Die einen suchen die große Liebe und sind bereit, alles für diese Liebe zu tun. Die anderen wollen einfach nur Geld. Ihre Gefühle sind erfunden, ihre Identität gestohlen. Jedes einzelne Wort der romantischen Nachrichten, die sie übers Internet verschicken, ist gelogen und dient nur ihnen selbst. Seit gut einem Jahr erfasst die bayerische Polizei „Romance Scam“, zu deutsch Liebesbetrug, als eigenes Schlagwort in ihrer Datenbank. Das ist notwendig geworden, weil der Nährboden für diese Art des Internetbetrugs immer fruchtbarer wird: Die Bedeutung und die Möglichkeiten der virtuellen Kommunikation nehmen zu, während die Scheidungsraten und die Zahl der Singlehaushalte ebenfalls steigen.
Josef Golder, Leiter des Kommissariats für Vermögens- und Wirtschaftsdelikte der Kriminalpolizei Ingolstadt, sagt, dass bei ihm jede Woche neue Anzeigen wegen Liebesbetrugs eintrudeln. Er weiß sogar von einer Frau, die in diesem Jahr schon zweimal Opfer eines Romance Scammers geworden ist. Sie, Anfang 50, schämt sich zu sehr, um mit der Presse zu sprechen. Also erzählt Golder ihre Geschichte.
Die Frau, sie soll in diesem Artikel Anne Schmidbauer heißen, lernt Männer auf einer Dating-Plattform kennen. Der erste gibt sich als Ingenieur auf einer Bohrinsel aus, der zweite als Landwirt, der Obst im Ausland anbaut. In beiden Fällen läuft das Kennenlernen ähnlich ab. Zunächst chattet Schmidbauer mit den Männern auf Englisch, dann telefoniert sie mit ihnen. Sie sprechen Deutsch mit Akzent. Der Landwirt schreibt: „Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen, wenn ich die Chance bekomme, dich zu lieben, Honey.“ So liest es der Kriminalhauptkommissar aus den Akten vor. Einen Kommentar kann er sich dabei nicht verkneifen: „Es ist schon erstaunlich, wie schnell die sich immer verlieben und heiraten wollen!“
Die Fälle von Dating-Betrug im Internet häufen sich, auch in Bayern
Dann erzählt Golder weiter: Der angebliche Landwirt verspricht, Anne Schmidbauer in Deutschland zu besuchen. Er wolle mit seinem Obst an einem Wettbewerb teilnehmen, den deutsche Hersteller von Fruchtsäften ausgelobt hätten. Ob das in Zeiten des Corona-Lockdowns im April überhaupt möglich sein kann, hinterfragt Schmidbauer nicht. Als der Betrüger sie um Geld für Dokumente und Chemikalien bittet, überweist sie einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Ihren vermeintlichen Traummann wird sie trotzdem nicht kennenlernen. Und ihr Geld wird sie nie wieder sehen.
Im Nachhinein könnten viele Geschädigte nicht fassen, was sie da getan haben, sagt der 55-jährige Polizist Golder. Sie fragten sich: „Wie konnte ich so dumm sein?“ Weil sich viele Opfer schämen, geht die Polizei von einer hohen Dunkelziffer aus. Nach Angaben des Landeskriminalamts gab es in Bayern zwischen 1. Juli und 31. Dezember 2019 wegen Liebesbetrugs-Anzeigen im niedrigen dreistelligen Bereich. Die Betrüger erbeuteten mehrere Millionen Euro. Das Polizeipräsidium Oberbayern Nord meldet für das zweite Halbjahr 2019 42 Fälle, 2020 bis Mitte September 69. Das Polizeipräsidium Schwaben Nord registriert für das zweite Halbjahr 2019 15 Fälle von Liebesbetrug, 2020 bislang 19.
Die Opfer sind mehrheitlich Frauen zwischen 40 und 66 Jahren, sagt Kriminalhauptkommissar Golder. Aber nicht nur: Ein 25-jähriger Mann sei auch schon darunter gewesen. Die Opfer sind oft einsam und langweilen sich. Golder hält es daher durchaus für möglich, dass die Fallzahlen durch die Corona-Kontaktbeschränkungen steigen werden, an konkreten Zahlen festzumachen sei dies aktuell allerdings nicht.
Und wer sind die Täter? Auf einer Beratungsseite im Internet klärt die Polizei bundesweit über Romance Scam auf: Die Täter, das sind meist junge Männer, die in Westafrika sitzen. Sie geben sich gerne als Ingenieure, Architekten, Soziologen, Konstrukteure in der Ölindustrie, als Ärzte, Computerspezialisten oder US-Soldaten aus. Ihre Profile erschaffen sie aus gestohlenen Fotos, die adrette weiße Männer zeigen. Täterinnen sind seltener. Sie treten bevorzugt als Russinnen auf, als Krankenschwestern, Ärztinnen, Mitarbeiterinnen im Waisenhaus, als Lehrerinnen, Schauspielerinnen oder Geschäftsfrauen. Sie verwenden Bilder von attraktiven, leicht bekleideten Frauen. In Wirklichkeit stammen sie aus Thailand, Afrika, Südamerika oder Europa. Scammer – egal ob Männer oder Frauen – sprechen in der Regel sehr gut englisch, tummeln sich auf Online-Partnerbörsen wie Parship oder in sozialen Netzwerken wie Facebook.
Helga Grotheer kämpft im Internet gegen Romance Scammer
Eine kurze Einladung zum Chat – und der erste Kontakt ist hergestellt. Indem sie ihren Opfern uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenken und sie mit Worten verwöhnen, machen sie sich in deren Leben unverzichtbar. Plötzlich scheint es gar nicht mehr so abwegig, dem Liebsten, der einen mit Komplimenten überhäuft, aus einer finanziellen Notlage zu helfen.
Eine, die im letzten Moment erkannt hat, das sie es mit einem Liebesbetrüger zu tun hat, und Scammern seither den Kampf angesagt hat, ist die 60-jährige Helga Grotheer. Sie lebt in der Nähe von Bremen. 2008, frisch geschieden, verliebte sie sich über eine Online-Singlebörse in einen Mann, der vorgab, ein Ingenieur aus London zu sein. „Steve Thompson“ war ihr Traummann. Wie Grotheer erzählt, hatte sie damals schon von Scammern gehört, glaubte aber: „Meiner ist ganz anders!“ Irgendwann kam sie aber eben doch, die Forderung nach Geld: Der angebliche Ingenieur wollte 7000 Dollar, um Baumaschinen für einen Auftrag in Afrika durch den Zoll zu bekommen.
Doch erst als Grotheer versehentlich Steves E-Mail-Adresse in das Google-Suchfeld eintippte und plötzlich Foren-Beiträge zum Thema „Romance Scam“ mit dem Foto ihres Liebsten auftauchten, gestand sie sich ein, dass auch sie auf einen Betrüger hereingefallen war. Der Schock war groß: „Ich dachte, mir fällt alles aus dem Gesicht. Ich fand das so gemein, dass man mit den Gefühlen der Frauen spielt.“
Helga Grotheer zahlte nicht. Dennoch fiel sie in ein Loch. Gleichzeitig war es ihr ein Bedürfnis, andere Frauen zu warnen. Im August 2009 gründete die gelernte Bürokauffrau das Forum „Romance Scam Baiter“, das rund 4350 Mitglieder hat. Auf dieser Internetseite veröffentlicht die 60-Jährige mit anderen Frauen Fotos, die von Scammern gerne für ihre Fake-Profile benutzt werden. Die Frauen – meist sind sie selbst bereits Opfer geworden – tauschen Erfahrungen aus, geben Tipps oder zitieren Chat-Verläufe. Baiter ließe sich mit „Hetzer“ übersetzen. Oder: jemanden locken.
Eine Neuburgerin lockte den Helfer eines Betrügers in ein Café
Einige von ihnen, wie Grotheer selbst, haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich auf Dating-Plattformen von Liebesbetrügern anschreiben zu lassen und die Scammer dann so lange wie möglich zu beschäftigen, damit sie sich in dieser Zeit kein richtiges Opfer suchen können. Um die Betrüger bei Laune zu halten, bekämpfen die Frauen sie mit ihren eigenen Mitteln, fälschen sogar Kontoauszüge und E-Mails. Grotheer, deren echter Name samt Adresse im Impressum steht, hat deswegen schon Morddrohungen erhalten. Kein Wunder: Auf ihr Konto gehen mehr als 40 Festnahmen in den vergangenen drei Jahren.
Eine der anderen „Baiterinnen“ ist Tanja Süle aus Neuburg an der Donau. Wie Schmidbauer will sie ihren echten Namen nicht in der Presse lesen. Mit Grotheer hat Süle, die Musiklehrerin ist, mehrere Jahre Romance Scammer gejagt. Komplimente wie „Meine Königin, ich liebe dich immer mehr“ bis hin zu sexuellen Anspielungen waren da an der Tagesordnung. Einmal hat die 47-Jährige für die Ingolstädter Kriminalpolizei sogar den Lockvogel gespielt. Denn wenn es zu brenzlig wird und es zu einem Treffen zwischen einer Baiterin und einem ahnungslosen Scammer oder dessen Mittelsmann kommt, schalten die Frauen die Polizei ein.
So erkennen Sie Liebesbetrüger
1. An der Kontaktaufnahme: Über Netzwerke oder Dating-Seiten kommen Scammer an E-Mail-Adressen. Eine E-Mail auf Englisch mit einer Einladung zum Chat dient als Lockmittel.
2. An der Sprache: Die Betrüger kommunizieren meist in gutem Englisch. Insider gehen davon aus, dass rund 95 Prozent der englisch sprechenden Kontakte auf deutschen Dating-Seiten Romance Scammer sind. Viele sprechen auch perfekt deutsch.
3. An den Bildern: Scam-Frauen locken oft mit Fotos, auf denen sie leicht bekleidet sind, Männer nutzen häufig Fotos von Uniformierten.
4. Am E-Mail-Inhalt: Scammer überhäufen ihre Opfer mit Liebesschwüren.
5. An Bitten um Geld, um einen Päckchen- oder Briefversand oder um ein gemeinsames Konto.
6. An ihren Anliegen: Die Polizei betont, dass Scammer es zurzeit vor allem auf ausländische Ausweispapiere abgesehen haben. Begehrt sind auch Einladungen nach Deutschland für einen Visumantrag. Manchmal sollen Päckchen nach Afrika gesandt werden. Der Inhalt ist meist mit einer gestohlenen Kreditkarte bezahlt oder es handelt sich um Drogen. Der Weiterversand kann strafbar sein.
So prüfen Sie Ihre Bekanntschaft:
Geben Sie den Namen der Internetbekanntschaft mit dem Zusatz „Scammer“ in eine Suchmaschine ein. Falls Sie ein Foto haben, können Sie die umgekehrte Bildersuche nutzen.
Die Polizei rät: Nutzen Sie für Online-Kontaktbörsen oder für digitalen Schriftverkehr mit einem Unbekannten eine alternative Mail-Adresse.
Das können Sie tun, falls Sie gescammt werden:
Den Betrüger ignorieren, kein Geld überweisen und geleistete Zahlungen rückgängig machen.
Speichern Sie E-Mails und Chats auf einem Speichermedium. Erstatten Sie Anzeige. Brechen Sie den Kontakt zum Scammer ab und legen Sie sich eine neue E-Mail-Adresse und eine neue Telefonnummer zu.
Mehr Infos: www.polizei-beratung.de und www.romancescambaiter.de
So war es auch im Juli 2018, als Süle sich gegen 10.30 Uhr mit „Joseph“ in einem Ingolstädter Café traf. Joseph sollte für den Scammer „Elvis Morgan“ einen Umschlag mit 500 Euro abholen, erzählt Süle. Insgesamt wollte Elvis 42.000 Euro von ihr, um Diamanten im Wert von 2,5 Millionen Euro beim Zoll auszulösen und nach Deutschland zu bringen. Damit der Neuburgerin nichts passiert, saßen im Café drei Polizisten in Zivil. Süle bestellte Kaffee und Kuchen. Alle warteten auf Joseph, der sich leicht verspätete. Als er das Café betrat, wirkte er angespannt. „Ich war aber auch nervös“, gibt Süle zu. Angst habe sie nicht gehabt. Sie erkannte Elvis’ Boten sofort, er war der Einzige mit schwarzer Hautfarbe im Café. Sie unterhielten sich ein wenig auf Englisch. Als sie ihm dann das Kuvert übergab, nahm die Polizei ihn fest. „Ein Polizist kam von hinten, ein anderer legte ihm Handschellen an“, erinnert sich Süle. „Das war eine Show für die Leute im Café.“
Der Helfer wurde verurteilt - die Identität von Elvis Morgan ist noch immer unbekannt
Im Januar 2019 wurde Joseph vom Amtsgericht Neuburg zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung und zu 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt; wer Elvis Morgan ist, wurde bis heute nicht geklärt. „Die Justiz sollte viel härter durchgreifen“, meint Tanja Süle verärgert. Polizisten wie Josef Golder sehen das Hauptproblem hingegen an anderer Stelle – bei der Ermittlung der Hintermänner. Diese sitzen nämlich – oft organisiert in kriminellen Gruppen – weit weg in Nigeria, Ghana oder Osteuropa und können fast nie gefasst werden.
Außer Öffentlichkeit herstellen und Frauen warnen wollen die Baiterinnen noch etwas: Rache. Sie machen sich einen Spaß daraus, die Scammer an der Nase herumzuführen. Einmal schaffte es Süle, gemeinsam mit einer anderen Frau, den Mittelsmann eines Betrügers bei Schnee und Eis auf den Schilthorn-Gipfel in der Schweiz zu locken. Dort wartete der Mann mehrere Stunden vergeblich auf eine Geldübergabe, während Süle ihren Coup von zu Hause aus über die Gipfelkamera und über Selfies, die der Mann schickte, verfolgte. Mitleid haben sie oder Helga Grotheer nicht. „Es ist ihr Geschäft, Frauen zu betrügen. Da ist es nur gerecht, wenn sie ihr Fett wegkriegen“, findet Grotheer.
Die Frauen wollen auch Rache
Tanja Süle, verheiratet und Mutter zweier Söhne, hat sich mittlerweile von der „Scammer-Jagd“ zurückgezogen. Grotheer macht weiter. Sie ist überzeugt davon, dass die Betrügereien in Zukunft eher noch schlimmer und vor allem mehr werden. Woran sie das festmacht? Seit Beginn der Corona-Pandemie drängten immer mehr Opfer in ihr Forum. Und diese erzählten von immer höheren Summen, die sie gezahlt hätten.
Den Glauben an die große Liebe hat Helga Grotheer trotz allem nicht verloren. Sie verurteilt auch die Opfer nicht. Nicht einmal die, die so weit gegangen sind und ihr Haus zu Geld gemacht haben. „Es ist nicht schlimm, dass du jemanden geliebt hast oder jemandem in einer Notlage helfen wolltest“, sagt sie ihnen, wenn sie bei ihr Hilfe suchen. Grotheer rät jedoch dazu, Menschen, die man im Internet kennenlernt, möglichst bald persönlich zu treffen, keine Kontodaten herauszugeben und einen „Stacheldraht ums Portemonnaie“ zu haben.
Seit neun Jahren hat sie wieder einen Partner, Riad. Gefunden hat sie ihn online. „Der musste am Anfang ganz schön leiden“, sagt sie und lacht. „Ich habe ihm vorgeworfen, dass er nur nach Deutschland möchte und mein Geld will.“ Der Mann lebt in Tunesien. Irgendwann flog Grotheer hin – und er hielt ihrer kritischen Prüfung stand. An Weihnachten 2019 war Riad zum ersten Mal bei ihr in Deutschland. Fürs Erste soll es eine Fernbeziehung bleiben – auch wenn die Corona-Pandemie es den beiden zurzeit nicht gerade leicht macht, weil Flüge gestrichen wurden.
Helga Grotheer bleibt optimistisch. Und wer weiß? Vielleicht zieht sie ja einmal tatsächlich für ihre große Liebe nach Tunesien.
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