 200 – ohne große Skandale wie in den Vorjahren. Foto: Ingo Wagner, dpa

    Am Ende des Jahres müssen sich die Neuburger Geistlichen mit einer Zahl abfinden: 213. So viele Menschen sind 2014 aus den städtischen Kirchengemeinden ausgetreten. Damit hat sich nicht nur der Trend aus den Vorjahren fortgesetzt, dass mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren. Nein, das vergangene Jahr ist einsamer Rekord. Nie haben mehr Gläubige oder zumindest Kirchensteuerzahler die Neuburger Kirchen verlassen.

    Das ist erstaunlich, denn in den Jahren zuvor standen sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche weitaus mehr im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. 2010 etwa, als der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa wegen Missbrauchsvorwürfen sein Amt aufgab und im selben Jahr Bischöfin Margot Käßmann betrunken eine rote Ampel überfuhr. Zu der Zeit verließen 181 Menschen die Neuburger Kirchen.

    Markus Riedlberger verwaltet die Zahlen der Stadt und zieht jedes Jahr Bilanz. Geburten, Eheschließungen, Todesfälle – und eben Kirchenaustritte. Als Standesbeamter ist er es, der den Menschen im Augenblick ihres Austritts gegenüber sitzt. Rechtfertigen muss sich auf dem Amt niemand. Eine Erklärung ohne Begründung, 25 Euro Bearbeitungsgebühr und die Unterschrift reichen aus. Viele begründen ihren Schritt trotzdem.

    Im Jahr 2014 hätten sich drei Gruppen herauskristallisiert: Die einen sind Christen aus dem Ausland, die in ihrer Heimat keine Kirchensteuer zahlten. Die andere große Gruppe nahm sich die 2015 in Kraft getretene Änderung in der Kirchensteuerabgabe zum Anlass. Am Ende bleiben die Überzeugungstäter und Religionsüberdrüssige. Also Menschen, die aus anderen Gründen die Kirche verlassen.

    Überraschend ist allerdings, dass nicht nur junge Neuburger den Standesbeamten für den Kirchenaustritt aufsuchen. „Das geht quer durch alle Altersklassen. Auch Senioren, die 70 Jahre und älter sind, treten aus der Kirche aus.“ Am Ende des bürokratischen Akts benachrichtigt die Behörde die Kirchengemeinde.

    Früher hat Pfarrer Steffen Schiller noch Briefe verschickt, wenn ein Mitglied der evangelischen Christuskirche den Entschluss gefasst hat. Doch weil die Ausgetretenen „quasi nie“ darauf reagierten, hat er aufgehört, das Gespräch zu suchen. Er wolle niemanden belästigen. 39 Briefe hätte er im vergangenen Jahr zur Post bringen müssen.

    In den meisten Fällen hat Pfarrer Schiller die Neuburger, die seine Kirche verlassen, nie oder nur selten zu Gesicht bekommen. So gut wie immer handle es sich um eine „längere Geschichte der Entfremdung“ zwischen ihnen und der Kirche oder dem Glauben. Entfremdung heißt auch, dass evangelische Christen ausgetreten sind, weil sie wütend auf den Papst waren – auch das hat Schiller erlebt.

    Der Anstoß sei letztlich aber das Geld gewesen. Genauer: Die sperrige Änderung auf die Abgabe der Kirchenkapitalertragssteuer. Pfarrer Herbert Kohler spricht lieber von einem „Kommunikationsdesaster“. An der Höhe der Kirchensteuer habe sich jedenfalls nichts geändert. Nicht in seinen Pfarreien wie St. Peter und Heilig Geist, nirgendwo in Deutschland.

    Teils gingen die Kirchensteuerzahler dennoch von einer Erhöhung aus. Andere sahen ihre Daten gefährdet. Dem Rest war dieser Vorgang zu kompliziert – und sie hatten sich längst entfremdet. Das war jedenfalls „der letzte Tropfen“, sagt Pfarrer Kohler.

    In seinen Kirchengemeinden in Neuburg war das Dilemma jedenfalls stärker zu spüren, als in Bittenbrunn, Ried, Rohrenfels und Wagenhofen. Pfarrer Kohler verschickt bis heute Briefe und bietet Gespräche an. Wie viele es in seinen Gemeinden waren, kann er aus dem Stegreif nicht sagen.

    Doch einen Lichtblick gibt es für Pfarrer Schiller und Pfarrer Kohler: Die Zahl der Kircheneintritte steigt in ihren Gemeinden Jahr für Jahr. Zwar nicht über die Zahl der Austritte, aber sie wächst.

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