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Neuburg: Lieferengpässe bei Fahrrädern: „Das hat die ganze Branche noch nie erlebt!“

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Lieferengpässe bei Fahrrädern: „Das hat die ganze Branche noch nie erlebt!“

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    Vor allem bei E-Bikes ist die Nachfrage zuletzt so stark gestiegen, dass sie kaum mehr gedeckt werden kann. Kunden müssen deswegen bei den meisten Händlern mit langen Wartezeiten rechnen.
    Vor allem bei E-Bikes ist die Nachfrage zuletzt so stark gestiegen, dass sie kaum mehr gedeckt werden kann. Kunden müssen deswegen bei den meisten Händlern mit langen Wartezeiten rechnen. Foto: picture alliance (Symbol)

    Thomas Dostals Bike-Markt in der Münchner Straße ist zwar gut mit Fahrrädern gefüllt. Sein Lager allerdings, welches etwas außerhalb liegt, ist leer. Und das unmittelbar zu Beginn der Radsaison. „Das ist Wahnsinn, es kommt kaum mehr was nach“, sagt Dostal. Seit fast 30 Jahren verkauft er Räder und Zubehör in Neuburg.

    Wie viele seiner Kollegen leidet Dostal momentan unter enormen Lieferengpässen, die verschiedene Ursachen haben. Da ist zum einen die stark gestiegene Nachfrage. Wenn Menschen pandemiebedingt nicht in die Ferne fliegen können, machen sie eben vermehrt Urlaub auf zwei Rädern. In Zahlen sieht das so aus: Der Umsatz mit Fahrrädern und E-Bikes stieg laut dem Zweirad-Industrie-Verband im vergangenen Jahr um über 60 Prozent an. Die 2020 verkauften Räder wurden allerdings von den Händlern schon spätestens 2019 bestellt.

    Grund für die Engpässe ist auch die gestiegene Nachfrage - vor allem bei E-Bikes

    Dazu kommt die verminderte Produktion 2020, die natürlich auch mit Corona zusammenhängt. Die Pandemie nahm ihren Anfang in Asien, wo nahezu alle Fahrradkomponenten gefertigt werden. Werke wurden zeitweise geschlossen, es kam zu Produktionsausfällen. Marktführer Shimano hat momentan laut Dostal für viele Komponenten einen Lieferrückstand von 600 Tagen.

    Fritz Reischl, seit 40 Jahren im Geschäft und Inhaber des Radhauses in Ingolstadt erklärt die derzeitige Situation gerne mit einer fiktiven Analogie zu einem bayerischen Autohersteller: „Audi produziert normalerweise jährlich circa 1,5 Millionen Autos. Auf einmal sollen sie nun 2,5 Millionen herstellen, können aber pandemiebedingt nur 1,2 Millionen produzieren. So sieht es momentan bei uns aus. Das hat die ganze Branche noch nicht erlebt“.

    Fahrräder bestehen aus zahlreichen einzelnen Komponenten, die von verschiedenen Firmen gefertigt werden. Das heißt, wenn nur ein Hersteller weniger produziert, trifft das die ganze Lieferkette. Auch wenn 99 Prozent der Teile im Lager sind, kann das Fahrrad trotzdem nicht verkauft werden. Anders gesagt: Ohne Federgabel fährt’s sich schwer.

    Die Fahrradteile werden in der Regel per Frachtschiff aus Asien angeliefert. Wie stark das vor Kurzem im Suezkanal auf Grund gelaufene Containerschiff „Ever Given“ mit den Lieferschwierigkeiten zu tun hat, ist aus Sicht der Händler aber noch schwer abzuschätzen. Über 400 Schiffe mussten deswegen im Kanal warten. Aber: „In der Fahrradbranche hat diese Havarie eher nachrangige Bedeutung“, sagt Martin Willner vom gleichnamigen Fahrradzentrum in Ingolstadt. Vielmehr dürfte es ein Tropfen auf dem heißen Stein sein.

    Auf jeden Fall haben sich durch die gestiegene Nachfrage aber die Frachtkosten erhöht: „Im vergangenen Jahr habe ich für einen Container um die Zeit noch 1100 Euro bezahlt, jetzt sind es über 10.000“, sagt Dostal, dessen Bike-Markt an die europaweit vernetzte Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft angeschlossen ist. Das werden wohl auch die Kunden im Geldbeutel spüren.

    Bei einzelnen Rädern muss man schon mal bis zu einem Jahr Wartezeit in Kauf nehmen

    „Wesentlich leerer als sonst“ ist auch der Laden von Wolfgang Appel in Neuburg. Er verweist ebenfalls auf die stark gestiegene Nachfrage: „Man kann nicht von heute auf morgen eine neue Fabrik aus dem Boden stampfen.“ Knapp 70 Prozent seiner verkauften Räder sind mittlerweile E-Bikes und dort ist die Nachfrage zuletzt am stärksten gestiegen. Die Wartezeiten sind lang und vor allem bei Sonderwünschen müsse er seine Kunden häufig vertrösten: „Wir können keinen genauen Liefertermin garantieren.“ Dass man bei einzelnen Modellen schon mal bis zu einem Jahr Wartezeit in Kauf nehmen muss, sagt Fritz Reischl. Und: „Das ist wie in der DDR.“ Mit seinen Bestellungen für die nächsten Jahre gehe er komplett ins Risiko, weil nicht garantiert ist, dass auch alles ankommt. „Das kann kein normal denkender Mensch mehr nachvollziehen.“ Als Großhändler mit 70 festen Beschäftigten gehe es ihm aber noch deutlich besser als Inhabern kleinerer Geschäfte.

    Auch bei Verschleißteilen wie Bremsscheiben, Ketten oder Schläuchen beträgt die Lieferzeit teilweise mehrere Monate. „Der Andrang ist wie im letzten Jahr bei Nudeln, Klopapier und Masken“, sagt Willner in Anspielung auf die leeren Regale der Supermärkte zu Beginn der Pandemie. Er habe aber vorgesorgt: „Früher ist man als Händler Ende des Jahres auf Messen gefahren und hat dort für die nächste Saison bestellt“, sagt Willner. „Wer immer noch nach diesem Prinzip handelt, fällt auf die Nase.“ Weil er schon deutlich früher bestellt habe, sei er momentan weniger stark betroffen.

    Seit 1993 verkauft Thomas Dostal Fahrräder in Neuburg.
    Seit 1993 verkauft Thomas Dostal Fahrräder in Neuburg. Foto: Michael Kienastl

    Und auch insgesamt schaut die Branche wohl mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf die derzeitigen Entwicklungen. Denn auch wenn er derzeit nicht gedeckt werden kann, ist der Boom für die Händler eine gute Sache – vorausgesetzt er hält auch nach Corona an. Viele Menschen haben laut Dostal den Geschmack für Nahurlaubsziele und die „fantastischen Radwege“ entdeckt. Und das komme über kurz oder lang der Branche zugute. „Wir sind eben auch Weltmeister im Jammern“, sagt Dostal nachdenklich. Branchen wie der Gastronomie gehe es noch weitaus schlechter, pflichtet ihm Reischl bei.

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