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Neuburg: Wie zwei Neuburgerinnen als Mädchen den Zweiten Weltkrieg erlebt haben

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Wie zwei Neuburgerinnen als Mädchen den Zweiten Weltkrieg erlebt haben

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    Paula Schäfer gemeinsam mit ihren Eltern, vermutlich während eines Heimaturlaubs ihres Vaters. Der geriet in Kriegsgefangenschaft, weshalb sie zu ihm nie eine engere Beziehung aufbauen konnte.
    Paula Schäfer gemeinsam mit ihren Eltern, vermutlich während eines Heimaturlaubs ihres Vaters. Der geriet in Kriegsgefangenschaft, weshalb sie zu ihm nie eine engere Beziehung aufbauen konnte. Foto: Paula Schäfer (Archivbild)
    Maria Sekinger (links) und Paula Schäfer leben inzwischen im Seniorenheim. Den Zweiten Weltkrieg haben sie als zwei der letzten noch lebenden Zeitzeugen in Neuburg selbst erlebt. Sie können tatsächlich auch von schönen Erinnerungen aus der Zeit berichten – genauso wie von grausamen Ereignissen.
    Maria Sekinger (links) und Paula Schäfer leben inzwischen im Seniorenheim. Den Zweiten Weltkrieg haben sie als zwei der letzten noch lebenden Zeitzeugen in Neuburg selbst erlebt. Sie können tatsächlich auch von schönen Erinnerungen aus der Zeit berichten – genauso wie von grausamen Ereignissen. Foto: Laura Freilinger

    „Meine vermeintlich schönsten Lebensjahre musste ich im Krieg verbringen. Erst als ich 20 Jahre alt war, endeten die Grausamkeiten Hitlers im Jahre 1945“ , erinnert sich die heute 93-jährige Neuburgerin Maria Sekinger. „Wir waren dennoch lustig und glücklich.“ Was paradox klingt, hat viele Gründe. Denn das Grauen des Krieges war nicht rund um die Uhr in der Stadt präsent, wie Sekinger erzählt. Stattdessen gab es auch einen Alltag – und Sekinger bewies die Fähigkeit, sich mit Rückschlägen und Entbehrungen abzufinden. Als eine von wenigen noch lebenden Zeitzeugen des Nationalsozialismus’ im Landkreis, die die Machtergreifung Hitlers als Kind und den Krieg als Jugendliche in Neuburg erlebt hatte, erzählt sie von Toten und Verschwundenen in der Stadt – und von Momenten, an die sie sich gerne erinnert: die Zeit im Bund Deutscher Mädel (BDM) etwa.

    Neuburg war lange Zeit von Bombenangriffen verschont geblieben

    An die Gemeinschaft dort denken Sekinger und auch die 87-jährige Paula Schäfer, die heute im Seniorenheim St. Augustin der Barmherzigen Brüder wohnen, gerne zurück. Auch erinnern sie sich, dass die Stadt Neuburg selbst im Gegensatz zum Jagdgeschwader in der Grünauer Straße lange von Bombenangriffen verschont blieb. „Wir sind sogar draußen gestanden und haben versucht, das Angriffsziel der Flieger zu erraten, als wäre das völlig normal“, erzählt Maria Sekinger. Doch 1943 schlug die erste Bombe in Neuburg ein. Durch den Angriff kamen 17 Menschen ums Leben. Besonders

    Ein weiterer folgenschwerer Angriff auf die Stadt folgte zwei Wochen vor Kriegsende. „In den letzten Kriegstagen fiel eine Bombe in der Nähe der ehemaligen Post. Alle gingen in den Keller – nur ein Mann blieb lieber bei seinen sechs Pferden“, erzählt Schäfer. Das habe ihn letztlich das Leben gekostet.

     
      Foto: Otto Hausmann (Archivbild)

    Größtenteils hätten sie und andere als Jugendliche aber andere Interessen als den Krieg gehabt, erzählt Sekinger. Beim BDM wanderten und sangen sie zum Beispiel gerne. „Das war sozusagen der soziale Treffpunkt. Nur hier haben wir auf gemeinsamen Veranstaltungen mit der Hitlerjugend abends auch die Buben kennengelernt“, erinnert sich Maria Sekinger. Besonders eingebrannt hat sich den damals jungen Mädchen, wenn die Soldaten Richtung Bahnhof die Luitpoldstraße, damals noch Adolf-Hitler-Straße genannt, hinuntermarschierten. „Wir waren alle sehr begeistert und folgten den Musikkapellen hinter den Soldaten“, sagt Schäfer.

    Die einzige Informationsquelle waren Schwarzsender

    Der anfänglichen Kriegseuphorie stimmt auch Maria Sekinger zu. „Als das Militär nach Frankreich in den Krieg zog, da waren wir alle begeistert. Wir dachten, Hitler sei unser Retter, auch weil er so viele Arbeitsplätze geschaffen hatte.“ Erst nach dem Krieg hätte man die Details über die Verbrechen unter Hitler erfahren. Die einzige Informationsquelle waren Schwarzsender. „Meine Mutter hat manchmal ganz leise illegale Sender gehört. Ich weiß nicht, was genau da gesagt wurde. Wäre das aufgekommen, wären wir im Gefängnis gelandet“, verrät Paula Schäfer.

    Während der NS-Diktatur hatten sich die meisten Lebensbereiche für die beiden Frauen verändert. Anstelle von Klosterfrauen durften während des Krieges fortan nur bereits pensionierte ältere Herren unterrichten. „Die jungen Lehrer waren ja im Krieg, außerdem waren die Klosterfrauen durch die Regierung nicht mehr als Lehrkräfte erwünscht“, erinnert sich Paula Schäfer an ihre Schulzeit. Im Unterricht ging es oftmals strenger zu. „Auf die Frage hin, woher denn die Kinder kämen, flog auch einmal eine Kreide durch das Klassenzimmer“, sagt Maria Sekinger – und lacht dabei.

    Wie die beiden erzählen, hatte ein Tanzverbot einen Tanzkurs ihrer Abschlussklasse verhindert. Das war 1942 erlassen worden, Anlass war die Schlacht von Stalingrad, die zu der Zeit tobte. „Das war damals natürlich furchtbar. Als Kinder konnten wir das einfach nicht nachvollziehen“, bedauert die Seniorin.

    Paula Schäfers Mann
    Paula Schäfers Mann Foto: Paula Schäfer (Archivbild)

    Doch der Krieg griff nicht nur in die Freizeit der Jugendlichen ein. Er veränderte ihr Leben auch nachhaltig. Neuburger Schulabgänger etwa, die eine Lehre in einer Großstadt machen wollten, hätten meist auf Geheiß ihrer Eltern zuhause bleiben müssen. „Meine Eltern dachten, ich wäre verrückt geworden, als ich in Augsburg eine Lehre zur Kindergärtnerin beginnen wollte“, erinnert sich Maria Sekinger. Wie viele andere Neuburger Mädchen wurde auch sie schließlich im Wehrmeldeamt zur Karteiarbeit dienstverpflichtet und konnte so nie eine richtige Ausbildung machen. Darüber sei sie natürlich sehr traurig gewesen, erzählt sie. Akzeptiert habe sie die Anweisung ihrer Eltern aber schnell – schließlich sei es damals allen so ergangen wie ihr selbst.

    Genauso wie er Träume platzen ließ, riss der Krieg Familien auseinander. „Als die Kämpfe begannen, wurde mein Vater sofort eingezogen“, erinnert sich die damals sechsjährige Paula Schäfer. „Erst nach sechs Jahren Krieg und weiteren drei Jahren in französischer Gefangenschaft kam er wieder zurück. Ich hatte so gut wie kein Verhältnis zu ihm.“ Was heute unvorstellbar scheint, war für Schäfer Normalität. „Erst als ich meinen Vater im Alter pflegen musste, bekam ich das erste Mal wirklich Mitleid mit ihm. Davor kannte ich ihn ja nicht, er war wie ein Fremder“, gibt sie zu.

    Es war nicht leicht, mit den wenigen Essensmarken auszukommen

    Hungern musste in Neuburg die große Mehrheit der Bürger nicht, da die Stadt von Land umgeben war. Trotz allem war es nicht leicht, mit den wenigen Essensmarken auszukommen. „Nur an Weihnachten bekam man beispielsweise eine Orange“, erzählt Maria Sekinger, die ihren Bruder im Krieg verloren hatte.

    Einige Schicksale von Neuburger Bürgern, die in Konzentrationslager deportiert worden waren, sind den beiden Seniorinnen bis heute im Gedächtnis geblieben. Offiziell seien Informationen über die Euthanasie-Programme zwar nie bekannt gegeben worden, sagt Schäfer. Dennoch war die Problematik allgegenwärtig. Eine Tante Maria Sekingers erkrankte an einer Hirnhautentzündung und erlitt psychische Schäden. „Sie kam in ein Heim. Einmal im Jahr durfte sie besucht werden. Eines Tages erreichte uns ein Schreiben über ihren plötzlichen Tod an einer vermeintlichen Lungenentzündung. Vermutlich hatte sie eine Spritze bekommen… auf einmal waren nämlich alle Heime leer“, erklärt sie sich heute das plötzliche Verschwinden unter dubiosen Umständen.

    Über die Konzentrationslager sei den beiden Mädchen nicht viel erzählt worden, sagen sie. Erinnern können sie sich, dass dorthin beispielsweise zwei Söhne eines katholischen Neuburger Pfarrers geschickt wurden, die zuvor versteckt worden waren. Ein weiterer Neuburger hatte sich laut Paula Schäfer kritisch gegenüber dem NS-Regime geäußert. Als Kommunist abgestempelt wurde er nach Dachau deportiert.

    Juden habe es nicht viele gegeben, oder man habe es eben einfach nicht gewusst, schildert Sekinger. Somit habe sie vom Holocaust und seinen Auswirkungen kaum Genaueres zu erzählen. Nur Schäfer erinnert sich an einen Augsburger Händler. „Wir waren froh, dass uns der „Jud Lux“, wie er immer genannt wurde, mit Nahrungsmitteln versorgt hatte. Während des Krieges verschwand er dann aber auf einmal“, erinnert sie sich nachdenklich.

    Paula Schäfer und Maria Sekinger blicken auf eine oftmals schwierige Kindheit und Jugend zurück. Trotzdem: Immer dann, wenn ihr Enkel sie mit Fragen löchert, freut sich Sekinger. Auch heute ist das Thema Nationalsozialismus noch allgegenwärtig in den Köpfen der Neuburger Jugend. Paula Schäfer weiß aufgrund der Erlebnisse ihre Lebenslage im Frieden viel mehr zu schätzen. „Es tut doch auch einfach mal gut, wenn man sich ohne Angst vor möglichen Konsequenzen beschweren darf“, sagt sie.

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