An einen Kirchenaustritt hatte sie schon länger gedacht. Doch das Hadern, die Unzufriedenheit waren bislang nicht groß genug, um diesen Schritt zu gehen. Bis jetzt. „Nun ist der Punkt erreicht, an dem ich es nicht mehr mittragen kann“, sagt die Neuburgerin, die anonym bleiben möchte. So hat die Frau der Kirche in diesen Tagen endgültig den Rücken gekehrt. Ein Schlussstrich, den derzeit viele Gläubige ziehen – vor allem in Köln. Dort sorgt Kardinal Rainer Maria Woelki für Ärger, weil er ein Gutachten zum Umgang mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester unter Verschluss hält. Der Server, der in Köln die Terminvergabe für Kirchenaustritte ermöglicht, ist vor wenigen Tagen aufgrund der massiven Nachfrage sogar zwischenzeitlich zusammengebrochen. Etwa 5000 Menschen wollten zur gleichen Zeit das Ende ihrer Kirchenzugehörigkeit beantragen. Da machten die Systeme nicht mehr mit. Ist eine solche Unzufriedenheit auch bei Gläubigen im Raum Neuburg zu spüren?
In Neuburg sind 2021 bisher 41 Menschen aus der Kirche ausgetreten
Ganz so extrem wie in Köln ist es in der Region natürlich nicht. Nach Angaben der Stadt Neuburg sind in diesem Jahr, bis zum Donnerstag, 41 Menschen aus der Kirche ausgetreten. Gründe für den Kirchenaustritt darf die Stadt nicht erfassen, teilt Sprecher Bernhard Mahler mit. Zumindest rein statistisch kann man die Zahl einordnen. Im gesamten Jahr 2020 haben in Neuburg 229 Menschen die Kirche verlassen. Rechnet man die Kirchenaustritte auf den einzelnen Tag herunter, ergibt sich in diesem Jahr theoretisch eine etwa 15-prozentige Steigerung. Die bisherige Quote der Austritte lässt erwarten, dass man fast an den Rekordwert von 2019 – damals gab es in Neuburg 311 Kirchenaustritte – herankommen könnte.
Natürlich sind das nur Rechenspiele. Die Neuburgerin, die seit diesen Tagen nicht mehr Teil der Kirche ist, macht die Sache konkret. Für sie waren die aktuellen Schlagzeilen ausschlaggebend für ihre Entscheidung. „Da kam zuletzt so viel zusammen“, sagt sie. Missbrauchsvorwürfe und der Umgang damit, dazu Kirchenvertreter, die sich in der Corona-Impfreihenfolge nach vorne gedrängelt haben, wie etwa der Augsburger Bischof Bertram Meier. So prasselte in dieser Woche von vielen Seiten Kritik auf die Konferenz der katholischen Bischöfe ein. „Jetzt reicht's, das passt nicht mehr zu meinen Vorstellungen“, betont die Neuburgerin, die mit ihrem Austritt „ein Zeichen setzen“ möchte. Die katholische Kirche müsse sich endlich dem Wandel der Zeit anpassen, fordert sie, etwa bezüglich der Themen Zölibat und katholische Pfarrerinnen. Man müsse weltoffener werden, Dinge wie Missbrauchsvorwürfe offener angehen und aufarbeiten.
Kirchenaustritte in Köln: Wie groß ist der Frust bei Gläubigen in Neuburg?
Während die Zahlen auf gesamtdeutscher Ebene steigen, kann Stadtpfarrer Herbert Kohler in Neuburg noch keinen dramatischen Anstieg feststellen. „Das kann ich bis Ende Februar nicht bestätigen.“ Es könne aber durchaus sein, sagt er weiter, dass die Tendenz vor Ort wieder Fahrt aufnehme. Die Gründe für die generell anschwellenden Austrittszahlen spiegeln seiner Ansicht nach die Aussage der ausgetretenen Neuburgerin wider: „Sie hängen ganz stark mit dem Vertrauens- und Image-Verlust der katholischen Kirche zusammen“, sagt Herbert Kohler. So kämen aus Köln immer neue Negativschlagzeilen um Kardinal Woelki, wodurch der Eindruck entstehe, dass die Aufklärung um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche nicht energisch genug vorangetrieben werde.
Für viele, erklärt der Geistliche, sei dieses Geschehen der so oft zitierte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen bringt: „Menschen, die sich schon längere Zeit von der Kirche verabschiedet haben, stellen sich dann die Frage: Warum soll ich für etwas bezahlen, mit dem ich nichts mehr anfangen kann? Hinter dem ich nicht mehr stehe?“ Allerdings, das sagt der Stadtpfarrer auch, spielten ebenso persönliche Motive und Hintergründe eine Rolle. Um diese zu erfahren, schickt Herbert Kohler, wie andere Wohnortpfarrer auch, Briefe an die Ausgetretenen. Und manchmal, nicht immer, kommt eine Antwort zurück.
Neuburg: Färbt die Kirchen-Krise auch auf die Region ab?
Der Kirchenaustritt ist der letzte Schritt eines langen Weges – das beobachtet auch Pfarrer Steffen Schiller von der evangelischen Christuskirche in Neuburg. Auch er erzählt von innerer Entfremdung, die die Institution Kirche als solche betrifft. Dabei würden sich die Menschen von einer Art Mitgliedschaft abwenden, nicht unbedingt vom Glauben selbst. „Sie führen durchaus eine persönliche Gottesbeziehung weiter.“ Oftmals sei es eine Art Puzzle-Glaube: teils christlich, teils nicht-christlich. Hinter dieser Entwicklung bemerkt der Pfarrer ein gesamtgesellschaftliches Phänomen – die Individualisierung. Die Kirche nämlich gebe einen Rahmen vor: Gottesdienste, Veranstaltungen, die Liturgie zum Beispiel. „Sie wollen sich aber nicht begrenzen.“
Was insbesondere die katholische Kirche betrifft, begründen einige den Austritt mit der mangelhaften Aufklärung des Missbrauchsskandals. Wirft das ein schlechtes Licht auch auf die evangelische Kirche? „Das nehme ich sehr unterschiedlich wahr“, erklärt Steffen Schiller. Es gebe die einen, die pauschalisieren. Auf der anderen Seite stünden dagegen sehr wohl Menschen, die differenzieren, das liberalere Bild der evangelischen Kirche sehen – zum Beispiel beim Thema Frauen. Dem versucht sich indes auch die katholische Kirche zu öffnen, wie die Deutsche Bischofskonferenz zuletzt gezeigt hat. Das vakante Amt des Generalsekretärs, das traditionell ein Priester ausübt, wird künftig von der Theologin Beate Gilles besetzt. Überschattet aber wird dieses Zeichen vom Verhalten des Kölner Kardinals Woelki. „Er dominiert die katholische Kirche in ihrer Außenwirkung“, schildert Steffen Schiller. „Was mir sehr leid tut.“
Missbrauchsskandal: Kommen nun auch im Raum Neuburg Kirchenaustritte?
Ein Umstand, den auch Herbert Kohler bedauert. Denn eine Frau als Generalsekretärin, das hätte man sich vor zehn, 15 Jahren nicht vorstellen können. Jetzt, da es endlich so weit sei, sei es nur eine Notiz wert. „Es regt mich auf, dass die Deutsche Bischofskonferenz nicht in der Lage ist, ein klares Statement zu Kardinal Woelki zu formulieren.“ „Eine Katastrophe“, fährt der Stadtpfarrer fort. Denn all das färbe auf die katholische Kirche vor Ort ab. Angesichts dessen hoffe er, dass es nicht wieder zu einer Austrittswelle wie im Jahr 2019 kommt „Das hängt aber auch von dem ab, wie es in Köln weitergeht.“
Wie andere Pfarrer der Region, so sieht auch Dekan Werner Dippel, dass der Missbrauchsskandal ein Auslöser sein kann, den Austritt aus der Kirche zu vollziehen. Allerdings müsse man die Zahlen regional betrachten. Und regional betrachtet, sieht der Dekan den Trend der Kirchenaustritte eher rückläufig. Denn hier, im Dekanat Neuburg-Schrobenhausen versuchen alle, gute Arbeit zu leisten – trotz der Pandemie. Man gehe weiter zu den Kranken, organisiere Firmungen und Erstkommunionen, ziehe im Dekanat an einem Strang. „Vor Ort steht und fällt alles mit den Pfarrern, den Mitarbeitern und den Gläubigen“, bekräftigt er. Und wenn die Seelsorge auf gute Weise gemacht werde, dann respektierten und wertschätzten die Leute das auch, unabhängig von den Entwicklungen in Köln. „Dann spürt man ihn, den christlichen Glauben, oder eben nicht.“
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