Das bayerische Wirtshaus ist ein Kosmos für sich. Dort werden nicht nur der Frühschoppen nach der Kirche abgehalten, die Feierabend-Halbe getrunken und Geburtstage und Hochzeiten gefeiert. In ihnen werden Traditionen gepflegt, Neuigkeiten verbreitet, Politik gemacht und so manche Ehe besiegelt. Sie sind Knotenpunkte im dörflichen Leben, der Wirt ist der Mittler zwischen einer Vielzahl an Akteuren. Die bayerische Gasthauskultur ist mehr als nur die reine Ausgabe von Speisen und Getränken. Sie ist Tradition. Doch sie ist gefährdet.
Die Zahl der Wirtshäuser in Bayern ist zwischen 1980 und 2011 um fast die Hälfte von knapp 7900 Betrieben auf weniger als 4400 Wirtschaften gesunken. Im Jahr 2011 gab der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband bekannt, dass etwa 500 bayerische Gemeinden kein Wirtshaus mehr besitzen. Das sind rund ein Viertel aller bayerischen Kommunen.
Bergheimer setzten sich für Erhalt ihrer Wirtschaft ein
Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen sieht es nicht ganz so schlimm aus. Es gibt keine Gemeinde, die keine einzige Gastwirtschaft mehr hat. In Bergheim hat man sich zuletzt sehr dafür eingesetzt, dass die einzige Wirtschaft im Ort fortbesteht. Seit Oktober hat das „Zum Löwen“ einen neuen Wirt. Bürgermeister Tobias Gensberger sagt: „Ein Wirtshaus ist ein sozialer Treffpunkt von sämtlichen Generationen. Auch für die Vereine ist sie Heimat bei vielen Veranstaltungen. Deswegen wollten wir unbedingt schnell wieder einen Wirt für den Löwen finden.“ Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Erfahrung zeigt, dass einmal geschlossene Wirtschaften nur selten erfolgreich wiedereröffnen.
Es gibt viele Ortsteile, in denen es keinen Schankbetrieb mehr gibt. Mancherorts, wie zum Beispiel beim „Oberen Wirt“ in Weichering, wird die Gaststube nur noch sonntags nach der Kirche oder abends an manchen Tagen geöffnet. In Attenfeld führte bis vor einigen Jahren Roland Scherzer eine Wirtschaft, doch das ist Vergangenheit. Um zumindest einmal in der Woche zusammenzukommen, treffen sich die Attenfelder inzwischen im Feuerwehrhaus zum Frühschoppen.
Die Gründe für das Wirtshaussterben sind vielfältig. Im vergangenen Jahr hat sich der Lehrstuhl für Kulturgeografie der Uni Eichstätt mit diesem Thema befasst. In der Studie fand Prof. Dr. Hans Hopfinger heraus, dass es gerade die jungen Menschen sind, die ihre Wünsche nach Unterhaltung und Austausch heutzutage meist an anderen Orten als im Wirtshaus zu decken suchen: in Discotheken, auf selbst organisierten Partys oder in Bars. Doch auch für andere Teile der Bevölkerung spiegelt das Wirtshaus eine zu enge, traditionelle und konservative Welt wider, in die sich die Menschen zunehmend weniger begeben möchten.
Der Einkauf im Getränkemarkt ersetzt den Wirtshausbesuch
Der Konsum verlagert sich in die Städte, die gestiegene Mobilität macht’s möglich. War der Wirt früher der einzige, den man fußläufig erreichen konnte, um ein Bier zu trinken, ist es heute anders. Der Einkauf im Getränkemarkt ersetzt den Wirtshausbesuch, wo man früher meist nur Alkohol bekam.
Wer Essen gehen möchte, der will nicht mehr tagein tagaus das Gleiche sehen und essen, der will etwas erleben. Heute griechisch, morgen indisch und am Wochenende ein Erlebnisdinner.
Die soziale Kontrolle, die ein Wirtshaus früher automatisch ausübte, fällt damit weg. Manche werden deswegen aufatmen, andererseits hätte es das Komasaufen Jugendlicher dann ebenfalls wohl nicht gegeben.
Sportgaststätten und Vereinsheime tun ihr Übriges, um das Wirtshaussterben zu fördern. Ab den 1970er Jahren vom Freistaat noch kräftig gefördert, entpuppen sich die Sportheime als ernst zu nehmende Konkurrenz. Doch mit dem Schließen des letzten Wirtshauses im Ort schwindet auch die Lebensqualität, hat Hopfinger herausgefunden: „Die für den Zusammenhalt so wichtige Geselligkeit schwindet und die sozialen Bindungen werden lockerer oder lösen sich gar ganz auf.“
Und natürlich stirbt mit jedem Wirtshaus auch ein Stückchen Tradition.