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Neuburg: Online-Glücksspiel in Neuburg: Legalisierung mit Suchtpotenzial?

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Online-Glücksspiel in Neuburg: Legalisierung mit Suchtpotenzial?

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    Das Online-Glücksspiel soll legalisiert werden. Bereits jetzt gilt eine Übergangsphase.
    Das Online-Glücksspiel soll legalisiert werden. Bereits jetzt gilt eine Übergangsphase. Foto: Peter Roggenthin

    Digitale Pokerrunden und virtuelle Automatenspiele – bislang waren sie bundesweit nur in Schleswig-Holstein erlaubt. Sportwettenanbieter arbeiten (noch) mit Genehmigungen aus dem europäischen Ausland und berufen sich auf die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU. Unter bestimmten Auflagen sollen aber all diese Online-Angebote bald in ganz Deutschland legal sein, also auch in Bayern. Nach langem Ringen haben die Bundesländer einen Kompromiss gefunden, wie sie das Online-Glücksspiel in Deutschland regulieren wollen. Der neue Glücksspielstaatsvertrag wird zwar erst im Juli 2021 in Kraft treten und mindestens 13 der 16 Länderparlamente müssen bis Ende April noch zustimmen. Doch bis dahin gilt eine Übergangsphase, in der die neuen Regelungen als Leitlinien schon greifen. Diese sind umstritten – auch bei der Suchtberatung und dem Betreiber einer Spielothek in Neuburg.

    Angela Lauer, Leiterin der Suchtberatungsstelle des Caritasverbands Neuburg-Schrobenhausen, ist entsetzt. Der Zeitpunkt für Lockerungen beim Online-Glücksspiel sei denkbar ungünstig, findet sie. Wegen der Corona-Pandemie müssten die Menschen viel mehr Zeit zu Hause verbringen als vorher. Zudem sei die wirtschaftliche Situation unsicher, was dazu führen könnte, dass der ein oder andere versucht, seine Einkünfte durch Glücksspiel aufzubessern, vermutet die Expertin. Im Netz zu spielen, mache noch schneller abhängig als in der analogen Welt, da das Online-Glücksspiel rascher getaktet ist und dem Spieler somit noch weniger Zeit bleibt nachzudenken. Und: Die gesellschaftliche Kontrolle fehle, sagt Lauer. Niemand sieht, dass und wie oft man ein Online-Casino betritt und auch krankhaftes Spielverhalten bleibt länger unentdeckt. Die seit Beginn der Pandemie häufiger geschaltete Werbung für Glücksspiel im Fernsehen tue ihr Übriges, kritisiert die Sozialpädagogin.

    Glücksspiel: Der Vertrag sieht Regulierungen vor

    Dabei sieht der Glücksspielstaatsvertrag neben der Legalisierung des Online-Glücksspiels durchaus auch Regulierungen vor. So liegt das Einzahlungslimit bei 1000 Euro im Monat. Auch ein Hinweis darauf, dass Glücksspiel süchtig macht, ist vorgesehen. Ebenso Vorgaben für die Spielfrequenz und der Anschluss an eine Datei mit Spielsüchtigen. Doch die Sache hat einen Haken: Eine bundesweite Aufsichtsbehörde gibt es noch nicht, ebenso wenig die technischen Voraussetzungen für Einschränkungen und Kontrollen. Das heißt, aktuell ist niemand dafür zuständig, die Anbieter zu überprüfen. „Das wurde verkehrt herum aufgezäumt“, findet die Neuburger Suchtberaterin Lauer. Hörbar verärgert fügt sie hinzu: „Die, die sich bislang illegal auf dem Markt bewegt haben, werden nun belohnt.“ Anbieter, die sich in der Vergangenheit zurückgezogen hätten, seien plötzlich wieder da.

    Serif Yildiz, Geschäftsführer des „Stern Casinos“ in Neuburg, teilt die kritische Sichtweise von Angela Lauer. Auch er bezweifelt die Wirksamkeit der Kontrollmechanismen. Die Suchtgefahr schätzt er im Internet ebenfalls höher ein als in einer Spielothek wie seiner. „Wir arbeiten mit Bargeld, nicht mit Kreditkarten“, sagt Yildiz. So würde der Spieler nicht so leicht den Überblick über das verlorene Geld verlieren. Außerdem sei der neue Glücksspielstaatsvertrag ungerecht, da die Vorschriften für analoge Casinos härter seien als für Online-Anbieter, findet der gebürtige Neuburger, der das „Stern Casino“ seit 2010 betreibt. So müsse er seine Spielothek zwischen 3 und 9 Uhr schließen, an Feiertagen dürfe er sogar erst um 11 Uhr wieder öffnen. Er dürfe nicht mehr als zwölf Automaten bei sich aufstellen, jeder Gast dürfe nur an einem Automaten spielen und nicht mehr als 60 Euro in der Stunde verlieren.

    Spielothekenbetreiber in Neuburg fürchtet Online-Konkurrenz

    Vor der Corona-Pandemie hätte Yildiz die Online-Konkurrenz nicht so stark eingeschätzt, doch jetzt befürchtet er: „Das wird viel ruinieren. Die Leute können direkt nach dem Homeoffice in der Jogginghose loslegen. Sie müssen ihr Auto nicht bewegen und keine Parkgebühren in der Stadt bezahlen.“ Und nun im Lockdown können sie auch gar nicht in die Spielothek gehen, das „Stern Casino“ musste vorübergehend zumachen. Yildiz bedauert diese Entwicklung. Schließlich würden Spielhallen vor Ort der Region doch auch Vorteile bringen wie Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.

    Angela Lauer kennt die Gefahren des analogen und des digitalen Glücksspiels. Sie sagt: Die Spieler seien von allen Süchtigen am höchsten verschuldet. Und bei den Spielsüchtigen sei die Selbstmordrate am höchsten. In Neuburg kämen im Jahr zwischen zehn und 15 Menschen wegen Glücksspiels in die Suchtberatungsstelle der Caritas, schätzt Lauer. Sie ist aber fest davon überzeugt, dass die Dunkelziffer viel höher ist – und dass die Zahl der Spielsüchtigen noch steigen wird. „Die Glücksspielbranche boomt“, sagt sie. „Es ist erschreckend, wie viele Spielotheken aufmachen.“ Natürlich werde nicht jeder, der hingeht, gleich abhängig. Doch je mehr Angebot – in der Stadt oder im Netz – es gebe, desto höher sei das Risiko.

    Glücksspiel: Innenministerium steht hinter Vertrag

    So viel Kritik es auch gibt am neuen Glücksspielstaatsvertrag – das Bayerische Innenministerium begrüßt die gefundene Einigung, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt. Der Vertrag umfasse nicht nur Neuerungen hinsichtlich des Glücksspiels im Internet, sondern auch umfangreiche Vorgaben zur Suchtprävention sowie zum Jugend- und Spielerschutz. Die Übergangsphase diene der „Kanalisierung in den legalen Markt“, die Glücksspielaufsicht könne so die Unterbindung des Schwarzmarktes in Angriff nehmen. Bevor die gemeinsame Glücksspielbehörde eingerichtet ist, soll ab Juli 2021 die Glücksspielaufsichtsbehörde in Sachsen-Anhalt Aufgaben wie die Überwachung des gesetzlichen Einzahlungslimits und des Verbots des parallelen Spiels übernehmen. Die technischen Systeme würden derzeit geschaffen beziehungsweise ausgebaut, so die Sprecherin des Innenministeriums.

    Die Suchtberatungsstelle der Caritas ist kostenlos. Hier werden Betroffene und Angehörige informiert und beraten. Außerdem werden Therapien und Kliniken vermittelt. Die Telefonnummer der Beratungsstelle in Neuburg lautet 08431/6488666, in Schrobenhausen 08252/9673101.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar Glücksspiel: Suchtgefahr nicht unterschätzen! von Dorothee Pfaffel.

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