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Oberhausen-Sinning: Philipp Schinagl aus Sinning war fast tot - doch ein Arzt gab ihn nicht auf

Oberhausen-Sinning

Philipp Schinagl aus Sinning war fast tot - doch ein Arzt gab ihn nicht auf

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    Vor kurzem hat er noch mit seinem Team vom BSV Neuburg in der Bayernliga gespielt. Nach seinem Unfall hilft Philipp das Tischtennisspielen auf seinem Weg zurück ins normale Leben.
    Vor kurzem hat er noch mit seinem Team vom BSV Neuburg in der Bayernliga gespielt. Nach seinem Unfall hilft Philipp das Tischtennisspielen auf seinem Weg zurück ins normale Leben.

    Als Philipp Schinagl Ende April 2020 im Klinikum Ingolstadt seine Augen aufschlägt, kommt ihm alles vor wie im Traum. Um ihn herum sieht er Menschen, die mit Masken vermummt sind. Er selbst liegt nicht im gewohnten eigenen Bett, kann sich kaum bewegen. „Für mich hat das damals überhaupt keinen Sinn ergeben“, sagt der 20-Jährige aus Sinning heute. Später realisiert er: Das ist kein Traum. Er ist dem Tod nur knapp entronnen.

    Mit seinem Roller ist er an einem Mittwochmorgen auf dem Weg nach Burgheim unterwegs, wo er als Werkstudent in einem Architekturbüro arbeitet. Auf Höhe der Bahnüberführung übersieht ihn ein 63-jähriger Lastwagenfahrer, der links in Richtung Moos abbiegen wollte. Lkw und Roller stoßen frontal zusammen und Philipp wird auf den Asphalt geschleudert.

    Viele Ärzte hielten es nicht für möglich, dass er überlebt

    Der Rettungshubschrauber fliegt ihn schließlich mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Ingolstädter Klinikum. Dort wird ein schweres Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert. Als sich ein Klinikumsarzt dafür entscheidet, die Schädeldecke zu öffnen, sagen ihm Kollegen: „Sie operieren eine Leiche“, wie Philipp später erfährt. Doch er überlebt – mit zahlreichen Brüchen am ganzen Körper und schweren Schäden am Gehirn. Als seine Eltern ihn nach sechs Tagen das erste Mal besuchen, hält er sie für seine Großeltern. Den Geburtstag seines Bruders, der nur einen Tag nach seinem eigenen ist, weiß er nicht mehr. An den Unfall selbst hat er keine Erinnerungen.

    Parallel dazu befindet sich ganz Deutschland wegen der Corona-Pandemie im ersten Lockdown. In Bayern sind unter anderem die Besuchsrechte in Krankenhäusern stark eingeschränkt. Philipps Familie darf ihn nach dem ersten kurzen Besuch fünf Wochen lang gar nicht mehr sehen. „Das Schlimmste war, dass wir ihn nicht in den Arm nehmen konnten“, sagt seine Mutter Manuela Schinagl. „Jedes Mal, wenn das Telefon geklingelt hat, bin ich aus Angst vor schlechten Nachrichten fast zusammengebrochen.“

    Bereits in der Reha beginnt Philipp wieder mit dem Tischtennis

    Nach mehreren Operationen und zwei Wochen auf der Intensivstation wird Philipp schließlich in die Reha-Klinik nach Kipfenberg verlegt. Dort beginnt er gemeinsam mit Ärzten und Therapeuten, sich in sein altes Leben zurückzukämpfen. Unter anderem trainiert er seine Koordinations- und Sehfähigkeit, denn wegen seiner Hirnverletzung sieht er zunächst alles doppelt. Auf einem Auge ist das Sichtfeld so stark eingeschränkt, als hätte er Scheuklappen auf. Zwei Monate nach dem Unfall kann er schließlich das erste Mal wieder laufen und schickt seinen Eltern ein Video, in dem er auf die Kamera zugeht. „Diese Kleinigkeiten haben uns Hoffnung gegeben“, sagt Manuela Schinagl, eine gebürtige Neuburgerin.

    In Kipfenberg beginnt Philipp auch wieder mit seinem alten Hobby, dem Tischtennis. Seit dem Grundschulalter spielt er, stieg 2017 gemeinsam mit seinem Team vom BSV Neuburg sogar in die Bayernliga auf. In der Reha allerdings muss er sich erst daran gewöhnen, dass er die Bälle seines Therapeuten mit dem Schläger auch mal verfehlt, denn noch ist sein Sichtfeld stark eingeschränkt. Auch diese Versuche dokumentiert er und schickt sie an Familie und Freunde. Überhaupt sind sie von großer Bedeutung für ihn und seinen Weg zurück ins Leben. „Als ich das erste Mal wieder mein Handy in der Hand hatte, waren über 100 ungelesene Nachrichten drauf. Daraus ziehe ich Kraft. Familie und Freunde zu enttäuschen, wäre das Schlimmste für mich“, sagt Philipp hinsichtlich seiner hoch gesteckten Ziele. Der Unfall hat die Schinagls noch mehr zusammengeschweißt. Mit seinen beiden Brüdern, die 28 und 30 Jahre alt sind, war das Verhältnis wegen des großen Altersunterschiedes vorher nicht besonders eng. Nun rufen sie ihn täglich an, einer morgens, einer abends. Bei der Entlassung im August warnt ihn zwar ein Arzt, er solle sich nicht zu viel vornehmen. Trotzdem ist Philipps Anspruch, „dass alles wieder so wie vorher ist“. „Er war schon immer ein Optimist“, sagt seine Mutter.

    Noch immer muss er fünfmal wöchentlich zur Reha

    Im September muss er dann die letzte große Operation überstehen. Ein eigens in Schweden aus Knochengewebe hergestelltes Implantat wird ihm als künstliche Schädeldecke eingesetzt. Bis dahin musste er beim Gehen und Stehen einen Helm tragen, der seinen Kopf schützt. Nun kann er sogar wieder regelmäßig Joggen gehen, fünf Monate nach dem Unfall. Er macht täglich Fortschritte, muss aber auch fast ein Jahr danach immer noch fünfmal wöchentlich mehrere Stunden zur Reha nach Rain. Dort trainiert er gemeinsam mit Physio-, Ergo-, und Sporttherapeuten. Ein Neuropsychologe soll ihm künftig helfen, sein sprachliches Gedächtnis zu trainieren, sich also leichter merken zu können, was andere ihm sagen. Zweimal wöchentlich trifft er sich wieder mit einem Freund zum Tischtennis im heimischen Keller. Nach Corona würde er sich gern im Verein als Trainer engagieren, sagt er.

    Und auch das Zeichnen nimmt wieder einen großen Teil in seinem Leben ein. Vor dem Unfall hat er bis zum dritten Semester Architektur an der Universität Karlsruhe studiert, momentan ist er beurlaubt. Wann er sein Studium wieder fortsetzen kann, entscheidet er gemeinsam mit seinem Neuropsychologen. Aber weil im fünften Semester ein Praktikum ansteht, feilt er schon einmal an seinem Portfolio. Architektur ist für ihn Problemlösen, „du allein entscheidest, wie das Gebäude aussieht“, sagt Philipp. Er zeichnet aber nicht nur Gebäude, sondern auch die von ihm so bewunderten Pinguine. „Das sind echte Überlebenskünstler, wenn es kalt wird, stehen sie eng zusammen.“ Die Parallelen zu seinem eigenen Leben sind kaum zu übersehen.

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